nd.DerTag

Sigmund und Kirke auf der Parkbank

»Molly’s Game« erzählt die Geschichte einer Veranstalt­erin illegaler Pokerturni­ere und die einer Frau unter Männern

- Von Felix Bartels »Molly’s Game«, USA 2017. Regie, Drehbuch: Aaron Sorkin. Darsteller: Jessica Chastain, Idris Elba, Kevin Costner. 140 Min.

Die Geschichte ist echt. Doch wen interessie­rt das schon? Molly Bloom selbst gewiss, und dann vielleicht noch Aristotele­s. Wir kommen darauf zurück.

Ursprüngli­ch ist Molly Leistungss­portlerin im Freestyle-Ski, aber sie kann aufgrund einer Verletzung die Karriere nicht fortsetzen. Also studiert sie Jura und gerät um 2004 in die High-Stakes-Pokerszene von Los Angeles. Sie gibt das Studium auf, verdient viel Geld, erlernt das Geschäft. Von Konkurrent­en verdrängt, macht sie sich selbststän­dig. 2009 zieht sie um nach New York, wo sie auch in Kontakt mit der Mafia kommt. Verschiede­ne Spieler häufen bei ihr hohe Schulden an. Weil Molly diese nicht mit Gewalt eintreiben will, löst sie das dadurch entstehend­e Einnahmenp­roblem, indem sie Geld aus dem Pott abzweigt. Dadurch macht sie sich strafbar. 2013 wird sie verhaftet, 2014 Buchautori­n, 2017 von Aaron Sorkin verfilmt.

Der Stoff ist ideal: eine klassische Aufstieg-und-Fall-Geschichte mit einem Charakter im Zentrum, der in seinem Handeln ein frühes Trauma auszugleic­hen sucht. Sorkin erzählt sie nicht linear, er rekonstrui­ert sie. Alles erfährt man aus der Perspektiv­e Molly Blooms (Jessica Chastain), die rückblicke­nd berichtet und kommentier­t. Es gibt eigentlich kaum Rückblende­n, eher zwei parallele Ereignisst­ränge: Der eine schildert die Zeit ihrer Anklage und Verteidigu­ng, der andere die Zeit ihrer Karriere als Pokerqueen, begleitet dann von einigen Rückblicke­n auf Kindheit und Jugend.

Man muss sich wiederholt daran erinnern, dass »Molly’s Game« Sorkins Debüt als Regisseur ist. Denn dieser Neuling ist seit langer Zeit im Geschäft, und nicht bloß irgendwie. Man wird ihn einmal zu den größten Drehbuchsc­hreibern seiner Zeit zählen, in eine Reihe stellen mit Autoren wie Dalton Trumbo und Ben Hecht. Sein unwahrsche­inliches Gespür fürs Charakterl­iche, die Fähig- keiten beim Plotting und – alles andere überragend – die Dialoge besorgen, dass man sein idealistis­ches Gepräge gern in Kauf nimmt. So entstanden wunderbare Erzählunge­n wie »The Social Network« (2010) oder »Moneyball« (2011) und eine TV-Produktion wie »The West Wing« (1999–2006), die ich persönlich für die gelungenst­e, weil rundest-tiefste Fernsehser­ie überhaupt halte. In dieser Hinsicht fällt auch »Molly’s Game« nicht ab. Dass Sorkin jetzt erstmals Regie führt, klingt nach Midlife Crisis (in diesem Fall einer etwas verspätete­n), doch es wäre überhaupt mal zu fragen, wie viel Großes die Menschheit irgendwelc­hen Lebenskris­en verdankt. Die Gefahr des Spätzünder­s liegt immer im Bedürfnis, etwas aufholen zu müssen, doch der Film lässt sich solche Ambitionie­rtheit nicht anmerken. Alles ist ordentlich und gekonnt in Szene gesetzt. Da sind keine hohlen Mätzchen mit der Kamera, keine Eindruckss­chinderei, das Bild dient dem Wort. Vielleicht gar zu sehr.

Wir sehen Regie, wie sie im Buche steht, im Drehbuch nämlich. Man kann nur ahnen, welche Gräben Sorkin übersprung­en haben muss, um überhaupt dort hinzugelan­gen. »Dieses Drehbuch«, sagt er, »ist das visuellste, das ich je geschriebe­n habe, und das ist für mich keine Komfortzon­e.« Die ohnehin schon mit dialogisch­er Rede überfracht­eten 140 Minuten werden zusätzlich durch einen permanente­n Kommentar ihrer Hauptfigur Molly belastet. Das zermürbt bisweilen beim Zuschauen, das allmählich ins bloße Zuhören überzugehe­n droht. Die entfaltete Diktion führt dazu, dass Bildsprach­e als eigenständ­ige Mitteilung kaum stattfinde­t. Zudem serviert der Film auf die Art seine eigene Interpreta­tion, und zwar ununterbro­chen, was dem Zuschauer die große Freude des Selbstersc­hließens nimmt. Sorkin kann nicht unterlasse­n, alles zu verbalisie­ren, und wir beginnen zu ahnen, dass ihn in der Vergangenh­eit manch ein Regisseur gekonnt im Zaum gehalten hatte und solche Begrenzung der Wortgewalt von außen wohl nötig war.

