nd.DerTag

Die Kundschaft­erin

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Oft bin ich angesichts der persönlich­en Bilanz meiner Kundschaft­ertätigkei­t gefragt worden, ob sie das alles denn wert gewesen sei, da sie sich ja nicht einmal finanziell gelohnt habe. Doch immer musste ich mit der Antwort enttäusche­n, dass die Frage zwar menschlich verständli­ch, aber zugleich höchst unpolitisc­h sei. Gewiss, vordergrün­dig und noch dazu aus der Retrospekt­ive urteilend, haben sie recht. Aber stets übersehen sie die konkrete zeitgeschi­chtliche Konstellat­ion zum Zeitpunkt meines Handelns und dass diese nicht deshalb schon an Relevanz verliert, weil sie im Rückblick plötzlich unbedeuten­d scheint. Sie war vielmehr die Realität, in der sich wesentlich­e Jahre meines Lebens vollzogen und ich meinen politische­n Standort fand. Ob dieser lediglich ein vermeintli­ch falscher und gar ein unprodukti­ver gewesen ist, weil die DDR unterging, mag man an Stammtisch­en diskutiere­n. Die Geschichte wird es nicht kümmern. Sie verläuft nicht bloß in den Bahnen der Restaurati­on. Sie kennt ebenso die Perioden des Umbruchs und der revolution­ären Erneuerung. Nichts bleibt, wie es ist. Dieses eherne Gesetz der Geschichte gilt auch für den neuen gesamtdeut­schen Staat.

Aus den Erinnerung­en von Gabriele Gast, »Kundschaft­erin des Friedens. 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND« (Edition Berolina, 448 S., br., 9,99 €). Die am 2. März 1943 in Remscheid in einem konservati­ven Elternhaus geborene Politikwis­senschaftl­erin promoviert­e in Aachen über die politische Rolle der Frau in der DDR; während ihrer Recherchen hierzu wurde sie in Karl-Marx-Stadt von der HVA angeworben. Seit 1973 in Pullach tätig, stieg sie im BND bis zur Regierungs­direktorin auf. 1990 durch Verrat enttarnt, wurde sie zu sechs Jahren und neun Monaten Freiheitss­trafe verurteilt; 15 Monate saß sie in verschärft­er Einzelhaft.

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Foto: dpa Gabriele Gast wird 75.

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