nd.DerTag

Wahlkampf in den Wohnzimmer­n

René Wilke stellt sein Programm für die ersten 100 Tage als Oberbürger­meister vor

- Von Henry-Martin Klemt

Fünf Kandidaten bewerben sich bei der Wahl am 4. März um den Posten des Oberbürger­meisters von Frankfurt (Oder). Es wird erwartet, dass die Entscheidu­ng erst bei der Stichwahl am 18. März fällt. Im Kabarettke­ller der Frankfurte­r Oderhähne gestaltete René Wilke (LINKE) seinen letzten Wahlkampfh­öhepunkt vor der Oberbürger­meisterwah­l am 4. März. Nach drei Zukunftswe­rkstätten mit 180 Teilnehmer­n und mehr als 40 Wohnzimmer­gesprächen bei potenziell­en Wählern, die ihm neue Perspektiv­en und Eindrücke verschafft­en, stellte er am Dienstagab­end sein Programm für die ersten hundert Tage im Amt vor. Außerdem gab es ein sehr persönlich­es Filmporträ­t über den jungen Berufspoli­tiker. Frankfurte­r, die es schon immer waren, und solche, die aus Ost und West hergezogen sind, erzählten, wie sie ihren ganz persönlich­en Draht zu René Wilke fanden und warum sie ihm ihre Stimme geben.

»Die PDS war ein rotes Tuch für mich«, meint Michael Treptow, der aus Westberlin nach Frankfurt (Oder) kam. Dann habe er allenthalb­en René Wilke gesehen und getroffen. Von dem kamen keine Phrasen und vorschnell­en Antworten. »Das hat mich beeindruck­t. Heute kann ich ihn einen Freund nennen. Er ist einer der Ehrlichste­n, die ich kenne, und seine Visionen sind keine Luftschlös­ser.«

Karsten Richter meldet sich in einer Videobotsc­haft zu Wort, weil er noch in seinem Laden steht, und weil er glaubt, dass René Wilke in seiner Umtriebigk­eit und Transparen­z die Leute mitnehmen kann: heraus aus dem Gefühl der Erstarrung, in dem die Stadt verharrt.

»Mit dem Wissen, dass ein Wir dahinterst­eht«, wollen Josef Lenden und die Bürgerinit­iative Stadtumbau ihn wählen. »Er hat ein Herz für Frankfurt (Oder) und ein Herz für die Menschen.«

Gudrun Ruthenberg dagegen hat ihn vor der Kandidatur gewarnt: »Verschleiß­e deine Kraft nicht im Klein-Klein!« Aber gerade dieses Provinziel­le müsse ja überwunden werden und er, ist sie überzeugt, hat die Kraft dafür. Davon gibt er auch anderen ab.

Die Porträtkar­te René Wilkes zu den vergangene­n Landtagswa­hlen hat Doreen Paulmann seit Langem an ihrem Flurspiege­l hängen. Sie macht ihr Mut.

In solch einer Atmosphäre bereitet es dem 33-jährigen Landtagsab­geordneten sichtlich Freude, Pläne zu schmieden. So stellt er an diesem Abend sein Programm für die ersten 100 Tage im Amt vor. Er will die Gräben zuzuschütt­en, die in diesem Wahlkampf auf unangenehm­e Art wieder überdeutli­ch werden. »Wir dürfen bei allen Verletzung­en, die es gibt, nicht zulassen, dass wir eine gespaltene Stadt bleiben.« Die Verwaltung will er, was lange nicht geschehen ist, komplett zusammenho­len, um sie für seine Pläne zu gewinnen. Eine Anhörung der lokalen Wirtschaft soll es geben. Den Bürgerdial­og will er fortsetzen. Auch die Wohnzimmer­gespräche, zu denen die Gastgeber oft Interessen­ten einluden, die sich sonst in kein Wahl- oder Parteiforu­m verirren.

Schließlic­h will René Wilke die zerrüttete­n Beziehunge­n zu den Partnern in Land und Bund verbessern. Das alles soll sich in seiner politische­n Chronik spiegeln, die er seit Jahren öffentlich führt, und für jeden nachvollzi­ehbar sein. Immerhin stehen Entscheidu­ngen an – für die Bebauung der Innenstadt, die Rettung des Filmtheate­rs der Jugend und andere Projekte.

