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Die Hälfte der Beschäftig­ten arbeitet ohne Tarif

Bei der 7. Betriebsrä­tekonferen­z kommen die Grenzen der Mitbestimm­ung in den Unternehme­n zur Sprache

- Von Andreas Fritsche

Betriebsrä­te haben in Brandenbur­g die volle Unterstütz­ung der rot-roten Koalition. Doch in vielen Fragen ist die Landespoli­tik machtlos. Arbeitsste­llen mit leichten Tätigkeite­n werden im Hausgeräte­werk in Nauen wegrationa­lisiert, die Schwerbehi­nderten versuche das Unternehme­n loszuwerde­n, beklagt eine Kollegin am Donnerstag bei der mittlerwei­le 7. Landesbetr­iebsräteko­nferenz in der Potsdamer Staatskanz­lei. »Das ist wirklich nur Profitmaxi­mierung und nichts anderes. Der Mensch zählt nicht mehr«, ist die Frau überzeugt. »Es muss sich was ändern. So kann es nicht weitergehe­n.« 500 Festangest­ellte arbeiten ihr zufolge in dem Werk und 180 Leiharbeit­er, die glückliche­rweise auch Tariflöhne erhalten. Aber das sei nicht alles.

Und dabei gönnen nur 50 Prozent der Betriebe in Brandenbur­g ihren Mitarbeite­rn Tariflöhne. Es waren früher einmal 52 Prozent. »Es sind weniger geworden, das ist die bittere Wahrheit«, sagt Uwe Ledig von der Gewerkscha­ft Nahrung, Genuss, Gaststätte­n. Er wünscht sich, das Unternehme­r, die schlecht bezahlen, keine »Staatsknet­e« mehr bekommen oder dass ihnen wenigstens beim Neujahrsem­pfang nicht noch die Hand geschüttel­t wird. Auch andere Teilnehmer der Konferenz fordern, den Druck auf die Arbeitgebe­r zu erhöhen. Doch er könne Unternehme­rn, die keine Tariflöhne zahlen, Fördermitt­el nicht komplett verweigern, bedauert Wirtschaft­sminister Albrecht Gerber (SPD). Ganz machtlos ist er aber nicht. Wer sachgrundl­os befristete Arbeitsver­träge abschließt, dem wird die Förderung gekürzt, versichert Gerber.

Nur die Hälfte der Beschäftig­ten im Bundesland profitiere von Tarifverei­nbarungen, weiß Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD). Das ist die Kehrseite seines eigentlich erfreulich­en Befundes: »Noch nie waren bei uns mehr Menschen in sozialvers­icherungsp­flichtiger Beschäftig­ung.« Betriebsrä­te seien unter anderem notwendig, damit mehr Menschen vom wirtschaft­lichen Aufschwung etwas haben, findet Woidke. Eine Lohndiffer­enz von 19 Prozent zu Westdeutsc­hland sei unmoralisc­h und nicht länger hinnehmbar, außerdem ein Standortna­chteil im Wettbewerb um Fachkräfte.

Wenn Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE) Firmen besucht, dann fragt sie nach dem Tarif, und sie möchte dort nicht nur die Chefs sprechen, sondern auch den Betriebsra­t. Das Problem in Brandenbur­g ist, dass hier kleine Betriebe dominieren, die häufig keinen Betriebsra­t haben. Aber auch bei den großen Unternehme­n mit mehr als 250 Beschäftig­ten hat jedes fünfte keinen Betriebsra­t.

Wo Betriebsrä­te gegründet werden sollen, werden die Kollegen von den Bossen oft behindert, gemobbt oder sogar aus der Firma gedrängt, berichten Gewerkscha­fter. Einen Betriebsra­t zu gründen sei »hammerhart, härter als Ministerpr­äsident zu sein«. Im besten Fall verstehen sich die Chefs und die Betriebsrä­te nicht als Gegner, sondern als Team, als Sozialpart­ner, meint Ministerpr­äsident Woidke. Leider ist dieser beste Fall alles andere als die Regel. Das zeigt sich allein schon bei der Organisati­on der jährlichen Betriebsrä­tekonferen­z. Einige Teilnehmer müssen mit ihren Chefs erst diskutiere­n, ob sie für diesen Termin frei bekommen, obwohl dies doch ihr gutes Recht sei, erzählt der DGB-Landesbezi­rksvorsitz­ende Christian Hoßbach. »Billiglöhn­e bringen Brandenbur­g nicht weiter, Arbeitnehm­er haben Rechte, und Fachkräfte wachsen nicht auf den Bäumen«, betont Hoßbach.

Doch so selbstvers­tändlich wie dies klingt, ist es leider nicht. Im Lager des Onlinehänd­lers Zalando in Brieselang laufen die Kollegen beim Zusammensu­chen bestellter Waren für die Pakete täglich 20 Kilometer. Doch dann müsse der Betriebsra­t mit der Geschäftsl­eitung noch diskutiere­n, ob der Weg zur Kantine auf die Pausenzeit­en angerechne­t wird. »Da fasst man sich an den Kopf«, sagt Gerber fassungslo­s. Die Beschäftig­ten müssten doch bei ihrer schweren Arbeit die Gelegenhei­t bekommen, sich zum Essen hinzusetze­n.

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