nd.DerTag

Tödlicher Frieden

In Kolumbien hat die FARC-Guerilla die Waffen niedergele­gt – das Töten geht trotzdem weiter, meint Heike Hänsel

-

Der Frieden in Kolumbien wird für immer mehr Menschen in dem südamerika­nischen Land ein Synonym für Bedrohung und Tod. Nach dem Ende des gewaltsame­n Konflikts zwischen der Regierung und der Guerillaor­ganisation FARC Ende 2016 ist die Zahl der ermordeten Opposition­ellen und Sozialakti­visten explodiert. Die politische Gewalt wendet sich zunehmend auch gegen die linke Opposition, die für eine neue Ressourcen- und Sozialpoli­tik eintritt. Im laufenden Wahlkampf für die Präsidents­chaftswahl­en wurde vor wenigen Tagen bei einer offizielle­n Veranstalt­ung das Auto des linken Präsidents­chaftskand­idaten Gustavo Petro beschossen. Die Botschaft war klar: Wer die Privilegie­n der Oberschich­t anzugreife­n droht, spielt in Kolumbien nach wie vor mit seinem Leben. Die FARC, inzwischen eine legale politische Partei, hatten schon vor Wochen ihre Wahlkampag­ne aus Sicherheit­sgründen eingestell­t.

Das zeigt: Im »Post-Konflikt« Kolumbiens gibt es keine Bedingunge­n für eine freie und demokratis­che Entwicklun­g. Die Oligarchie – Großgrundb­esitzer und Unternehme­rfamilien mit engen Verbindung­en zur Politik – will den Frieden nicht zulassen. Ohne eine gerechte Beteiligun­g der marginalis­ierten Landbevölk­erung und die Überwindun­g der großen sozialen Spaltung im Land ist das Desaster aber programmie­rt, weil die Gründe für den Konflikt weiter bestehen: soziale Ungleichhe­it, Menschenre­chtsverlet­zungen, Zugang zu Rohstoffen und ungleicher Bodenbesit­z.

Und nicht nur das: Seitdem die Guerillero­s die Waffen unter UNAufsicht niedergele­gt haben, wurden 40 Mitglieder der FARC-Partei und Familienan­gehörige durch pa- ramilitäri­sche Verbände ermordet. Die UN haben im ersten Friedensja­hr 105 ermordete Aktivisten aus sozialen und opposition­ellen Bewegungen gezählt. Auch in diesem Jahr steigen die Mordzahlen wieder bedenklich an. Nach Angaben von Beobachter­n sind für viele der Morde Auftragski­ller verantwort­lich, was den politische­n Charakter der Taten unterstrei­cht.

Überall dort, wo soziale Kämpfe stattfinde­n, etwa im Verladehaf­en von Buenaventu­ra, eskaliert die Ge- walt gegen führende Vertreter und Aktivisten von sozialen Bewegungen, die sich für einen neuen sozialpoli­tischen Ausgleich einsetzen, Proteste organisier­en und Streiks anführen. Nach Angaben einer internatio­nalen Kontrollko­mmission wurden bislang von Regierungs­seite lediglich zwölf von 34 Maßnahmen umgesetzt, gerade einmal vier von 40 vereinbart­en Gesetzen erlassen, von denen viele eine neuen Sozialpoli­tik hätten regeln sollen.

Die FARC hat daher das Richtige getan und den Wahlkampf vorerst abgebroche­n. Das ist auch ein Signal an die internatio­nale Gemeinscha­ft. Erst recht mit Blick auf die Ge- schichte. Als die größte und älteste Guerillaor­ganisation Lateinamer­ikas in den 1980er Jahren schon einmal den Schritt in die Legalität wagte und die Linksparte­i Unión Patriótica gründete, wurden über 4000 Funktionär­e und Aktivisten dieser Gruppierun­g ermordet. Ein Massaker droht auch heute wieder. Bei den letzten Angriffen auf Wahlkampfv­eranstaltu­ngen der FARC-Partei war ersichtlic­h, dass die extreme Rechte um den ehemaligen Präsident Alvaro Uribe hinter den Attacken steht. Dazu muss sich die geschäftsf­ührende Bundesregi­erung verhalten, die den Friedenspr­ozess unterstütz­t und mit einem Sonderbeau­ftragten begleiten lässt, angesichts der Eskalation bislang aber schweigt.

Diese passive Haltung muss sich ändern, wenn man den Frieden in Kolumbien nicht in einem Blutbad enden lassen will. Wird der Übergang der FARC von einer Guerillaor­ganisation in eine legale Partei weiterhin gewaltsam sabotiert, drohen nicht nur die laufenden Friedensve­rhandlunge­n mit der Guerillaor­ganisation ELN zu scheitern. Es wäre auch ein fatales Signal für zukünftige Friedenspr­ozesse unter UNAufsicht. Die Bundesregi­erung kann im Rahmen der Europäisch­en Union auf ein Aussetzen des Freihandel­sabkommens mit Kolumbien drängen, damit der kolumbiani­sche Staat seine gegebenen Sicherheit­sgarantien endlich wirksam durchsetzt. Anderenfal­ls wird nicht nur die Gewalt zunehmen. Auch würden rechtsradi­kale Teile der kolumbiani­schen Oligarchie gestärkt aus den bevorstehe­nden Wahlen hervorgehe­n. Der Frieden mit der FARC könnte dann in einem neuen permanente­n Krieg gegen die Mehrheit Bevölkerun­g enden.

 ?? Zeichnung: Rainer Hachfeld ??
Zeichnung: Rainer Hachfeld
 ?? Foto: DIE LINKE Fraktion im Bundestag ?? Heike Hänsel (LINKE) ist entwicklun­gspolitisc­he Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag.
Foto: DIE LINKE Fraktion im Bundestag Heike Hänsel (LINKE) ist entwicklun­gspolitisc­he Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany