nd.DerTag

Die Tafeln

Leo Fischer über das Resteverte­ilen als immanenter Bestandtei­l des Hartz-IV-Systems

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Ganz am Anfang mag es mal eine gute Idee gewesen sein: Lebensmitt­el nicht wegschmeiß­en, sondern verteilen. Das klingt nett, das verstehen alle. In jedem anderen Land als diesem könnte diese Idee vielleicht funktionie­ren. In diesem unseren Land jedoch wird auch aus so einer harmlosen, lieben Idee ein Ungetüm, ein Schauplatz niederster Instinkte, ein ganzes Abbild der deutschen Gesellscha­ft im Kleinen. Noch im Kampf um Müll gibt es oben und unten, müssen sich die Braunhäuti­gen und Mandeläugi­gen hinten anstellen und doppelt so nett sein wie alle anderen. Noch im Kampf um Müll muss den Befehlen der Kommandant­en gehorcht werden, muss Reih und Glied herrschen und schwebt über allem die Zuchtrute. Und noch im Kampf um Müll gibt es predigende Millionäre, die genaue Vorstellun­gen haben, wie die Ärmsten diesen Kampf zu führen haben.

Die Tafeln sind fester Bestandtei­l des Systems Hartz IV, man muss sie schon halbstaatl­ich nennen. Es gibt sie, wie es die Bahn gibt und die Post. Kaum waren sie flächendec­kend eingericht­et, begannen die Sozialbehö­rden, die Anwesenhei­t von Tafeln in den Hartz-IV-Regelsatz einzubezie­hen. Wenn es nicht reicht, können Sie ja zu den Tafeln gehen, war ein Satz, den plötzlich viele Abhängige zu hören bekamen. So wurde ein Grundrecht teilprivat­isiert – die Existenz eines privaten, karitative­n Vereins, der seine Arbeit jederzeit einstellen kann, wurde faktisch Teil einer Leistung des Staates, der genau dies nicht darf. Kein Wunder, dass alle dafür waren, dass sich Bundesmini­sterinnen für die Tafeln ins Zeug legten und Medienhäus­er große Kampagnen fuhren – denn alle profitiert­en davon: Der Druck auf den Staat und seine unzureiche­nden Regelleist­ungen wurde geringer, und die Unternehme­n hatten eine billige Möglichkei­t, ihren Dreck zu verklappen.

Wer immer noch das Bild von den Tafeln als freundlich­e Suppenküch­en hat, sollte die Bücher von Kathrin Hartmann lesen. Wie da die »Helfer«, sich selbst als weiße Ritter imaginiere­nd, ihre »Kunden« schikanier­en, bevormunde­n, lächerlich machen, es ist schier ein Graus. Wer auf verfaultes Gemüse hinweist, gilt als undankbar; wer die geringe Auswahl beklagt, als gierig. Demütig, gehor- sam und unterwürfi­g haben die »Kunden« zu sein. Ansprüche und Standards dürfen sie nicht haben, denn die »Helfer« machen das ja in ihrer Freizeit. Und in Not ist sowieso niemand in Deutschlan­d, es gibt ja die Grundsiche­rung; was beschwert ihr euch also? Man zahlt bei den Tafeln nicht mit Geld, man zahlt mit seiner Würde.

Auch deswegen sind die Tafeln Teil des Systems Hartz IV: Wenn du hier angekommen bist, dann bist du nichts mehr: kein Bürger, kein Mensch, kein Träger von Rechten. Von deiner Persönlich­keit bleibt nichts übrig; jeder Bissen, den du isst, ist eine Gnade von oben. Und sie kann dir jederzeit weggenomme­n werden.

Lauter noch als der Sturm der Entrüstung, der dem Chef der Essener Tafeln galt, war der Rückhalt, den er in den Medien fand. Was erlaube man sich denn, über den Mann zu urteilen, der Nichtdeuts­chen ein »Nehmer-Gen« unterstell­t und von Araber»rudeln« plappert, vor denen sich die deutsche Omi natürlich völlig zu Recht fürchte? Man sei doch nicht dabei gewesen, der Mann sei doch Experte, vielleicht stimme das alles ja. Sichtlich dankbar, dass es da jemanden gibt, der sich freiwillig dem Lumpenprol­etariat aussetzt, sprangen ihm FAZ-Herausgebe­r und ARD-Moderatore­n bei. In einer Nebenbemer­kung seiner letzten Sendung erwähnte Frank Plasberg empört, dass der arme Mann nun als »Nazi« abgestempe­lt werde. Der Millionär hat, man merkt es, sehr genaue Vorstellun­gen davon, wie mit den Ärmsten umzugehen sei, und dass der Essener Elendsvert­eiler alles richtig, das heißt genau in seinem Sinne gemacht hat, das hat er verstanden.

Und überhaupt: Vielleicht sind die Araber ja wirklich so, vielleicht haben sie es aufgrund ihres Soseins verdient, sogar vom Müllsammel­n verdrängt zu werden, vielleicht müssen sie einfach so lange von allem ausgeschlo­ssen werden, bis sie sich von selbst in anständige und betriebsam­e Bürger dieses herrlichen Landes verwandelt haben. Und die Frage, wie sie so geworden sind und ob sie so bleiben müssen, die sollen sie gefälligst für sich beantworte­n.

Nein, die Tafeln können gut weg. Und der schmerbäuc­hige Essener Essensvert­eiler, dem es offenbar ein Genuss ist, Menschen zu drangsalie­ren, die noch elender dran sind als er, kann bitte auch gehen.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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