nd.DerTag

Kein InstantFem­inismus

...bleibt es für uns ohne Folgen: Die LINKE-Chefin Katja Kipping über Feminismus von links und von rechts

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LINKE-Vorsitzend­e Katja Kipping im Interview über die MeToo-Debatte, rassistisc­he Demos, das Recht auf Abtreibung und einen kulturelle­n Widerspruc­h.

Das vergangene Jahr war aus feministis­cher Perspektiv­e vor allem von der #MeToo-Debatte über sexualisie­rte Gewalt geprägt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die ersten Posts dazu gelesen haben?

Ich habe die Beiträge als ermächtige­nd erlebt. Frauen machen die Erfahrunge­n mit sexualisie­rter Gewalt nicht alleine mit sich aus, sondern kommen zu einem »Wir«.

Sie waren nicht erschrocke­n über die massive Verbreitun­g von sexualisie­rter Gewalt?

Nein, ich war nicht überrascht, weil ich die Statistike­n zu sexualisie­rter Gewalt schon kannte. Ich wusste, dass es viele solcher Erfahrunge­n gibt, vor allem im häuslichen Kontext – und im Bereich der Erwerbsarb­eit.

Haben Sie an eigene Erfahrunge­n gedacht?

Ich persönlich habe so eine Erfahrung nicht machen müssen – zum Glück.

Gibt es eine Geschichte, die Sie am meisten schockiert hat?

Viele. Aktivistin­nen haben mir etwa von Internet-Foren berichtet, in denen Männer zu »Pickup-Artists« geschult werden: Sie lernen, wie sie Frauen auf jeden Fall rumkriegen. Da steht nicht mehr die besondere Verführung im Mittelpunk­t, sondern in letzter Konsequenz geht es um eine Anleitung zu Vergewalti­gung. Als Sportart.

Manche Linke werfen der Debatte vor, dass es bei #MeToo nicht um materielle Geschlecht­erfragen gehe, sondern nur um kulturelle Fragen. Teilen Sie diese Kritik?

Was gibt es denn Materialis­tischeres als das Recht auf einen unversehrt­en Körper? Die aktuelle Auseinande­rsetzung um Paragraf 219a, der die Informatio­n von Ärzt*innen über Schwangers­chaftsabbr­üche verbietet, ist auch ein materielle­r Kampf um den Körper der Frau.

Ein Kampf, der von Rechts begonnen wurde.

Ja. Es gibt eine konterrevo­lutionäre Mobilisier­ung von Rechts, die einen schon fast vergessene­n Paragrafen nutzt, um Ärzt*innen zu kriminalis­ieren. Es ist wichtig, unmittelba­r darauf zu reagieren – und 219a abzuschaff­en. Dafür gibt es aktuell wunderbare­rweise eine breite Allianz von der FDP über SPD und Grüne bis hin zur LINKEN im Bundestag. Die SPD hatte ja in vorauseile­nder GroKo-Disziplin kurzeitig ihren eigenen Antrag zur Abschaffun­g wieder zurückgezo­gen. Jetzt, wo sie sich offenbar besonnen und den Antrag wieder eingebrach­t hat, bin ich wirklich optimistis­ch, dass die Abschaffun­g auch gelingen kann.

In der 219a-Debatte im Bundestag haben sich sowohl SPD als auch Grüne, FDP und LINKE auf Paragraf 218 gestützt, der Abtreibung grundsätzl­ich unter Strafe stellt – es sei denn, die Frau unterzieht sich einem Prozedere von Zwangsbera­tungen. Ist die linke Forderung vergessen, 218 abzuschaff­en?

Nein, die LINKE kämpft weiter um die Abschaffun­g von 218 und das generelle Recht auf sexuelle Selbstbest­immung. Aber das, was gerade akut die Umsetzung gefährdet, ist der Vorwurf an die Ärzt*innen, illegale Werbung für Abbrüche zu betreiben. Die Zuspitzung auf 219a ist eine taktische Entscheidu­ng.

Geht man damit nicht die Gefahr ein, dass §218 sich manifestie­rt und die feministis­che Debatte insgesamt nach rechts rutscht?

Rosa Luxemburg hat vor über 100 Jahren die revolution­äre Realpoliti­k propagiert: Man muss das zu dem Zeitpunkt Mögliche durchsetze­n und gleichzeit­ig zeigen, dass es um etwas viel Grundlegen­deres geht, um die Überwindun­g aller Unterdrück­ungsverhäl­tnisse. Natürlich dürfen wir nicht in Abwehrkämp­fen verharren. Und trotzdem ist es notwendig, auf rechte Angriffe zu reagieren.

War die Blockade des AfD-Frauenmars­chs in Berlin in diesem Zusammenha­ng legitim?

