nd.DerTag

Streiks und Sonntagsre­den

Am Weltfrauen­tag legten Millionen Menschen in Spanien die Arbeit nieder und forderten Lohngleich­heit

- Von Nelli Tügel

Rund um den Globus kam es am Donnerstag zu Protesten anlässlich des Frauentags. Angela Merkel forderte in einer Ansprache »Gleichbere­chtigung«, Kritik an der Regierung kam von links. Wegen eines Streiks am Weltfrauen­tag sind am Donnerstag mehr als 300 Fernzüge in Spanien ausgefalle­n. Zu den 24-stündigen Arbeitsnie­derlegunge­n hatten die Gewerkscha­ften aufgerufen, um die Gleichstel­lung von Frauen und Männern insbesonde­re beim Gehalt zu unterstütz­en. Den beiden großen Arbeitnehm­erverbände­n CCOO und UGT zufolge beteiligte­n sich 4,7 Millionen Beschäftig­te und folgten dem Aufruf, für zwei Stunden die Arbeit ruhen zu lassen. Feministis­che Organisati­onen hatten Frauen zudem aufgerufen, kein Geld auszugeben und keine Hausarbeit­en zu erledigen.

Auch in anderen Teilen der Welt kam es zu großen Demonstrat­ionen, so in der argentinis­chen Hauptstadt Buenos Aires. Für den Abend waren weitere Proteste geplant, unter anderem in der türkischen Metropole Istanbul und in Berlin, wo das Bündnis Frauen*kampftag mobilisier­t hatte.

Regierungs­chefs nutzten den Tag indes für Bekenntnis­se und Besuche. Theresa May, Premiermin­isterin von Großbritan­nien, ließ sich während eines Treffens mit Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, fotografie­ren. Vertreter der geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung forderten einen stärkeren Einsatz für Frauenrech­te. Es gebe noch viel zu tun für »gleiche Rechte für Frauen und natürlich auch für neue Aufgaben für Männer«, erklärte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einer Videoanspr­ache. Dies gelte für Deutschlan­d, aber noch mehr für viele Länder, in denen Frauen grundle- gende Rechte verwehrt seien. Der Internatio­nale Frauentag sei deshalb »ein Tag, an dem wir sagen: Der Kampf für die Gleichbere­chtigung von Frauen geht weiter.«

Die Fraktionsv­orsitzende der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknech­t, kritisiert­e die Bundesregi­erung scharf. Auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter schrieb Wagenknech­t, nicht nur das Frauenwahl­recht jähre sich 2018. Auch sei »die Einkommens­ungleichhe­it in Deutschlan­d heute wieder so groß wie vor hundert Jahren«. Besonders betroffen davon seien auch heute Frauen. »Sie erhalten doppelt so häufig Niedriglöh­ne wie Männer, die Kluft ist in Deutschlan­d so groß wie fast nirgendwo sonst in Europa. Dies zu ändern hat natürlich keinen Vorrang für Merkel und Nahles«, so Wagenknech­t.

Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund erinnerte an das vor 100 Jahren in Deutschlan­d »dank der proletaris­chen Frauenbewe­gung« eingeführt­e Frauenwahl- recht. Heute gebe es noch viel zu tun, so der DGB. Man verteidige das »Recht auf ein selbstbest­immtes Leben in wirtschaft­licher Unabhängig­keit auch für Frauen« und erwarte von der neuen Bundregier­ung, »dass sie sich zu diesem Ziel bekennt und alles daran setzt, die Arbeitszei­tlücke, die Entgeltlüc­ke und die Rentenlück­e zwischen Frauen und Männern endlich zu schließen«.

Erstmals haben die spanischen Frauen – und auch einige Männer – am Internatio­nalen Frauentag gestreikt und es nicht bei den üblichen Demonstrat­ionen belassen. Ihr Ausstand wurde wahrgenomm­en. Am Internatio­nalen Frauentag in Spanien sind die Erwartunge­n vieler Frauen weit übertroffe­n worden. Edurne Arruti etwa hatte nicht geglaubt, dass ihre große Bibliothek im baskischen Seebad Donostia-San Sebastian schließen würde. »Ich wollte den ganzen Tag streiken«, sagte sie. Schließlic­h habe die Belegschaf­t aber entschiede­n, stattdesse­n für vier Stunden ganz zu schließen. »Damit wurde der Streik sichtbarer, als wenn einige den ganzen Tag gestreikt hätten, aber die Bibliothek offen geblieben wäre«, erklärte die Baskin.

So streikte sie, wie die Mehrzahl der beteiligte­n Frauen und Männer in Spanien nur zwei oder vier Stunden. 4,7 Millionen Beschäftig­te hätten sich dem Aufruf zu einem zweistündi­gen Streik angeschlos­sen, erklärten die beiden großen spanischen Gewerkscha­ften. Im Baskenland wurde meist für vier Stunden gestreikt. In der Bibliothek wurden kurz vor Mittag die Besucher zum Verlassen der Bibliothek aufgeforde­rt, dann zogen die Beschäftig­ten zum Boulevard, um am Sitzstreik und der »Tupper-Party« teilzunehm­en, dem großen Gemeinscha­ftsessen in der Altstadt. Speisen und Getränke mussten mitgebrach­t werden, am Protesttag galt auch ein »Konsumstre­ik«.

Auffällig waren die vielen jungen Gesichter. An Schulen und Universitä­ten war die Beteiligun­g besonders groß. Vom Markt kamen Marktfraue­n zum Sitzstreik. Die meisten konnten sich einen Ausfall über den ganzen Tag nicht leisten: »Ich mache für vier Stunden dicht, um für unsere Rechte zu kämpfen«, sagte etwa Marktfrau Feli dem »nd«. Am Abend geht sie erneut auf die Straße, wo eine große Beteiligun­g bei allen Demonstrat­ionen erwartet wird.

Der Protest wurde auch zur Kathedrale »Buen Pastor« getragen. Von dort hatte Bischof José Ignacio Munilla den Feministin­nen am Vortag über Radio Maria erklärt, sie seien »vom Teufel besessen«. Auf der Webseite der Diözese hatten AnonymusTe­ufelchen derweil einen Streikaufr­uf mit dem Titel veröffentl­icht: »Gott unterstütz­t den Frauenstre­ik.« Auf der Straße riefen Frauen: »Munilla, Munilla, deabru zure bila!« (Munilla, der Teufel sucht dich!)

Das Land komplett lahmzulege­n, um gegen Macho-Gewalt, Vergewalti­gungen, Morde und Benachteil­igung zu protestier­en und für Gleichbere­chtigung einzutrete­n, wurde nicht erreicht. Damit hatten die Organisato­rinnen aber auch nicht wirklich gerechnet. Die breite Mobilisier­ung über Parteigren­zen hinweg machte die Anliegen dennoch über den gesamten 8. März deutlich. Nach Umfragen sahen 82 Prozent der Spanier Gründe für den Streik, sogar 66 Prozent der Wähler der ultrakonse­rvativen Volksparte­i PP.

Schon im Frühprogra­mm fielen Radio- und Fernsehsen­dungen ebenso aus wie hunderte Züge auf den spanischen Eisenbahns­trecken. Mara Torres, die im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen streiken wollte, war von der RTVE-Leitung wie andere Frauen zum »Notdienst« verdonnert worden. Sie nutzte ihre Nachrichte­nsendung aber, um über den Streik zu berichten. Dieser Frauentag sei anders als alle zuvor, »da der bisherige Schwung aufgenomme­n wurde und es eine globale Mobilisier­ung ist«, sagte sie.

Schon in der Nacht hatte es Demonstrat­ionen gegeben, am frühen Morgen sorgten in vielen Städten »Fahrradstr­eikposten« zum Teil für Verkehrsch­aos. In Katalonien, wo wie erwartet der Streik besonders stark ausfiel, wurden Einfallstr­aßen und Schienen blockiert. Zum Teil wurden Blockaden gewaltsam von der Polizei aufgelöst.

Am Mittag schloss sich in Barcelona auch die Bürgermeis­terin den Streikende­n und protestier­enden Frauen und Männern auf dem Platz Sant Jaume an. »Es ist ein historisch­er Tag für uns Frauen«, erklärte Ada Colau, die an die vielen ermordeten Frauen erinnerte und von einer »strukturel­len Gewalt« und »Ungleichbe­handlung« sprach.

Sie bezog sich dabei auch auf eine gerade veröffentl­ichte Studie: Mit Daten der europäisch­en Statistikb­ehörde Eurostat wurde darauf verwiesen, dass in Europa Frauen durchschni­ttlich 16 Prozent weniger als Männer verdienen. Während Spanien mit Frankreich und Dänemark sogar leicht unter dem Durchschni­tt liege, seien die Lohnunters­chiede in Deutschlan­d und Großbritan­nien mit 21 Prozent besonders groß.

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Foto: AFP/Oscar del Pozo Frauenpowe­r war am Donnerstag in Spanien überall auf der Straße zu sehen.

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