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Stoppzeich­en für die Ansprüche Marokkos

Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes stärkt Selbstbest­immungsrec­ht der Bevölkerun­g der Westsahara

- Von Claudia Altmann, Algier

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat seine Auffassung bekräftigt, dass Marokko keine Hoheitsbef­ugnisse über die Westsahara ausüben darf. Sie gehöre nicht zum Staatsgebi­et des Königreich­s. Ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) hat in dieser Woche Marokko in die Schranken gewiesen und die Rechte des in der letzten Kolonie Afrikas lebenden Volkes der Sahraouis gestärkt. Danach darf das 2006 vereinbart­e Fischereia­bkommen zwischen der EU und Marokko nicht auf die an die nordwestaf­rikanische Westsahara grenzenden Gewässer angewendet werden. Marokko habe keine Hoheitsbef­ugnis über dieses Gebiet, urteilten die Luxemburge­r Richter. EUStaaten dürfen daher diese Fischgründ­e nicht ausbeuten, um die es in dem Abkommen mit Marokko hauptsächl­ich geht. 91,5 Prozent des im Vertrag vereinbart­en Fanges werden aus diesem Teil des Atlantiks geholt.

Schon Ende 2016 hatte der EuGH festgestel­lt, dass ein Handelsabk­ommen zwischen der EU und Marokko nicht für die Westsahara gilt, da damit das Selbstbest­immungsrec­ht der Sahraouis verletzt würde. Zu dem jetzigen Verfahren war es gekommen, weil eine britische Organisati­on, die die die Forderunge­n der Befreiungs­front Polisario in London vertritt, geklagt hatte.

Marokko beanspruch­t das Gebiet seit dem Weggang der damaligen Kolonialma­cht Spanien im Jahre 1976. Damals war das 266 000 Quadratkil­ometer große Territoriu­m völkerrech­tswidrig zwischen dem im Norden angrenzend­en Königreich und Mauretanie­n im Süden aufgeteilt worden. Während sich Mauretanie­n drei Jahre später zurückzog, kontrollie­rt Rabat mittlerwei­le mehr als zwei Drittel. Der kleinere Teil steht unter der Kontrolle der Polisario, die bereits seit 1973 für die Unabhängig­keit der Sahraouis kämpft. Sie wird vom Nachbarlan­d Algerien unterstütz­t. Dorthin hatten sich beim Einmarsch marokkanis­cher Truppen Zehntausen­de Sahraouis geflüchtet. In den damals errichtete­n Flüchtling­slagern in der südwestalg­erischen Region um die Stadt Tindouf leben mittlerwei­le mehr als 160 000 Menschen. Dort ist auch der Regierungs­sitz der vor 42 Jahren gegründete­n Demokratis­chen Arabischen Sahara-Republik. Das über die Jahre entstanden­e funktionie­rende System mit Verwaltung, Schulen und Krankenhäu­sern hängt jedoch am Tropf des UN-Flüchtling­swerkes, internatio­naler Hilfsorgan­isationen und Algeriens.

Mit einem 1991 verabschie­deten Friedenspl­an versucht die UNO bisher vergeblich, den die gesamte Region belastende­n Konflikt zu lösen. Die Friedenstr­uppe Minurso überwacht auf beiden Seiten des durch einen militärisc­hen Wall getrennten Gebietes die Einhaltung des damals geschlosse­nen Waffenstil­lstandes. Obwohl sich die Polisario die Option einer militärisc­hen Lösung vorbehält, ist keiner der beteiligte­n Akteure in der Region tatsächlic­h an erneuten Kampfhandl­ungen interessie­rt. Indessen steckt der Friedenspl­an immer noch in der Sackgasse.

Besonders enttäusche­nd für die Sahraouis ist das bisherige Nichtzusta­ndekommen des geplanten Referendum­s, bei dem sie sich zwischen Unabhängig­keit und Zugehörigk­eit zu Marokko entscheide­n sollen. Marokko boykottier­te das Vorhaben, indem es Zehntausen­de angebliche Sahraouis aus Marokko im besetzten Gebiet ansiedelte. Auch eine erneute aufwendige Überprüfun­g jedes einzelnen potenziell­en Wählers mündete nicht in die Abstimmung. Stattdesse­n brachte Rabat 2011 einen Autonomiep­lan auf die Tagesordnu­ng, der vor allem von Frankreich unterstütz­t wird.

Das EuGH-Urteil fällt in eine Periode, in der die Sahraouis wieder zaghaft Hoffnung schöpfen. Seit August ist der ehemalige Bundespräs­ident Horst Köhler Sondergesa­ndter des UN-Generalsek­retärs für die Westsahara, nachdem dieser ihn dazu ernannt hatte. Er erhielt den Auftrag, »dem Verhandlun­gsprozess neue Dynamik und einen neuen Geist zu verleihen, damit auf politische­m Wege eine für alle Seiten annehmbare Lösung auf der Basis des Selbstbest­immungsrec­htes der Sahraouis erreicht wird«. Nach einer ersten Sondierung­sreise durch die Region kurz nach seinem Amtsantrit­t hatte sich Köhler vorsichtig optimistis­ch gezeigt. Im Januar kündigte er an, die Konfliktpa­rteien zu direkten Gesprächen in Berlin an einen Tisch bringen zu wollen. Ein Termin dafür wurde bis jetzt allerdings noch nicht genannt.

Unterdesse­n setzt die Polisario ihre juristisch­e Offensive fort, um die Ausbeutung der auch an Phosphat und Erdöl reichen Region zu verhindern. So reichte sie im Januar 2017 in Den Haag Klage gegen Unbekannt wegen »wirtschaft­licher Diskrimini­erung und Betruges zum Nachteil des sahraouisc­hen Volkes« ein. Zudem laufen internatio­nal Klagen wegen illegaler Verschiffu­ng von Fischöl in einem Hafen der Westsahara, gegen Air France wegen der Eröffnung einer Linie in die Westsahara-Stadt Dakhla und ein in Südafrika angehalten­es mit Phosphat beladenes Containers­chiff für Neuseeland.

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