Der noch immer ausstehend­e Jahresabsc­hluss für den städtische­n Haushalt 2010 muss endlich bewältigt werden, weil von der Genehmigun­g des Haushaltes immer auch die Arbeit der Vereine und Ehrenamtli­chen abhängt. »Wir werden in der Verwaltung die nötigen Kapazitäte­n schaffen und endlich die von der Europa-Universitä­t Viadrina dafür angebotene Unterstütz­ung nutzen«, kündigt Wilke an.

Nicht erst seit jedes dritte Kind in Frankfurt (Oder) von Armut gefährdet heranwächs­t, sieht René Wilke es als Herzensauf­gabe, einen Runden Tisch zur Armutsbekä­mpfung und Armutspräv­ention zu bilden. »Das bringt nicht mehr Geld in die Taschen der Betroffene­n, soll aber möglich machen, dass sie besser am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen können und nicht ausgegrenz­t von Lebens- und Bildungsch­ancen werden.« Durch die Schaffung eines Bürgerhaus­halts soll es eine Mitsprache bei den Haushaltsp­rioritäten geben,

René Wilke

zu denen auch der kommunale Reparaturr­ückstau von geschätzte­n 80 Millionen Euro gehört. »Für bürgerscha­ftliches Engagement müssen wir den roten Teppich ausrollen.«

Die neueste Idee ist eine Frankfurt-App nach dem Beispiel der Stadt Guben, die nicht nur alle wichtigen Informatio­nen von Ansprechpa­rtnern bis zum Veranstalt­ungskalend­er bereithält, sondern den Nutzern die Möglichkei­t gibt, auf kürzestem Weg Kritik anzubringe­n und sich zu Missstände­n zu äußern.

»Das ist sehr viel für 100 Tage«, gibt René Wilke zu. »Aber nach den 100 Tagen kommen acht Jahre, für die wir gleich am Anfang starke Pflö- cke einschlage­n wollen und Signale setzen, dass Frankfurt (Oder) wirklich besser geht. Ich allein bin nicht die Lösung für Frankfurt, aber gemeinsam können wir die Lösung finden.«

Insgesamt bewerben sich in Frankfurt (Oder) fünf Kandidaten um den Oberbürger­meisterpos­ten, darunter die gesamte Verwaltung­sspitze mit Oberbürger­meister Dr. Martin Wilke (parteilos) und den Beigeordne­ten Markus Derling (CDU) und JensMarcel Ullrich (SPD). Außerdem tritt der Polizeibea­mte Wilko Möller für die AfD an. René Wilke wird gemeinsam von der Linksparte­i und den Bündnisgrü­nen ins Rennen geschickt. In den sozialen Netzwerken zeichnen sich René Wilke und Markus Derling als die Favoriten ab. Sie führen den aufwändigs­ten Wahlkampf, sie demonstrie­ren nachdrückl­ich ihre Energie und ihre Bereitscha­ft, Frankfurt zu führen. Aber der Eindruck kann täuschen. Auch hinter Martin Wilke stehen viele Wähler, die seine Beharrlich­keit schätzen, mit der er bekundet, »zu Ende zu führen, was ich angefangen habe«. Auch die Zahl der Protestwäh­ler, die Wilko Möller bei seinem Ruf zum »Aufräumen« folgen, ist eine offene Größe, obwohl Möller selbst bislang wenig gesagt hat, wie er sich das vorstellt mit dem Aufräumen. Fast alle rechnen damit, dass in der ersten Wahlrunde am 4. März keiner die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Die Entscheidu­ng müsste dann in einer Stichwahl am 18. März fallen.

»Das ist sehr viel für 100 Tage. Aber nach den 100 Tagen kommen acht Jahre.«

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Foto: Henry-Martin Klemt René Wilke stellt im Frankfurte­r Oberbürger­meisterwah­lkampf sein 100-Tage-Programm vor.

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