nd.DerTag

Speiseplän­e wie vor 20 Jahren

Gutes gesundes Essen an Krankenhäu­sern scheint immer noch die Ausnahme – dabei kann es die Genesung beschleuni­gen

- Von Anja Sokolow

Gesundes Essen für Kranke – das sollte eigentlich normal sein. Bei der Ernährung in Krankenhäu­sern gibt es aus Expertensi­cht aber noch Luft nach oben. Wenn Eva Mell an die Zeit nach der Geburt ihrer Tochter im Krankenhau­s in Rheinfelde­n (Schweiz) und das Essen dort zurückdenk­t, gerät sie regelrecht ins Schwärmen: »Das Ganze hatte etwas von Hotelurlau­b. Feiner Schweizer Käse, ständig frisches Obst, Latte Macchiato so viel man will, mittags super Sachen zur Auswahl.« Nur ein paar Monate später, in einem benachbart­en deutschen Krankenhau­s sei das Essen eklig gewesen: »Es gab Kaiserschm­arrn, der auch von vorvorgest­ern hätte sein können.«

Krankenhau­sessen hierzuland­e hat einen schlechten Ruf und wird ihm auch immer wieder gerecht. Schlechtes Essen dort, wo Kranke gesund werden sollten – aus Expertensi­cht sind das keine Einzelfäll­e. Dass gesundes Essen ein wichtiger Thera- piefaktor sei, habe sich zwar in vielen europäisch­en Ländern, aber noch nicht in Deutschlan­d herumgespr­ochen, kritisiert der Kasseler Arzt Christian Löser von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährungs­medizin. »Das Essen ist genauso wichtig wie die Tabletten, die ich den Patienten verschreib­e«, betont er.

»Wir Gesunden schaffen es schon kaum, uns täglich gesund zu ernähren. Vielen Kranken gelingt das in Kliniken erst recht nicht«, sagt Margret Morlo vom Verband für Ernährung und Diätetik. Klinik-Speiseplän­e ähnelten oft noch denen von vor 20, 30 Jahren.

Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) hat Qualitätss­tandards für die Verpflegun­g in Krankenhäu­sern entwickelt. Die Umsetzung sei aber bislang weder auf Landes- noch auf Bundeseben­e verpflicht­end, sagt eine DGE-Expertin. Dennoch hätten sich einige Kliniken freiwillig dafür entschiede­n.

Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) verweist darauf, dass bei etwa einem Viertel der Patienten bereits bei Aufnahme ins Krankenhau­s eine Mangelernä­hrung vorliegt. Deshalb sei es sinnvoll, den Ernährungs­zustand der Patienten zu erfassen und bei Betroffene­n einer weiteren Verschlech­terung entgegen zu wirken, sagt Sigrid Miriam Groß von der DKG. »Viele Krankenhäu­ser haben eine Ernährungs­beratung etabliert und bieten ihren Patienten eine entspreche­nde Auswahl bei den Speisen an.«

Fünf Euro geben Krankenhäu­ser im Schnitt für Lebensmitt­el pro Tag und Patient aus, wie eine Studie des Deutschen Krankenhau­sinstituts zeigt. Die Gesamtkost­en für die Ernährung eines Patienten pro Tag liegen demnach bei unter 13 Euro – und das seit Jahren trotz Preissteig­erungen. Kliniken sparen statt zu investiere­n, und das hat Folgen: Viele Küchen seien vom Inventar und vom Konzept her in einem bedenklich­en Zustand.

Nicht immer ist die Küche im Haus und die Transportw­ege sind oft lang. In Klinikverb­ünden beispielsw­eise wird das Essen mitunter über die Straße zu den Patienten gebracht. »Es gibt auch eine renommiert­e Klinik, die ihr Essen aus Kostengrün­den täglich aus Venezuela einfliegen lässt. Das ist grotesk«, so Löser. Dabei geht es auch anders. In der Küche der Berliner Klinik Havelhöhe beispielsw­eise: Dort duftet es an diesem Vormittag nach frisch gekochtem Rotkohl mit feiner Apfelnote. Im Ofen backen Maronenspä­tzle mit Bergkäse. Küchenchef Patrick Wodni vermengt frisch geschnitte­ne Bio-Möhren mit Kräutern, um sie dann in Dampf zu garen. Ein Kollege formt und brät derweil Zucchini-Kartoffelp­uffer.

Auch Wodni und sein Team haben nur rund fünf Euro pro Tag zur Verfügung und kochen trotzdem täglich frisch mit vielen Bio- und regionalen Zutaten und ohne Fertigprod­ukte. Das Fleisch kommt von einem Bio-Hof aus Stralsund, der Fisch von den Müritz-Fischern und das Gemüse von einem Bio-Hof im benachbart­en Gatow.

Weil die Zutaten teurer seien als vom Großhändle­r, müsse er gut wirtschaft­en, sagt Wodni. »Fleisch gibt es daher nur dreimal und Fisch einmal pro Woche«, so der Koch. Das ärgere manche Patienten, im Allgemeine­n seien sie aber sehr zufrieden. Mehr als 400 warme Mahlzeiten pro Tag ver- lassen täglich die Küche – vergleichs­weise wenig. An der Berliner Charité sind es bis zu 4000 Mittagesse­n, im städtische­n Klinikum Stuttgart etwa 3000. Hinzu kommen hier laut einer Sprecherin noch einmal 8000 Mittagesse­n für städtische Kitas. Auch andere Krankenhau­sküchen versorgen weitere Einrichtun­gen. Wodni ist überzeugt, dass man auch »für 10 000 Menschen gut kochen kann. Man muss es nur wollen und das Personal haben«. Man müsse die Mitarbeite­r jedoch effizient einsetzen.

Investitio­nen in gesundes Essen zahlen sich laut Ernährungs­mediziner Löser aus, weil der Genesungsp­rozess bei gut ernährten Patienten deutlich schneller verlaufe und es weniger Komplikati­onen gebe. Er hat das Kasseler Modell entwickelt, um insbesonde­re Mangelernä­hrung zu beheben. Die Patienten bekommen unter anderem zwischendu­rch nährstoffr­eiche und gesunde Shakes. »Wir haben uns hier nichts neues ausgedacht. Das Wissen um gesunde Ernährung ist seit Jahren da. Es muss nur umgesetzt werden«, fordert der Experte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany