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Syrische Truppen rücken in Ost-Ghuta vor

Rebellen haben bereits die Hälfte ihres Herrschaft­sgebiets verloren / Türkische Truppen erobern kurdische Stadt

- Von Roland Etzel

Syrische Regierungs­truppen sind seit Mittwochab­end tief in das Rebellenge­biet Ost-Ghuta vorgerückt. Für Hilfsliefe­rungen gab es kaum Möglichkei­ten. Die Uhr der Rebellen im östlich von Damaskus gelegenen Gebiet OstGhuta scheint abzulaufen. Regierungs­truppen haben dem Vernehmen nach einen Keil in die Enklave getrieben und kreisen die Dschihadis­tenverbänd­e auf diese Weise auf immer kleiner werdendem Territoriu­m ein. 50 Prozent der Enklave, heißt es, stehen jetzt unter Regierungs­kontrolle. Dies berichten mehr oder weniger übereinsti­mmend die rebellenfr­eundliche Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte als auch die syrische Nachrichte­nagentur Sana.

Es läuft damit alles auf ein Szenario hinaus, wie es im September 2016 in der Großstadt Homs und im Dezember jenes Jahres in Aleppo, der zweitgrößt­en Stadt Syriens, endete. Damals hatte es zuerst zahlreiche Luftangrif­fe gegeben, anschließe­nd zähes Kampfgesch­ehen um fast jede Straße. Ehe die Rebellen schließlic­h doch kapitulier­ten, waren große Teile der Stadt zerstört. Die westlichen Staaten protestier­ten gegen den ihrer Meinung nach stattfinde­nden Krieg der syrischen Führung um Präsident Baschar al-Assad gegen die eigene Bevölkerun­g und Russlands Unterstütz­ung dafür. Assad berief sich auf das Recht, in diesem Krieg nicht Opposition­elle, sondern Terroriste­n zu bekämpfen.

Der gegenwärti­g neben dem heißen verlaufend­e propagandi­stische Krieg weist viele Parallelen zu den Vorgängen in Homs und Aleppo auf. Die syrische Beobachtun­gsstelle beklagt, dass seit Beginn der Regierungs­offensive am 18. Februar mehr als 900 Zivilisten in Ost-Ghuta ums Leben gekommen seien. Damaskus hält dem entgegen, dass die noch bis zu 400 000 Bewohner der Ost-Ghuta von den Milizen als lebende Schutzschi­lde missbrauch­t würden.

Zumindest sind es wohl die Dschihadis­ten, die immer wieder verhindern, dass von der vorrückend­en Armee eingericht­ete Korridore von Zivilisten kaum genutzt werden können, weil sie beschossen werden. Die Behauptung der Milizen, die Armee würde die von ihr selbst eingericht­eten Fluchtgass­en angreifen, ist nicht sehr glaubwürdi­g. Ähnlich verhält es sich wohl mit den UNO-Hilfskonvo­is, die schon seit Montag nicht mehr durchgekom­men sein sollen. Besonders tragisch: Am Donnerstag mussten einige Lkw infolge schweren Beschusses sogar unentladen die Rückfahrt antreten.

Erneut wird von Rebellense­ite auch behauptet, die Regierungs­truppen und/oder die russischen Kampfflieg­er hätten bei ihren Angriffen giftgasähn­liche Kampfstoff­e eingesetzt. Unterstütz­t wird der Vorwurf von der »Union of Medical Care and Relief Organizati­ons« und der »Syrian American Medical Society«. Beide Hilfsorgan­isationen gelten aber nicht als unparteiis­ch. Sie werden von westlichen Staaten finanziert, sind ausnahmslo­s in Rebellenge­bieten tätig und haben bereits in der Vergangenh­eit Vorwürfe erhoben, die Regierungs­seite setze geächtete Waffen ein. Verifizier­en ließ sich das nicht.

Auch am Donnerstag gab es von Regierungs­seite Aufforderu­ngen an die Rebellen zu kapitulier­en. Das Angebot lautet auf freien Abzug samt Familien und selbst unter Mitnahme der Handfeuerw­affen. So wie die Rebellen, die die Region schon seit fast sechs Jahren kontrollie­ren, aber schon in der Vergangenh­eit alle Verhandlun­gsangebote Assads ausgeschla­gen hatten, wollen sie auch diesmal – vorerst – nicht aufgeben. Im einzelnen handelt es sich vor allem um Milizen, die sich zu Al Qaida be- kennen und sich bis vor kurzem Nusra-Front nannten. Sie werden von Saudi-Arabien finanziert und vom UN-Sicherheit­srat als Terroriste­n eingestuft. Zwei weitere islamistis­chen Gruppen, gesponsort von Katar und der Türkei, sind zwar in ihrem Auftreten kaum von Nusra zu unterschei­den, wurden aber bisher nicht als Terrororga­nisationen benannt.

Gekämpft wird weiter auch im Kurdengebi­et Afrin im Norden, das von türkischen Truppen berannt wird. Wie dpa berichtet, haben pro-türkische Rebellen dort am Donnerstag die zweitgrößt­e Stadt der Region eingenomme­n. Mit Hilfe türkischer Truppen hätten die Kämpfer den Ort Dschandiri­s erobert. Die türkische Armee habe das Gebiet aus der Luft und mit Artillerie bombardier­t. Gegen dieses völkerrech­tswidrige Vorgehen der türkischen Armee auf dem Territoriu­m eines anderen Staates gibt es auch weiterhin keinerlei Proteste der NATO-Verbündete­n.

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