Eine der letzten Bastionen
Frauenrechte stehen in der Türkei unter Druck. Stillschweigend akzeptiert wird dies nicht
Die Frauenbewegung in der Türkei war in den vergangenen Jahren eine der letzten Bastionen lebendigen Widerstandes gegen das AKP-Regime. Das arbeitet daran, die Zeit ins 19. Jahrhundert zurückzudrehen. »Hayir«, also »Nein«, stand auf vielen der Schilder und Transparenten, die im vergangenen Jahr von Teilnehmerinnen einer Frauentagsdemonstration in Istanbul getragen wurden. Es war – trotz des herrschenden Ausnahmezustandes und der Repressionen gegen Oppositionelle – eine der größten Protestaktionen anlässlich des 8. März in Europa, zehntausend Demonstrantinnen zogen im europäischen Zentrum Istanbuls durch die Istiklal Caddesi nahe des Taskim-Platzes. »Hayir« hatte in diesem Fall eine doppelte Bedeutung: »Nein« zu Gewalt gegen Frauen und zum Abbau von Frauenrechten, aber auch »Nein« zur Einführung eines Präsidialsystems. Über dieses wurde kurz darauf, am 16. April, bei einem Referendum abgestimmt. »Tayyip wir kommen, renn, renn, renn«, war der selbstbewusste Schlachtruf des Protestes.
Heute – ein Jahr später – ist die Situation nicht weniger angespannt. Um Frauenrechte ist es am Bosporus nicht gut bestellt, Meinungs- und Pressefreiheit stehen enorm unter Druck, der seit Juli 2016 herrschende Ausnahmezustand ist immer noch in Kraft. Und seit Januar tobt nun noch ein Krieg gegen die nordsyrische Enklave Afrin.
Aber: Die Frauenbewegung in der Türkei ist nicht tot, im Gegenteil. Sie ist eine der letzten Bastionen lebendigen Widerstandes gegen das AKPRegime. Für den 8. März haben verschiedene Frauenorganisationen wieder Demonstrationen angekündigt. Unter anderem soll – wie auch schon 2017 – auf der Istiklal in Istanbul demonstriert werden. Ob die Polizei dies zulassen wird, ist noch nicht ausgemacht. Bereits am Sonntag lösten Sicherheitskräfte eine Demonstration in der Hauptstadt Ankara auf. Die Polizisten hätten Tränengas und Plastikgeschosse eingesetzt, als eine Gruppe von Frauen eine Erklärung verlesen wollte, berichtete die regierungskritische Zeitung »Birgün« am Montag. Nach Angaben der Frauenplattform Ankara, die den Protest organisiert hatte, wurden 18 Aktivistinnen vorübergehend festgenommen. »Der Kampf der Frauen kann nicht verhindert werden. Es lebe der 8. März«, teilte die Plattform auf Facebook mit.
In den vergangenen Jahren hatte die Frauenbewegung in der Türkei Zulauf: Die Gezi-Park-Bewegung im Sommer 2013 war auch für Feministinnen und LGBT-Aktivistinnen ein Aufbegehren gegen die zunehmend autoritär auftretende Regierung. Die frauenfeindliche Islamisierungspolitik der AKP bereitet vielen jungen Menschen in den urbanen Zentren des Landes Sorgen.
Nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurde die Luft auch für feministische und LGBT-Aktivistinnen spürbar dünner. Die Ankaraer Behörden verboten im November 2017 alle Veranstaltungen mit LGBT-Bezug. Die Transfrau Diren Coşkun sitzt seit August 2017 wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation« – gemeint ist der LGBT-Verein Keskesor (Regenbogen) – in einem Männergefängnis. Sie befindet sich seit mehr als drei Wochen im Hungerstreik. Die vor sechs Jahren, am 8. März 2012, gegründete feministische Nachrichtenagentur Jinnews mit Sitz im kurdisch-türkischen Diyarbakır wies zu Beginn dieser Woche auf die vielen Schwierigkeiten ihrer Arbeit hin. Mit ihrem Eintreten für Frauenrechte und für die Selbstbestimmung von Kurden stoße sie auf zweifachen Widerstand angesichts einer stark patriarchalen Gesellschaft sowie einer Regierung, die mit harter Hand gegen die Kurdenbewegung vorgeht. Die Presseagentur wurde bereits zwei Mal wegen »Terrorpropaganda« verboten, sieben Mal wurde ihre Website blockiert.
Bei der Einschränkung von Frauenrechten gehen staatliche Repression, wachsender Einfluss islamischer Gelehrter und die Mobilisierung der AKP-Anhängerschaft Hand in Hand. Doch die Türkische Republik ist nicht Saudi Arabien oder Iran; hier gibt es in Sachen Frauenrechte noch einiges zu verlieren: Seit 1924 gilt Schulpflicht für Mädchen und Jungen, 1926 wurde die Zivilehe eingeführt, 1934 das Frauenwahlrecht, also noch vor Frankreich, Italien und lange vor der Schweiz. In der türkischen Verfassung ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau formal verankert.
Die AKP-Regierung aber dreht – nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch – Stück für Stück die Zeit zurück. Religiöse Imam-HatipSchulen sprießen wie die Pilze aus dem Boden, das vormals strenge Kopftuchverbot in Universitäten und Behörden wurde zwischen 2010 und 2014 sukzessive abgeschafft. Seit vergangenem Herbst dürfen Muftis, also islamische Rechtsgelehrte, erstmals seit 1926 wieder rechtsgültige Ehen schließen, Frauenrechtlerinnen sehen hier Kinderehen Tür und Tor geöffnet. Und erst kürzlich erklärte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, dass Ehebruch strafbar werden solle. Er hatte schon zuvor mit Äußerungen wie jenen, dass Türkinnen mindestens drei Kinder gebären sollten oder Verhütung »Verrat« sei, immer wieder klargestellt, wo seiner Ansicht nach der Platz von Frauen ist: Zu Hause. Dort wiederum geht es nicht selten gewalttätig zu. Im Jahr 2017 wurden in der Türkei nach Angaben der Nichtregierungsorganisation (NGO) »Wir werden Frauenmorde stoppen« 338 Frauen ermordet. Oft wird die Tat nach Angaben der NGO von Ex-Partnern oder Ehemännern verübt.
Im Sommer 2017 berichteten Frauen außerdem vermehrt von Übergriffen durch Fremde im öffentlichen Raum wegen »unsittlicher« Kleidung. Dagegen kam es in verschiedenen Städten der Türkei zu Protesten unter dem Motto »Misch dich nicht in meine Kleidung ein«. Die Beschneidung von Frauenrechten wird also keineswegs stillschweigend akzeptiert. Dass so – aller widrigen Umstände zum trotz – auch konkrete Erfolge erzielt werden könne, zeigte sich im Herbst 2016: Einen Gesetzentwurf, der sexuellen Missbrauch von Minderjährigen im Nachhinein durch die Heirat von Täter und Opfer legalisieren sollte, musste Justizminister Bekir Bozdağ zurückziehen – wegen des enormen Drucks der Frauenbewegung.