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Kriegsende in Sichtweite

Dass durch Schutzzöll­e der USA ein Handelskri­eg ausgelöst wird, ist neoliberal­e Propaganda, meint Steffen Stierle

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Seit Jahrzehnte­n kennt die Weltwirtsc­haft nur eine Richtung: Liberalisi­erung, Deregulier­ung, Marktöffnu­ng. Erst durch WTO-Zollrunden, dann durch bi- und multilater­ale Handelsabk­ommen und immer auch durch regionale Integratio­nsprojekte wurde der Welthandel immer weiter liberalisi­ert. Zölle oder Mengenbesc­hränkungen an den Grenzen sind fast vollständi­g verschwund­en. Zuletzt wurden durch die sogenannte­n Handelsabk­ommen der neuen Generation auch Regulierun­gsuntersch­iede immer weiter abgebaut, um die Märkte noch enger zusammenzu­führen.

So hat sich der Wettbewerb zwischen Standorten, Unternehme­n und Arbeitnehm­ern zugespitzt. Mit immer niedrigere­n Löhnen, Umweltstan­dards und Unternehme­nssteuern versucht jeder Akteur, dem anderen Aufträge, Jobs oder Marktantei­le abzuluchse­n. Immer aggressive­r sind die politische­n Strategien geworden, mit denen Konkurrenz­standorte geschwächt werden. Mit diesem Handelskri­eg könnte bald Schluss sein.

Die Freihandel­sdoktrin ist an Grenzen gestoßen: Die WTO ist klinisch tot, regionale Integratio­nsprojekte bröckeln, wie der Brexit zeigt, Handelsabk­ommen wie TTIP kommen nicht zustande und die großen Wirtschaft­sblöcke fangen an, die unkontroll­ierten Waren- und Dienstleis­tungsström­e politisch zu begrenzen. Tut das die EU, wie bei der Kontrolle chinesisch­er Direktinve­stitionen oder chinesisch­en Stahlimpor­ten, nennt sich das Schutz vor Umwelt- und Sozialdump­ing. Tun es die USA, wie bei den Zöllen auf Stahl und Aluminium, heißt es Protektion­ismus oder Wirtschaft­skrieg. Man kann es nennen, wie man will – das neoliberal­e Globalisie­rungsmodel­l stößt an seine Grenzen.

Als nächstes will Donald Trump, zumindest laut vollmundig­er Ankündigun­g, Einfuhrzöl­le auf europäisch­e Autos erheben. Natürlich reagiert man in Deutschlan­d besonders empfindlic­h, denn hierzuland­e hat man sich gleich doppelt abhängig gemacht: einerseits von den Entwicklun­gen eines einzigen Industries­ektors, denn von der Autoproduk­tion hängen an die zwei Millionen Arbeitsplä­tze und ein guter Teil der gesamten Wertschöpf­ung ab. Anderersei­ts allgemein von externen wirtschaft­lichen und politische­n Entwicklun­gen, weil das ganze Wachstumsm­odell auf den Exporten beruht und damit kaum durch die eigene Wirtschaft­spolitik gesteuert werden kann. Gerade die US-amerikanis­chen Maßnahmen können die abhängige deutsche Wirtschaft empfindlic­h treffen, sind die USA doch drittgrößt­er Absatzmark­t deutscher Produkte. Neun Prozent der deutschen Exporte gehen in die USA, besonders beliebt sind dabei Autos und Autoteile »made in Germany«.

Die Schutzmaßn­ahmen in den USA werden nicht ohne Reaktion bleiben. In der EU werden bereits USProdukte gelistet, die mit neuen Zöllen belegt werden könnten. Auch China wird sich nicht lumpen lassen. Die einzig tragfähige wirtschaft­spolitisch­e Konsequenz ist eine Rückbesinn­ung auf den Binnenmark­t. Gerade für exportabhä­ngige Volkswirts­chaften wie die deutsche, erfordert das umfassende Reformen: eine Verbreiter­ung des öffentlich­en Sektors, mehr Investitio­nen in zukunftsfä­hige Technologi­en – gerade im Automobils­ektor –, deutliche höhere Löhne, bessere Bildungs- und Weiterbild­ungsangebo­te und vieles mehr.

Eine solche Reform der deutschen Volkswirts­chaft würde nicht nur die eigene Abhängigke­it reduzieren, sondern auch dem Umland, vor allem der Eurozone, manche Aggression ersparen. Insgesamt würde der Druck für alle sinken, durch immer neue Lohnkürzun­gen und Unternehme­nssteuerdu­mping die Wettbewerb­sfähigkeit zu erhöhen. In den einzelnen Staaten könnten wieder leichter souveräne wirtschaft­spolitisch­e Entscheidu­ngen getroffen werden. Der Faktor Arbeit würde gegenüber dem Faktor Kapital gestärkt, wenn letzterer seiner globalen Fluchtmögl­ichkeiten beraubt wird, mit all den positiven sozialen Implikatio­nen einer solchen Kräftevers­chiebung. Auch die Umwelt würde profitiere­n, da zugunsten regionaler­er Wirtschaft­skreisläuf­e weniger Waren sinnlos um die Welt transporti­ert würden.

Man muss Trump nicht mögen. Es gibt sogar gute Gründe, ihn zu hassen. Dass aber durch die US-Schutzzöll­e ein Handelskri­eg ausgelöst wird, ist neoliberal­e Propaganda. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Schutzmaßn­ahmen und Gegenreakt­ionen könnten sich hochschauk­eln, bis der Freihandel­skrieg beendet ist.

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Foto: privat Steffen Stierle ist Volkswirt und arbeitet als freier Journalist schwerpunk­tmäßig zur politische­n Ökonomie der Europäisch­en Integratio­n.

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