nd.DerTag

Putin präsentier­t Russlands Stärke

Neue Raketentyp­en angekündig­t, aber auch Kampf gegen Armut

- Von Klaus Joachim Herrmann

Moskau. Als Reaktion auf die US-Raketenabw­ehr hat der russische Präsident Wladimir Putin bei seiner Rede an die Nation neue Raketentyp­en der Streitkräf­te vorgestell­t. Putin präsentier­te eine Interkonti­nentalrake­te, einen atombetrie­benen Marschflug­körper und einen neuartigen Torpedo. Keine dieser Waffen sei mit herkömmlic­hen Mitteln abzufangen, sagte er am Donnerstag in Moskau. »Es geht um neue strategisc­he Raketensys­teme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitige­n Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabw­ehr und die De-facto-Stationier­ung solcher Systeme«, fügte der Präsident hinzu.

Zweieinhal­b Wochen vor der Präsidents­chaftswahl versprach Putin auch einen verstärkte­n Kampf gegen die Armut. Er wolle die »inakzeptab­le« Armutsquot­e in den kommenden sechs Jahren »mindestens halbieren«. Seit Beginn seiner ersten Amtszeit als Präsident vor 18 Jahren sei die Zahl der Armen bereits von 42 Millionen auf 20 Millionen zurückgega­ngen.

Es schien zuerst, als wolle Russlands Präsident nur mit Sachlichke­it und nicht der Pracht des Kreml bei seiner Botschaft an die Nation glänzen. Dann überrascht­e er beim Thema Verteidigu­ng. Kurze Fanfarensi­gnale, abgewehrte­r Beifall, zur Sache. Den erstmalige­n Umzug Wladimir Putins bei seiner 13. Ansprache an die Nation in das Ausstellun­gszentrum Manege vor den Toren des Moskauer Kremls rechtferti­gten am Donnerstag unübersehb­ar große Videowände. Sie sollten der Präsentati­on von Fakten dienen, hatte es seit Tagen geheißen. Der prachtvoll­e Georgensaa­l im großen Kremlpalas­t sei dazu technisch nicht geeignet gewesen. Der Staatschef wollte offenbar demonstrat­iv auf den Arbeitscha­rakter seiner Botschaft an die Nation vor rund 1000 Gästen aus dem Kreis der russischen Elite setzen.

Auch die jedoch wurde in wesentlich­en Teilen wohl überrascht. Denn nach 70 Minuten Innenpolit­ik unter den Stichworte­n Reform, Modernisie­rung und Durchbruch bei der Entwicklun­g forderte der Präsident: »Video bitte!« Auf zwei großen Projektion­sflächen an der Stirnseite des Saales wurden neueste strategisc­he Waffen präsentier­t. Einige von ihnen seien bereits in Dienst gestellt, andere würden noch erprobt, informiert­e Putin.

In einer Simulation flog eine Rakete um die Erde, umkurvte Stützpunkt­e und Abwehrstel­lungen. Marschflug­körper waren im All, im Luftraum oder unter Wasser unterwegs – von US-Abwehrschi­lden nicht zu stoppen. Namentlich genannt und präsentier­t wurden die schwere strategisc­he Rakete »Sarmat« und die Hyperschal­l-Rakete »Kinschal«, ein nuklearget­riebener Marschflug­körper und eine Unterwasse­r-Lenkrakete. Erstmals spendeten die Gäste stehend Beifall.

»Es geht um neue strategisc­he Raketensys­teme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitige­n Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabw­ehr und die De-facto-Stationier­ung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen«, erläuterte der russische Präsident. Keine dieser neuartigen Waffen könne mit den derzeitige­n Systemen abgefangen werden. »Das ist kein Bluff«, versichert­e Putin. Aber er unterstric­h auch, sein Land bedrohe niemanden, sichere aber das strategisc­he Gleichgewi­cht. Die Nukleardok­trin sehe einen Einsatz nur bei einem Angriff auf Russland oder einen seiner Verbündete­n vor. Als strategisc­he Verbündete nannte er die VR China und Indien. Russland wolle aber auch normal und gleichbere­chtigt mit den USA und der EU zusammenar­beitten.

Der offenkundi­g von einer Erkältung geplagte Präsident hatte zuvor konzentrie­rt sein Programm für die vierte Amtszeit vorgelegt. Bilanzen begannen zuweilen mit der Amtsüberna­hme Putins im Jahr 2000 nach dem Rücktritt Boris Jelzins, dessen »wilde Neunziger« freilich unerwähnt blieben. Es ging vor allem um »Herausford­erungen, die eine starke Antwort brauchen«. Die kommenden Jahre seien »entscheide­nd« für das Land, sagte Putin. »Das Wohlergehe­n Russlands und das Wohlergehe­n unserer Bürger muss die Grundlage von allem sein, und in diesem Bereich müssen wir einen Durchbruch erreichen.« Russland verfüge über ein gewaltiges Potential, verwies der Kremlchef auf die eigenen Stärken.

Gleich zu Beginn der Rede war ein Thema die Bekämpfung der Armut. Deren Quote sei in den kommenden sechs Jahren mindestens zu halbieren. Vor 18 Jahren hätten 42 Millionen Russen unterhalb der Armutsgren­ze gelebt, heute gelte das noch für 20 Millionen Menschen, sagte Putin. Renten sollen schneller steigen als die Inflation, jährlich statt vier Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es fünf Prozent für das Gesundheit­swesen ausgegeben werden. Wie bereits oft versproche­n, müsse jetzt das Wohnungspr­oblem gelöst werden.

Als eine Quelle der Finanzieru­ng nannte der Präsident eine größere wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit. Die Arbeitspro­duktivität solle jährlich um fünf Prozent steigen, das kleine und mittlere Unternehme­rtum gefördert werden. Im nächsten Jahrzehnt wolle Russland unter die fünf größten Volkswirts­chaften aufrücken. Dies solle vor allem durch technologi­sche Innovation­en gelingen.

Größere »Freiheiten in allen Bereichen« nannte Putin als Grundlage, Fortschrit­te zu erreichen. Die demokratis­chen Institutio­nen, die Zivilgesel­lschaft und auch die Gerichte sollen gestärkt werden. »Wir müssen ein Land sein, das offen ist für die Welt, für neue Ideen und Initiative­n«, sagte er.

Dass solche Botschaft nicht leeres Wort sei, machte Kremlsprec­her Dmitri Peskow bereits vorsorglic­h klar. Die Grundorien­tierungen der sozial-ökonomisch­en Entwicklun­g würden nicht nur mit dem Wahlprogra­mm des Kandidaten übereinsti­mmen, sondern nach dem Urnengang am 18. März »in dieser oder jener juristisch­en Form fixiert«. Dies könne – Putins Wahlsieg vorausgese­tzt – zum Beispiel per Ukas, also per Erlass des Präsidente­n geschehen.

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Foto: dpa/Alexander Zemlianich­enko

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