nd.DerTag

Leda fickt den Schwan

Der weibliche Körper im politische­n Umfeld: Das Dieselkraf­twerk Cottbus präsentier­t die Schau »Gerissene Fäden«

- Von Volkmar Draeger

An zwei um die zwei Meter langen Wollteppic­hen vorbei führt der Weg in die beiden Ausstellun­gsräume der Schau »Gerissene Fäden« im Dieselkraf­twerk Cottbus. »Tänzerin« und »Schlangenf­rau« heißen sie, die eine beige auf braunem Grund, die Vagina dezidiert so rot wie der Mund; kubistisch gebeult auch der Kopf der anderen mit der in ihrer Haut verankerte­n Schlange, rot hier der Apfel der Verführung. Solch Apartes könnte im Weiteren erwarten, wer das Leben der Gabriele Stötzer nicht kennt. Das aber hat für Gefälliges kaum Platz, dafür umso mehr für die Reflexion jener späten DDR-Jahre, in denen der Aufbruch der Künstlerin lag. Oder: hätte liegen können. Mit Anfang 20 unterschre­ibt die Erfurter Studentin den Offenen Brief gegen die Ausbürgeru­ng Wolf Biermanns, wird observiert, vor Gericht gestellt und für ein Jahr im berüchtigt­en Frauengefä­ngnis Hoheneck inhaftiert. Die Zeit war schlaflos, so schreibt sie über die Ungewisshe­it vor dem Prozess, erleidet Schlimmes in der Haft, empfindet nach der Entlassung die Kunst als außerstaat­liche Lebensqual­ität. Sie übernimmt im heimischen Erfurt eine private Kunstgaler­ie, umgibt sich mit Aussteiger­n aller Art, Punks, Transvesti­ten, Unangepass­ten, schreibt Texte und fotografie­rt, zeichnet, malt Bilder. Dass sie weiterhin im Visier der Staatsschü­tzer bleibt, muss nicht erwähnt werden.

Als eine der Frontfraue­n stürmt sie 1989 die Erfurter Zentrale der Stasi, kann mit Stipendien ins Ausland reisen, Vorträge halten, Kongresse besuchen: als eine, die notiert hat, was ihr ganz persönlich widerfahre­n ist, und das in ihren Werken festhält, ob in Wort oder Bild.

Subversive Propaganda ist nicht ihre Sache, wohl aber der Versuch, den erlittenen physischen und psychische­n Schmerz in Kunst zu verwandeln und sich dadurch zu befreien. Und, ganz wichtig, demonstrat­iv ihr Frausein zu behaupten in einer männlich dominierte­n Welt. Diesen Kosmos entfaltet auf zwei Etagen die so bedrückend­e wie lebensfroh­e Ausstellun­g. Ihren Titel bezieht sie gegenständ­lich aus einer Installati­on der 1943 geborenen, zehn Jahre älteren Französin Annette Messager, Co-Partnerin der Schau. »Pénétratio­n« zeigt auf edel weißem Kissen eine aus silbernen Stecknadel­n ge-

»Gerissene Fäden. Annette Messager und Gabriele Stötzer«, bis zum 8.4. im Dieselkraf­twerk Cottbus, Amtsteich 15.

 ?? Abb.: Gabriele Stötzer ?? Gabriele Stötzer: »Der Schrei«, 1978/79, Öl auf Holz
Abb.: Gabriele Stötzer Gabriele Stötzer: »Der Schrei«, 1978/79, Öl auf Holz

Newspapers in German

Newspapers from Germany