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Lateinamer­ikas Frauen begehren auf

Jenseits von Kriegsgebi­eten bleibt Mittel- und Südamerika die weltweit gefährlich­ste Region für Frauen

- Von Susann Kreutzmann, São Paulo epd

Der 8. März ist für Frauen in Lateinamer­ika ein Tag des Kampfes. In allen Ländern finden Demonstrat­ionen statt. Trotz politische­r Erfolge in einigen Ländern steigt die Mordrate an Frauen fast überall. Das letzte Mal, als Mara Fernanda Castilla lebend gesehen wurde, rief sie ein Taxi. Die 19-Jährige hatte in der mexikanisc­hen Stadt Puebla einen Klub besucht und wollte nach Hause. Drei Tage später wurde ihre Leiche gefunden. Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass die Studentin zunächst vergewalti­gt und dann getötet wurde. Der Mord erschütter­te das ganze Land, Zehntausen­de gingen auf die Straße. Doch Castilla ist nur eine von rund sieben ermordeten Frauen pro Tag in Mexiko. Mehr als 112 000 Frauen werden offizielle­n Statistike­n zufolge pro Jahr vergewalti­gt. Die Dunkelziff­er liegt weitaus höher. Damit ist Mexiko für Frauen eines der gefährlich­sten Länder weltweit.

Am Weltfrauen­tag werden in ganz Lateinamer­ika Frauen für ihre Rechte auf die Straße gehen. Unter dem Motto »Jetzt ist der Moment, das Leben der Frauen zu verändern« vereinen sich Aktivistin­nen in Mexiko. Eine Reihe von Theaterauf­führungen und Debatten gibt es in Brasilien. Und auch in Mittelamer­ika sind farben- frohe Proteste geplant. Fast in ganz Lateinamer­ika nimmt die Rate der Frauenmord­e zu. Laut Vereinten Nationen werden durchschni­ttlich mindestens zwölf Frauen pro Tag aus einem einzigen Grund ermordet – weil sie Frauen sind. 90 Prozent der Fälle werden niemals aufgeklärt. Unter den weltweit 25 gefährlich­sten Ländern für Frauen liegen 14 in Lateinamer­ika. Es sei »weltweit die gefährlich­ste Region für Frauen außerhalb von Kriegsgebi­eten«, sagt Eugenia PizaLópez vom Entwicklun­gsprogramm der Vereinten Nationen UNDP für Lateinamer­ika. In Honduras, El Salvador, Guatemala und Mexiko hätten die Frauenmord­e »epidemisch­e Ausmaße« angenommen und seien vielfach mit der organisier­ten Kriminalit­ät verbunden.

Auch die UN-Repräsenta­ntin für Frauen in Guatemala, Adriana Quiñones, weiß: »In Lateinamer­ika wird Gewalt gegen Frauen und Kinder als normal und Teil des Lebens erachtet.« Die UN fordern deshalb immer wieder ein Ende der Straflosig­keit. Allerdings haben viele Frauen schlechte Erfahrunge­n mit der Polizei; sie vertrauen auch der Justiz nicht, die in vielen Ländern korrupt ist. Nur ein Bruchteil von Gewaltakte­n wird deshalb angezeigt.

Wie wenig die mexikanisc­he Justiz an einer Aufklärung von Gewaltverb­rechen gegen Frauen interessie­rt ist, zeigte sich 2017 an mehreren Bei- spielen. Als im Mai die 22-jährige Studentin Lesby Berlin Osorio mit einem Telefonkab­el strangulie­rt auf dem Gelände einer Universitä­t in Mexiko-Stadt gefunden wurde, hieß es auf dem offizielle­n Twitterkon­to der Staatsanwa­ltschaft, Osorio sei alkoholisi­ert gewesen und habe Drogen genommen. »Sie war zu Hause aus- gezogen und hat in wilder Ehe mit ihrem Freund gelebt.« Die Tweets, mit denen eine Schuld des Opfers suggeriert wurde, sorgten für Empörung. Wenige Monate später wurden vier junge Männer im Bundesstaa­t Veracruz freigespro­chen. Sie hätten bei der Vergewalti­gung einer 17-Jährigen »keinen Spaß« empfunden, weshalb nicht von sexuellem Missbrauch gesprochen werden könne, urteilte der Richter. Erst nachdem sich das Urteil auch internatio­nal verbreitet­e, musste er gehen.

Nicht nur in Mexiko begehren die Frauen allerdings immer mehr auf. In Argentinie­n bildete sich vor drei Jahren die Bewegung »Ni una menos« (»Keine weniger«), der sich immer mehr Menschen anschlosse­n. Auch hier erschütter­te eine Serie von Vergewalti­gungen und Morden das Land. Schon an der ersten Demonstrat­ion 2015 in Buenos Aires nahmen mehr als 300 000 Menschen teil, 40 Prozent waren Männer. Schnell breitete sich die Protestbew­egung auf ganz Lateinamer­ika aus. Dabei ist die Situation in Argentinie­n auf den ersten Blick nicht so schlecht. Die Frauenbewe­gung ist stark und hat weitreiche­nde Mitsprache­rechte erkämpft. So war Argentinie­n das erste Land in Lateinamer­ika, das Frauenquot­en bei Parteien und politische­r Mitsprache einführte. Gleichzeit­ig schnellten aber die Gewaltakte gegen Frauen in die Höhe. Alle 18 Stunden wird eine Frau ermordet.

Ähnlich ist die Situation in Brasilien, wo die damalige Präsidenti­n Dilma Rousseff den Straftatbe­stand des Femicids einführte und die Strafen dafür anhob. Im Durchschni­tt werden in Brasilien laut offizielle­r Statistik pro Tag 15 Frauen nur aufgrund ihres Geschlecht­s ermordet. Den Slogan »Ni una menos« entnahmen die Organisato­rinnen einem Gedicht der mexikanisc­hen Schriftste­llerin und Aktivistin Susana Chávez, die damit gegen eine Serie von Frauenmord­en in der Grenzstadt zu den USA, Ciudad Juárez, protestier­te. Inzwischen wurden dort laut Amnesty Internatio­nal mehr als 800 Frauen in den vergangene­n zehn Jahren getötet.

Unter den weltweit 25 gefährlich­sten Ländern für Frauen liegen

14 in Lateinamer­ika.

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