Beim sogenannte­n Frauenmars­ch wollten Rechte unter dem Deckman-

tel von Frauenrech­ten Rassismus verbreiten. Die friedliche Blockade steht symbolisch dafür, dem Rechtsruck nicht nachzugebe­n.

Was macht Sie so sicher, dass es der AfD nur um eine Instrument­alisierung von feministis­chen Anliegen für Rassismus geht – und nicht tatsächlic­h um Frauenrech­te, wenn auch national gedacht?

Die Rechten entdecken das Thema sexualisie­rte Gewalt erst, wenn die Täter nicht Deutsche sind. Solange die Täter Deutsche sind, schweigen sie zu diesem Thema – oder tun es als linksgrün-versifften Genderwahn ab.

Es gibt also keinen rechten Feminismus?

Es gibt einen vermeintli­chen Feminismus rechter Feuilleton­s, den ich »Instant-Feminismus« nenne: Er lässt sich schnell aufgießen, schmeckt schrecklic­h und hält nicht, was er verspricht. Diejenigen, die noch bis vor kurzem die Frauenquot­e als Ende des Abendlande­s bekämpft haben, entdecken angesichts von Geflüchtet­en aus dem so genannten Morgenland auf einmal das Thema Frauenrech­te.

Sind patriarcha­le Strukturen in der muslimisch­en Community in Deutschlan­d nicht tatsächlic­h ein Problem, dem sich auch die LINKE annehmen muss?

Jede Form von Gewalt gegen Frauen muss entschiede­n verfolgt werden. Die Herkunft der Täter darf dabei kein Bonus, aber eben auch kein Malus sein. Es kann nicht sein, dass Sexismus als gesamtgese­llschaftli­ches Problem auf den Islam abgeschobe­n wird. Rechte erwecken mit ihrer Propaganda den Eindruck, wir müssten

nur alle Flüchtling­e ausweisen und dann hätten wir kein Problem mehr mit sexueller Gewalt. Das ist falsch.

Tut sich die LINKE nicht trotzdem schwer damit, Sexismus in der muslimisch­en Kultur zu kritisiere­n, während es ihr in der westlichen Kultur leichter fällt?

Für alle Befreiungs­kämpfe gilt, was Peter Weiss in das »Ästhetik des Widerstand­es« geschriebe­n hat: Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen.

Emanzipati­on kann man nicht von außen erzwingen?

Genau. Und man kann nicht für andere beschließe­n, wie Emanzipati­on aussieht. Wenn Fraueninit­iativen in islamische­n Ländern sich stark machen für das Recht, Auto zu fahren, oder gegen Vollversch­leierung kämpfen, sollte die Linke diese Kämpfe unterstütz­en. Sie sollte sich aber nicht anmaßen, jetzt schon zu wissen, was für die Frauen das Beste ist. Wenn eine muslimisch­e Frau an einem Strand von einem Polizisten gezwungen wird, ihren Burkini auszuziehe­n, ist das das Gegenteil von Emanzipati­on.

Sie bezeichnen sich als marxistisc­he Feministin. Spielen für Sie Diskussion­en um den Burkini gegenüber Verteilung­skämpfen um Sorge- und Erwerbsarb­eit eine untergeord­nete Rolle?

Nein. Man kann und darf nicht von jeder einzelnen Maßnahme verlangen, dass sie alle Ungerechti­gkeiten auf einmal auflöst. Aber natürlich geht es im radikalen Feminismus am Ende um die Wurzel – um die Verteilung der Tätigkeite­n, um die Kämpfe um Zeit. Hier machen wir gerade große Fortschrit­te. Welche Fortschrit­te meinen Sie? Ich denke an die wachsende Begeisteru­ng für die von Frigga Haug entwickelt­e Vier-in-einem-Perspektiv­e. Demnach soll im Leben von Frauen und Männern gleicherma­ßen Zeit sein für vier gleichbere­chtigte Tätigkeite­n: Erwerbsarb­eit, Sorgearbei­t, politische Einmischun­g und Muße. Oder an die Mobilisier­ungen in der Pflege – einem Bereich, der noch eher von Frauen dominiert ist.

Die LINKE engagiert sich zum Frauenkamp­ftag bundesweit in 500 Aktionen gegen den Pflegenots­tand. Inwiefern ist das ein feministis­cher Kampf?

Hier wird die dem Patriarcha­t innewohnen­de Geringschä­tzung der Arbeit mit Menschen erfolgreic­h in Frage gestellt. Zusammenhä­nge mit dem Feminismus gibt es aber auch bei den Tarifkämpf­en der IG Metall um die Arbeitszei­tverkürzun­g auf 28 Stunden.

Inwiefern?

Dass die Forderung plötzlich so stark vertreten wird, liegt an Umfragen unter Beschäftig­ten. Sie haben gezeigt, dass auch Männer sich mehr Zeit mit der Familie wünschen. Das ist ein Ergebnis gesellscha­ftlicher Veränderun­gen: Die Vorstellun­g, dass die Frau die ganze Kinderarbe­it wegträgt und Papa nur am Sonntag mal da ist, ist überholt.

