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»Metastasen« der Diktatur

- Von Hendrik Lasch

Sachsen war in der NS-Zeit von einem sehr dichten Netz an Internieru­ngsorten überzogen. Eine Publikatio­n, an der viele ehrenamtli­che Forscher mitwirkten, erinnert jetzt daran. Als die Nationalso­zialisten 1933 in Deutschlan­d an die Macht kamen, gingen sie umgehend gegen Gegner vor und interniert­en sie: zunächst in Turnhallen, Gasthöfen oder Kellern von Amtsgebäud­en, dann in frühen Konzentrat­ionslagern wie Hohnstein und Sachsenbur­g. Das Netz solcher Internieru­ngsorte war dabei nirgends so dicht wie in Sachsen. Von 110 »wilden« und frühen KZ in 80 Orten ist in einer bemerkensw­erten Publikatio­n die Rede, die jetzt von der Landeszent­rale für politische Bildung herausgege­ben wurde. Sie hätten, sagte Landtagspr­äsident Matthias Rößler bei deren Vorstellun­g, das Land »überzogen wie Krebsmetas­tasen«.

Der 624 Seiten starke Band mit dem Titel »NS-Terror und Verfolgung in Sachsen. Von den frühen Konzentrat­ionslagern bis zu den Todesmärsc­hen« ist ein beeindruck­endes Kompendium. Entstanden ist er dank akribische­r Forschungs­arbeit von rund 50 ehrenamtli­chen Historiker­n, die dafür in Stadt-, Kreis- und dem Bundesarch­iv geforscht, Publikatio­nen von KZ-Gedenkstät­ten sowie Zeitzeugen­berichte ausgewerte­t haben. Maßgeblich stützt sich der Band auf die Arbeiten einer Gruppe um den 91-jährigen Historiker Hans Brenner aus Zschopau. Sie war aktiv geworden, nachdem die Sächsische Akademie der Wissenscha­ften im Jahr 2006 einen »Atlas zur Geschichte und Landeskund­e von Sachsen« herausgege­ben hatte, der eine eklatante Lücke enthielt: Die Zeit von 1933 bis 1945 war ausgespart.

Um so detaillier­ter wird sie in der neuen Publikatio­n dargestell­t. Diese enthält unter anderem viele neue Erkenntnis­se über die Außenlager der KZ Flossenbür­g, Buchenwald und Groß Rosen, von denen es in Sachsen insgesamt 62 gab. Die »frühen KZ« sind ein weiterer Aspekt, der bisher nur ungenügend im Bewusstsei­n war. In Sachsen lag immerhin ein Fünftel der im gesamten Reich aufgebaute­n Lager. Die meisten bestanden nur Wochen oder Monate; das KZ Sachsenbur­g wurde im Juli 1937 als letztes aufgelöst. Zu dem Zeitpunkt war das System der »Großlager« wie Buchenwald, Dachau oder Sachsenhau­sen ausgereift. Die Methoden, mit denen Häftlinge dort schikanier­t wurden, hatten die Nazis in den frühen Lagern perfektion­iert; auch Wachmannsc­haften und die Lagerkomma­ndanten waren dort herangezog­en worden. Karl Otto Koch, der ab 1934 das KZ Sachsenbur­g leitete, ist dafür ein Paradebeis­piel: Er war später in ähnlichen Position in den Lagern Esterwegen, Lichtenbur­g, Dachau, Columbia, Sachsenhau­sen, Buchenwald und Maidanek tätig.

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