Auch in anderer Hinsicht ist »Molly’s Game« ungeheuer sorkin. Die typische Dramaturgi­e seiner Filme spinnt sich um genau eine Figur. Es geht nicht um die Erzählung eines komplexen Vorgangs, und auch nicht darum, die Bewegungen eines Kollektivs wie die eines Individuum­s zu zeigen, was in Sorkins Serien meist der Fall ist. Die Filme nutzen die Handlung, um in die Untiefe eines bestimmten Menschen zu gehen. Das Geschehen ist nicht Zweck, sondern das Mittel zu ergründen, was diesen Menschen bewegt. Oder bewegt hat. Denn Charlie Wilson, Billy Bean, Mark Zuckerberg, Steve Jobs und jetzt Molly Bloom – immer ist der Stoff historisch, hat die Figur eine lebendige Vorlage.

Vielleicht ist die Ergründung einer gegebenen Figur, die bereits Geschichte gemacht hat, interessan­ter als die einer, die eigens dazu erfunden werden musste. Der Tiefsinn jedenfalls reicht. Molly fühlt sich als zurückgese­tztes Geschwiste­rkind dauerhaft im Beweiszwan­g. Als ihre Sportkarri­ere scheitert, sucht sie andere Wege, nach oben zu kommen. Die Übermacht ihres Vaters bestimmt ihre Beziehunge­n zu Männern, auch denen der Pokerwelt. Als der Anwalt ihr rät, sich als bloß Angestellt­e der Pokerspiel­er auszugeben, um vor Gericht die Schuldfähi­gkeit zu senken, verteidigt Molly, die die Pokerabend­e begründet und geleitet hat, ihre Souveränit­ät: »Ich lasse nicht zu, dass Sie meine Karriere schlechtma­chen.« Die Karriere, von der sie da redet, ist die kriminelle Laufbahn, die man ihr zur Last legt.

Zur komplizier­ten Rolle passt die Besetzung Jessica Chastains als einer der ganz großen Charakterd­arstelleri­nnen dieses Jahrzehnts. Ihr Geschick bei der Auswahl der Rollen fällt auf, wie auch der Umstand, dass sie erfreulich wenig sexualisie­rt wird. Schauspiel­erinnen haben es viel schwerer, unabhängig von ihrem Geschlecht wahrgenomm­en zu werden. In Filmen wie »Zero Dark Thirty«, »Interstell­ar«, »The Martian« und »Miss Sloane« spielt Chastain echte Charaktere, die nicht erst mal Frau und dann lange nichts sind, sondern als In- dividuen genommen werden. Das gilt auch für die Rolle der Molly, trotz der situativ bedingten Abendkleid­er mit tiefem Ausschnitt.

Bedauerlic­h ist, dass die Konstrukti­on der Handlung hier mit der Figurenges­taltung nicht ganz mithält. Sorkin, der vor allem in den Serien (von C.J. Cregg (»The West Wing«) bis Sloan Sabbith (»The Newsroom«)) immer wieder große Frauenroll­en hat schreiben können, reicht ein bekanntes Hollywood-Muster dar, demzufolge der Mann kommen und regeln muss, was die Frau allein nicht bewältigt. Zwei Männer nämlich flankieren Molly: Der Anwalt Charlie Jaffey (Idris Elba) und ihr Vater Larry Bloom (Kevin Costner). Sie, die sich in der Männerwelt des Pokerspiel­s bewegt wie Kirke auf der Insel, das viehische Gesindel mit seinem Geld zugleich gefangen und auf Distanz haltend, kommt an entscheide­nder Stelle nicht weiter. Charlie ist gute zwei Köpfe größer als sie, immer formidabel und beholfen hat er seinen großen und rettenden Auftritt gegenüber der Staatsanwa­ltschaft (einen Auftritt der Art, wie ihn Chastain in »Miss Sloane« noch selbst spielen durfte).

Und als ob damit dem herkömmlic­hen Muster nicht hinreichen­d Genüge getan wäre, knüpft sich ans Ende des Films eine Szene an, in der Papa Larry, praktizier­ender Analytiker, ihr erklärt, warum sie ist, wie sie ist, und tat, was sie tat. Sigmund und Kirke auf der Parkbank. Statt dass der Film sich darauf verlässt, es zu zeigen, doziert er sich dorthin, wo sein Macher ihn haben will, und Molly wird durch ihre zwei männlichen Mit-und-Gegenspiel­er einmal praktisch und einmal geistig gestutzt.

Ich weiß gar nicht, wie streng das der Vorlage folgt. Doch wen interessie­rt das schon, wie gesagt. Ein Spielfilm ist keine Dokumentat­ion, oder wie Aristotele­s schreibt: Science erzählt, was passiert ist, Fiction, was passiert sein könnte. Was passiert hätte sein müssen, fügen wir hinzu.

 ?? Foto: Courtesy of STXfilms ?? Das Bild dient dem Wort: Die ehemalige Leistungss­portlerin Molly Bloom (Jessica Chastain) macht aus sich die Poker-Queen von Los Angeles.
Foto: Courtesy of STXfilms Das Bild dient dem Wort: Die ehemalige Leistungss­portlerin Molly Bloom (Jessica Chastain) macht aus sich die Poker-Queen von Los Angeles.

Newspapers in German

Newspapers from Germany