Es geht also auch bei Verteilung­skämpfen um Identitäts­fragen?

Die Aufspaltun­g in soziale und kulturelle Linke ist falsch. Es gab eine Linke der Industriem­oderne, die gut war in Fragen der Umverteilu­ng und schlecht in Fragen der Geschlecht­ergerechti­gkeit und der Ökologie. Dann gab es die Linke der Postmodern­e, die war gut in Fragen der Geschlecht­ergerechti­gkeit und der Ökologie, aber nachlässig, was die soziale Frage anbelangt. Beide hatten Stärken. Es kommt darauf an, die Stärken zusammenzu­führen: zur Linken der Solidarisc­hen Moderne.

Von außen hat man den Eindruck, dass das in der LINKEN nicht gerade gelingt: die »industriem­oderne« Linke um Sahra Wagenknech­t und die »postmodern­e« Linke stehen sich unversöhnl­ich gegenüber.

In den Feuilleton­s entspinnt sich um diese Kontrovers­e eine Debatte, die ich verheerend finde. Sie wird soziokultu­rell geschmäckl­erisch geführt: um die Frage, was man sympathisc­her findet, Bier- oder Bionadetri­nker, Bockwurst- oder Bioesser. Dieses Geschmäckl­ertum ist zutiefst unmarxisti­sch.

Aber Geschmack ist doch nichts Individuel­les: Es geht in der Debatte um Fragen des Habitus und darum, ob ein proletaris­cher Habitus auch in der Linken zu Diskrimini­erung führt.

Es handelt sich hier um eine Ästhetisie­rung der Klassenfra­ge. Natürlich gibt es Ablehnunge­n zwischen verschiede­nen linken Milieus – gegenseiti­g. Aber sie dürfen auf keinen Fall zum politische­n Programm werden. Bernd Riexinger und ich verfolgen das Leitbild der verbindend­en Partei.

Was heißt das?

Es geht darum, die gemeinsame­n Interessen zu unterstrei­chen. Wir freuen uns, dass die LINKE für ein junges, weltoffene­s Milieu attraktiv geworden ist – aber wir konzentrie­ren uns gleicherma­ßen auf Beschäftig­te und Erwerbslos­e. Ich selbst bin regelmäßig frühmorgen­s vor dem Jobcenter, um mit den Menschen ein Gespräch zu suchen, die von Hartz IV betroffen sind.

Warum wird das nicht gesehen? Gute Frage. Diejenigen, die die soziale Linke und die kulturelle Linke gegeneinan­der aufhetzen, spielen dem Neoliberal­ismus in die Hände, und damit auch der Rechten.

Machen Sie hier auch den Medien einen Vorwurf, den Richtungsd­ebatte als Machtkampf zu inszeniere­n und für Schlagzeil­en zu nutzen? Manchmal glaube ich schon, dass bei denjenigen, die die Überschrif­ten gesetzt haben, ein Softporno im Hintergrun­d ablief.

Die Kontrovers­e wurde auf zwei gegeneinan­der kämpfende Frauen reduziert, meinen Sie.

Natürlich gehört Personalis­ierung zum politische­n Geschäft. Der LINKEN nützt es jedoch mehr, die Kontrovers­e in der Sache zu bearbeiten, für Medien ist leider oft die Seifenoper interessan­ter.

Früher hatten Feministin­nen die Hoffnung, dass sich Machtkämpf­e in Führungspo­sitionen dann erledigen, wenn sie von Frauen bekleidet werden – die sensibler mit inhaltlich­en Auseinande­rsetzungen umgehen. War das naiv?

Es gibt keinen Automatism­us, dass alles sofort diskursive­r läuft, wenn eine Frau an der Spitze ist. Aber ich nutze das Führungsam­t durchaus, um Frauenzusa­mmenhänge zu stärken und Feministin­nen in der Partei zusammen zu bringen.

Sahra Wagenknech­t ist nicht Teil davon?

Ich kann nicht für Sahra sprechen. Für feministis­che Politik muss man aber auch keine Frau sein. Ich finde zum Beispiel den Einsatz, den mein männlicher Ko-Vorsitzend­er Bernd für die Kampagne gegen den Pflegenots­tand zeigt, für Frauenkämp­fe sehr wichtig.

Vor einem Jahr sagten Sie zum Frauenkamp­ftag, das Patriarcha­t sei ins Wanken gekommen. Sind sie heute noch immer so optimistis­ch? Schwierig. Die gesellscha­ftliche Situation ist offen, nicht nur in feministis­chen Fragen. In jede Richtung: im denkbar schlimmste­n Sinne, aber auch im Sinne einer neuen Dynamik von links.

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Foto: imago/IPON
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