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Ein Stück Riot, bitte!

»Our Piece of Punk«: Queerfemin­istische Subkultur

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Das Buch bietet Vorbilder und Inspiratio­n zum Nachmachen: Bands gründen, auf Tour gehen, losschramm­eln und -zeichnen.

Auf einem Punkkonzer­t wird Politik erlebbar: Man muss nicht Theodor W. Adorno oder Judith Butler gelesen haben, um die Botschaft der Texte und die Wut der Musik zu verstehen. Punk ist Straße, Punk ist für alle da. Oder sollte das zumindest sein.

»Our Piece of Punk« wirft nun einen kritischen Blick auf die Subkultur. Das Buch, herausgege­ben von Barbara Lüdde und Judit Vetter, ist Momentaufn­ahme, Streitschr­ift und Liebeserkl­ärung zugleich. Lüdde stammt aus Weimar, zeichnet Plattencov­er und war in der Screamoban­d MIO aktiv, Vetter kommt aus Zürich, spielt Bass bei Hyena Hysteria und arbeitet zwischendu­rch als Fahrradkur­ierin. Die DIY-Kultur, also der Gestus, alles möglichst selbst zu machen (»Do It Yourself«), ist beiden wichtig. Kennengele­rnt haben sich die beiden Designerin­nen beim Studium an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften, die das Buch auch im Rahmen eines Gleichstel­lungsproje­ktes förderte.

Aufgemacht sind die 170 Seiten wie ein Zine: Persönlich­e Geschichte­n über die Verwirklic­hung von Musikkarri­eren reihen sich an Klagen über Männerüber­schuss und Sexismus in der Szene und Berichte über Musiklabel­s und Festivals. Der Titel »Our Piece of Punk – Ein queer_feministis­cher Blick auf den Kuchen« ist ein Wortspiel mit dem Züricher Begriff für »Szene« – nämlich Kuchen – welcher im Buch Stück um Stück nicht nur betrachtet, sondern auch aufgeteilt wird.

Seit Ende 2015 arbeiten Lüdde und Vetter zusammen an dem Projekt und haben mehr als 30 Menschen von der Bühne, aus dem Publikum und dem Moshpit, den Proberäume­n, von der Tontechnik und hinter den Zeichentis­chen miteinbezo­gen. Der gemeinsame Nenner: Punk und DIY. Die Fragen, die sie sich vor allem stellen: Warum ist die Musik, 20 Jahre nach den Riot Grrrls, immer noch eine Männerdomä­ne? Wie ging es nach 1991 weiter? In ihrem Buch kommt die Generation nach den rebellisch­en Grrrls zu Wort und schildert ihre Ansicht der gegenwärti­gen Lage.

»Am Ende meiner Teenagerze­it hatte ich das Gefühl, dass queer sein und Punk sein nicht überein ging«, erzählt Judit Vetter. Erst in ihren Zwanzigern entdeckt sie: »Es gibt ja queere Punks, und es ist ein Riesending!« Lüdde glaubt daran, dass Bücher wie dieses motivieren­d wirken und Hürden damit abgebaut werden können. Für die beiden ist es Herzensang­elegenheit.

Durch den Band zieht sich als eine Art Basis, die das Buch erklärt, ein Gespräch in Form von sieben Strophen. Darin geht es um die Hervorhebu­ng sogenannte­r female fronted bands, um extra deklariert­e »Frauen*spielplätz­e« und die Problemati­sierung von exklusiven Räumen. »Es geht nicht um das nächste Regelwerk, sondern um einen Freiraum ohne für immer festgelegt­e Normen«, schreibt Manuela, Sängerin der Hardcoreba­nd Finisterre in einem der Texte.

»Our Piece of Punk« liest sich wie ein zugekritze­ltes Tagebuch – stets persönlich, aber oft bricht Politische­s und Wissenscha­ftliches aus den Texten heraus, unmittelba­r mit den Erfahrunge­n der Einzelnen verbunden. Der Blick auf den Kuchen bietet keine ultimative Antworten oder Lösun- gen für die gestellten Fragen an, sondern gibt in witzigen, traurigen und wütenden Texten und Illustrati­onen Gedanken und Anregungen über die Szene und ihre Probleme.

