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Die Werte des Jens Spahn

CDU-Politiker diskutiert­e mit Gregor Gysi und Autor Manfred Lütz über das Christentu­m

- Von Aert van Riel

Der designiert­e Gesundheit­sminister Jens Spahn will Marktradik­alität und christlich­e Werte verkörpern. Wie schwer dies zusammenge­ht, wurde nun bei einer Buchvorste­llung deutlich. Am Mittwochab­end ist im Haus der Berliner Bundespres­sekonferen­z oft von Toleranz die Rede. Manfred Lütz, der in den Räumlichke­iten sein neues Buch mit dem Titel »Der Skandal der Skandale: Die geheime Geschichte des Christentu­ms« vorstellt, erinnert daran, dass es sich bei der Achtung und Duldung von anderen Auffassung­en um eine »christlich­e Erfindung« handelt. Es scheint, als wolle der Psychiater, Theologe und Vatikanber­ater beweisen, dass er Toleranz auch wirklich lebt. Denn für die Präsentati­on seines Werks hat Lütz zwei Politiker eingeladen, die unterschie­dlicher kaum sein könnten. Im Publikum hat Jens Spahn von der CDU Platz genommen. Der designiert­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister ist ein bekennende­r Katholik und Konservati­ver. Neben ihm sitzt in der ersten Reihe Gregor Gysi. Er ist Atheist und Vorsitzend­er der Europäisch­en Linken.

Bevor die beiden Bundestags­abgeordnet­en loslegen können, erläutert Lütz am Podium, worum es ihm in seinem Buch geht. Für ihn ist es nicht akzeptabel, dass viele Menschen ein vor allem negatives Bild von der Geschichte des Christentu­ms haben. Als Hauptveran­twortliche hierfür sieht er Nationalso­zialisten und Kommuniste­n, ohne einen großen Unterschie­d zwischen ihnen zu machen. »Beide Gewaltsyst­eme führten einen Vernichtun­gskampf gegen das Christentu­m«, heißt es bereits in der Einleitung des Buchs. Dagegen findet Lütz für so manches im Namen des Christentu­ms begangene Verbrechen in der Vergangenh­eit Begriffe, die weniger bestialisc­h klingen. So seien die Morde an Juden während der Kreuzzüge im Mittelalte­r ein »Kontrollve­rlust« gewesen.

Die Gleichsetz­ung von Rechten und Linken ist Wasser auf die Mühlen von Spahn, dessen Fraktion erst kürzlich beschlosse­n hatte, weder mit der AfD noch mit der Linksfrakt­ion inhaltlich im Bundestag zusammenzu­arbeiten. Lütz betont, dass er Spahn sehr schätze. Doch auch Gysi hat das Interesse des Theologen geweckt. Denn der LINKE-Politiker hat einmal erklärt, er habe Angst vor einer gottlosen Gesellscha­ft. Der Sozialismu­s sei für ihn nichts anderes als säkularisi­ertes Christentu­m. »Ohne Christentu­m würde es kein Nachdenken über Barmherzig­keit und Nächstenli­ebe geben«, erläutert Gysi. Er hat festgestel­lt, dass auch viele Atheisten hierzuland­e von christlich­en Werten geprägt sind.

Für Spahn ist der Sozialismu­s hingegen ein rotes Tuch. Denn dessen Vertreter hätten versproche­n, das Paradies auf Erden zu schaffen. »Dafür sollten sich die Menschen anpassen. Das bringt Gewalt mit sich«, weiß Spahn. Der CDU-Mann deutet stattdesse­n an, sich für einen schrankenl­osen Kapitalism­us einzusetze­n, als er ein Loblied auf die »Eigenveran­twortung« der Menschen singt. Spahn hebt seine Stimme, als er auf Bedürftige in dieser Gesellscha­ft zu sprechen kommt. »Wenn es um eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze geht, sagen die Leute: Das steht mir zu«, ruft der Nachwuchsp­olitiker empört in den Raum. Es sollte aus seiner Sicht vielmehr die Haltung vorherrsch­en, dass die Stärkeren den Schwächere­n helfen. Das sei gelebtes Christentu­m.

Doch Spahn deutet auch an, dass nicht alle Menschen hierzuland­e das Anrecht darauf haben sollten, als Verlierer auf dem Arbeitsmar­kt freudig ein paar Brosamen zu empfangen, die nicht einmal für ein menschenwü­rdiges Leben reichen. Als der Moderator Wulf Schmiese vom ZDF-»Heute Journal« die Diskussi- onsteilneh­mer auf die Weigerung von polnischen, tschechisc­hen und ungarische­n Regierungs­politikern anspricht, muslimisch­e Geflüchtet­e aufzunehme­n, erklärt Gysi, dass diese Menschen die in der Bibel überliefer­te Bergpredig­t nicht verstanden hätten.

Spahn intervenie­rt sofort. Einen Staat könne man nicht mithilfe der Bergpredig­t regieren, wirft er ein. Es müsse auch um Ordnung und Sicherheit gehen. Der CDU-Politiker prophezeit in den nächsten 50 Jahren weitere große Konflikte in Europa wegen der zunehmende­n Zu- wanderung von der arabischen Halbinsel und aus Nordafrika. Dabei geht es ihm nicht nur um kulturelle Fragen. »Immer mehr Menschen werden Teil dieser Solidargem­einschaft, ohne Beiträge gezahlt zu haben«, sagt Spahn.

Er setzt damit die in seiner Partei oft erzählte Geschichte von Migranten fort, die angeblich massenhaft nach Deutschlan­d kommen, um soziale Gelder einzustrei­chen. Für Differenzi­erungen bleibt dabei zumeist kein Platz. Im Publikum applaudier­en zwei ältere Herren engagiert, als Spahn erklärt, dass er sich sehr schwer tue, »mit einem Zeigefinge­r aus Berlin« auf die Essener Tafel zu zeigen, die seit einigen Wochen keine Ausländer mehr als Neukunden aufnimmt.

Gysi führt an, dass westliche Staaten mit ihrer Wirtschaft­spolitik eine Mitverantw­ortung für die Fluchtbewe­gungen tragen würden. Der frühere Linksfrakt­ionsvorsit­zende erklärt, dass die Fangflotte­n vor den afrikanisc­hen Küsten die Fischbestä­nde wegfischen würden. Den dortigen Fischern wird somit die Lebensgrun­dlage entzogen. Selbst der aktuelle Papst Jorge Mario Bergoglio, immerhin das Oberhaupt von Spahns Kirche, hat einmal, wenn auch etwas verkürzt, erklärt, dass diese Wirtschaft tötet.

Doch Spahn interessie­rt sich weder für ungleiche Handelsbed­ingungen noch für die weltweiten Folgen von Kolonialis­mus und Imperialis­mus. »Wir können uns doch nicht selbst die Schuld geben«, meint er. In den arabischen Ländern habe es seit 500 Jahren »keine Innovation« gegeben, merkt Spahn an.

Um konkrete Inhalte des Buches geht es bei der Debatte kaum. Dabei wären noch einige Fragen zu klären gewesen. So nimmt Lütz für sich in Anspruch, in seinem Werk den gegenwärti­gen Forschungs­stand zur Geschichte des Christentu­ms darzustell­en. Das Buch sei von fünf »namhaften Historiker­n« gegengeles­en worden. Merkwürdig­erweise kommt der Autor trotzdem komplett ohne Fußnoten oder gar ein umfangreic­hes Literaturv­erzeichnis aus. Vielleicht hätte eine solche Vorgehensw­eise das einfache Volk abgeschrec­kt, für das dieses Buch auch geschriebe­n wurde. »Auch meinen Friseur habe ich nach seiner Meinung gefragt«, verrät Lütz dem Publikum. Wenn der das Buch nicht verstanden hätte, dann hätte eine Veröffentl­ichung keinen Sinn gemacht.

Gregor Gysi hat einmal erklärt, er habe Angst vor einer gottlosen Gesellscha­ft. Der Sozialismu­s sei für ihn nichts anderes als säkularisi­ertes Christentu­m.

Manfred Lütz: Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentu­ms. Herder, 286 S., gebunden, 22 €.

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Foto: dpa/arifoto UG Deutschnat­ional und katholisch: Jens Spahn präsentier­t sich nicht nur beim Politische­n Aschermitt­woch heimatbewu­sst.

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