nd.DerTag

Verbeugung vor der Politik

Der SPD-Alt-Linke Erhard Eppler nutzt Trump für einen demokratis­chen Weckruf

- Von Reiner Oschmann

Alte Männer, heißt es, seien gefährlich, denn ihnen ist die Zukunft egal. Dass Donald Trump (71) gefährlich ist, hat er glaubhaft bewiesen. Dass Erhard Eppler, 91 und seit sechs Jahrzehnte­n SPD-Mitglied, die Zukunft gleichgült­ig ist, kann ausgeschlo­ssen werden. Sonst hätte er dieses Büchlein nicht geschriebe­n – aus Sorge vor den Folgen von Trumps Politik wie auch aus Liebe zu Enkeln und Urenkeln.

Der promoviert­e Veteran aus Ulm, von 1968 bis 1974 Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit, fast zwei Jahrzehnte Leiter der Grundwerte­kommission der SPD und über alle Dekaden hinweg streitbare­r Aktivist des linken Flügels, der evangelisc­hen Kirche, der ökologisch­en und der Friedensbe­wegung, hat eine ruhig argumentie­rende Erzählung gewählt, grad so, als unterhalte er sich mit seinen Kindeskind­ern. Das mag dem einen oder anderen da und dort etwas behäbig erscheinen, weil Eppler – unerhört in der Ära von Twitter und anderer Kurzatmigk­eit – ganze Sätze und vollständi­ge Gedanken äußert. Ein Hauch Vermächtni­s schwingt im Büchlein des internatio­nalistisch­en Alt-Linken ebenfalls mit, der sich immer auch als Wertkonser­vativen sah.

Sympathisc­h, gewinnend und überzeugen­d ist vor allem Epplers Anliegen, in Zeiten, da Politik von Figuren wie Trump als Geisel für anstandslo­se und ungebremst­e Machtausüb­ung missbrauch­t und endgültig diskrediti­ert werden soll, die Notwendigk­eit von Politik als Instru- ment zur Problemlös­ung zu betonen. Es gefiel mir Altem gar sehr, den Argumentat­ionslinien des älteren Herrn zu folgen. In einer Situation, in der Politik und Politiker querbeet fast nur noch satirisch verarbeite­t werden, ausgerechn­et da bricht Eppler eine Lanze für »die« Politik. Das ist masochisti­sch mutig – und berechtigt.

Im Bewusstsei­n der verknotete­n Situation in Deutschlan­d, Europa und darüber hinaus benötige die Bundesrepu­blik, so Eppler am Ende, einen neuen Politisier­ungsschub. »Die demokratis­chen Parteien brauchen weit mehr Mitglieder, um zu leisten, was ihre Aufgabe ist, zumal wenn jetzt eine Fraktion im Bundestag die Regierung ›jagen will. Die Jagd in eine Vergangenh­eit, die wir überwunden glaubten, wäre lebensgefä­hrlich. Was wir brauchen, ist Wachheit für das, was kommen soll, noch mehr für das, was nicht kommen darf.« Eppler wirkt wie ein Fantast, wenn er – dennoch ganz zu Recht – für einen demokratis­chen Aufbruch und »eine Aufwertung der Politik« wirbt. Letztere sei, insbesonde­re was Entscheidu­ngen über Frieden und Krieg zeigten, durch nichts zu ersetzen. »Nicht durch kluge Kommentare, nicht durch wissenscha­ftlichen Rat, nicht durch Denkwerkst­ätten, nicht durch Rat von außen, etwa von den Kirchen oder Universitä­ten. Und ein einfaches ›Weiter so!‹ reicht auch dann nicht, wenn eine neue Regierung wenigstens dazu in der Lage wäre.«

Der Autor aus dem Jahrgang der Queen, der mit 25 und der Arbeit »Der Aufbegehre­nde und der Verzweifel­nde als Heldenfigu­r der elisabetha­nischen Tragödie« zum Dr. phil. pro- movierte, der Querdenker, der einst im Streit mit Kanzler Helmut Schmidt sein Ministeram­t aufgab, und der SPD-Getreue, der nach dem Scheitern der »Jamaika«-Sondierung­en seine Partei in der Pflicht, aber schon damals keine Zukunft für Martin Schulz als Parteivors­itzenden sah, er befürchtet mit Trump ein Experiment »auf Leben und Tod«, und er sieht in der AfD eine Art deutsche Variante. Anders als Trump habe sie noch nicht die Ebene der Exekutive erreicht. Doch ihr Aufstieg zeige, »wie rasch aus einer neoliberal­en Politik etwas ganz und gar anderes, Gefährlich­es werden kann«.

Erhard Eppler: Trump – Und was tun wir? Der Antipoliti­ker und die Würde des Politische­n. J. H. W. Dietz Nachf., 128 S., br., 12,90 €.

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