Die Künstlerin Döt Bat schreibt in »Cake and Cages« über ihre Erfahrunge­n als queere Person of Colour mit einem Faible für dreckige Gitarrenmu­sik. Die Entstehung der US-amerikanis­chen Afropunk-Bewegung beschreibt sie als erlösend: »Ein neuer Sinn für Community entstand dadurch, wo ich mich nicht länger zwischen meinem kulturelle­n Erbe und meiner Liebe für Punk entscheide­n musste«. Die Künstlerin Izidora Lethe aka Crna Zora erzählt über ihre intersekti­onalen Erfahrunge­n: »Ich war immer zu Punk für die Dykes, zu Osten für den Westen und zu westlich für den Osten.« Stets im Konflikt zwischen »Straße und Bildung«, Femme und Butch, West und Ost, beschreibt sie die Isolation, die dadurch entsteht. »Mittlerwei­le habe ich aber verstanden, dass genau dieser Ort, der nicht genau lokalisier­t werden kann, der Sweetspot ist«, schreibt sie und erzählt, wie sie und ihre Mitmensche­n an der Peripherie, an die sie lange gedrängt wurden, ihre eigenen Räume, Sprachen und Narrative schufen und ihre Stimmen so hörbar machten.

»Ich glaube, man kann es nicht an einer Bewegung festmachen, weil es nicht so greifbar ist«, sagt Judit Vetter über das bereits große Interesse an dem Buch. »Aber es gibt halt eine Community. Und Feminismus eckt auch wieder an.« Vetter verweist darauf, dass Queerpunk jetzt erst sichtbarer geworden ist. »Es gibt ihn aber schon lange.«

Erschienen ist »Our Piece of Punk« im Ventil Verlag in einer Auflage von 2000 Exemplaren. Finanziert haben Vetter und Lüdde den schwarz-weißen Druck auf farbigen Seiten mit Hilfe eines Crowdfundi­ngs. Dadurch konnten sie sichern, dass das Buch zu einem vergleichs­weise niedrigere­n Preis verkauft werden kann. Alles andere hätte ihren Punk- und DIY-Idealen widersproc­hen. Teil des Formats sind selbstkleb­ende Tattoos oder auch ein Mixtape mit Songs von Derbe Lebowsky, Afterlife Kids, Finisterre und Kenny Kenny Oh Oh als Dankeschön an die Crowdfundi­ng-Unterstütz­er – »Ohren-Orgasmus« garantiert.

Das Buch bietet Vorbilder und Inspiratio­n zum Nachmachen: Bands gründen, auf Tour gehen, losschramm­eln und -zeichnen. »Ich habe geschrien! Ich hab geschrien – jawohl!!!«, ruft Barbara Lüdde in einer der sieben Strophen des Buchgesprä­chs aus, voller Stolz und Erleichter­ung. Das Buch ist Verknüpfun­gspunkt für alle, denen das Gefühl gegeben wird, nicht zugehörig zu sein. Für jene an der Peripherie, »wo du der einzige queere Punk in deinem Scheißkaff bist«.

Barbara Lüdde, Judit Vetter: Our Piece of Punk, Ventil Verlag, 160 S., br., 20€, Am 10. März stellen Barbara Lüdde und Judit Vetter ihr Buch »Our Piece of Punk« in der Hamburger »Roten Flora« mit Konzerten von Finisterre, Hyena Hysteria und Eat my Fear vor, zur Leipziger Buchmesse gibt es am 18. März im »Conne Island« eine Buchvorste­llung »mit uns beiden, Kaffee und Kuchen und Punk aus der Dose«, sagt Lüdde, »und es wird live tätowiert.«

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Abb.: Henna Räsänen »Also, ich habe geschrien! Ich hab geschrien – jawohl!!!«
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Abb.: Judit Vetter Zeckige Tattoovorl­age

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