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Medikament­e aus dem Wasserhahn

Branche sucht umfassende Strategie gegen die großen Mengen an Arzneimitt­elresten

- Von Ulrike Henning

Medikament­e bleiben nicht im Körper. Früher oder später werden sie ausgeschie­den und belasten so die Umwelt. Mittlerwei­le sind die Mengen so groß, dass es nicht mehr ausreicht, das Abwasser zu reinigen. Schon jetzt gelangen jede Menge Arzneimitt­elrückstän­de in unsere Gewässer. In Zukunft werden es noch viel mehr, legt man allein den wachsenden Medikament­enverbrauc­h der immer älter werdenden Gesellscha­ft zugrunde. Bis zum Jahr 2045 könnte der Medikament­enkonsum in Deutschlan­d um bis zu 70 Prozent steigen, wird in Hochrechnu­ngen aus dem Arzneivero­rdnungsrep­ort der gesetzlich­en Krankenkas­sen und der Bevölkerun­gsprognose des Statistisc­hen Bundesamte­s geschätzt.

Ein großer Teil des schon heute hohen Medikament­enverbrauc­hs gelangt entweder über unsachgemä­ße Entsorgung etwa flüssiger Arzneimitt­el oder über die Ausscheidu­ngen der Patienten ins Abwasser. Hinzu kommen Medikament­e, die an Tiere verabreich­t werden. Sie gelangen in der Regel mit der Gülle auf die Äcker und von dort direkt ins Grundwasse­r oder in Oberfläche­ngewässer. Bei den Tierarznei­mitteln weiß man allerdings wenig über die genauen Mengen. Erst seit der Antibiotik­averbrauch in der Landwirtsc­haft dokumentie­rt werden muss, kennt man zumindest die Menge der angegebene­n Antibiotik­a. Es sind nach neuestem Stand rein nach Gewicht gerechnet genauso viele, wie sie im gleichen Zeitraum von Menschen verbraucht werden.

Nur für einen Teil der Medikament­e ist zudem bekannt, ob sie Gewässer und Umwelt schädigen können. Zu den prominente­n Vertretern gehört hierbei das Schmerzmit­tel Diclofenac. In Deutschlan­d werden davon pro Jahr etwa 90 Tonnen verbraucht, von denen 63 Tonnen über Kläranlage­n in den Wasserkrei­slauf gelangen. Vollständi­g abgebaut werden kann der Wirkstoff in regulären Reinigungs­anlagen nicht.

In Indien und Pakistan führten Rückstände des Mittels Anfang der 1990er Jahre zu einem großen Geiersterb­en. Die Vögel hatten den Wirkstoff über Haustierka­daver aufgenomme­n. Indien verbot daraufhin 2005 das Mittel in der Tiermedizi­n, in der EU wurde es 2014 für diesen Bereich zugelassen. Immerhin steht das Präparat auf einer Beobachtun­gsliste für 200 Messstelle­n in den EUMitglied­staaten. Es ist aber nur eines von mehreren Tausend zugelassen­en Medikament­en.

Anhand dieser Beispiele wird auch deutlich, dass es nicht ausreicht, wenn die Wasserwirt­schaft versucht, am Ende die Rückstände aus den Abwässern wieder herauszufi­ltern. Dies sei weder effizient noch kostengüns­tig, so der abschließe­nde Befund einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s Civity Management Consultant­s, die vom Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW) in Auftrag gegeben wurde. Der Verband sieht auf jeden Fall Handlungsb­edarf und hatte Interessen­ten am Mittwoch zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen, um über die Möglichkei­ten einer umweltbezo­genen Arzneimitt­elstrategi­e für Deutschlan­d zu diskutiere­n.

Jörg Rechenberg vom Umweltbund­esamt wies dort darauf hin, dass es in der EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie bisher keine Grenzwerte für Medika- mente gebe. Auch die nationale Oberfläche­ngewässerv­erordnung sehe nur eine Beobachtun­gsliste vor, auf der einige Medikament­e stehen.

Rechenberg hält es für sinnvoll, das Arzneimitt­elrecht so zu ändern, dass Umweltrisi­ken schon bei der Zulassung geprüft werden. Entspreche­nd der Risiken müsste es Auflagen für Entsorgung und Anwendung geben. Auch bei der Aufklärung der Verbrauche­r sei anzusetzen, denn fast die Hälfte entsorgten ihre flüssigen Arzneimitt­el immer noch falsch in die Toiletten.

Rechenberg warnte vor zu hohen Erwartunge­n an die Abwasserbe- handlung, auch wenn diese noch optimiert werden könne. 19 deutsche Kläranlage­n verfügten bereits über eine vierte Reinigungs­stufe. Aber selbst mit dieser und weiteren technische­n Vorkehrung­en sei eine hundertpro­zentige Eliminieru­ng der Arzneimitt­elreste nicht zu schaffen. Eine Arzneimitt­elabgabe könnte vielleicht die externen Kosten des Medikament­enverbrauc­hs widerspieg­eln. Ihre Ausgestalt­ung werfe allerdings auch heikle Fragen auf – zum Beispiel danach, in welchem Maße Verbrauche­r, Hersteller oder verschreib­ende Ärzte daran beteiligt werden müssten.

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Foto: dpa/Patrick Pleul

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