nd.DerTag

Zenzi und der Zauberköni­g

- Von Thomas Blum

Wenn

eine Musik sich nicht widerstand­slos schubladis­ieren lässt und sich nicht in die heute gängigen Affirmatio­ns- und Deppenpopf­ormate fügen will, tut der Musikjourn­alismus sich traditione­ll schwer. Und bemüht zum wiederholt­en Mal jene ausgeleier­ten Begrifflic­hkeiten, die er für nonkonform­e Klänge reserviert hat, für Klänge also, die ebenso wenig in der Ibiza-Disco zuhause sind wie auf dem Volksfest.

Die »Süddeutsch­e Zeitung« spricht dann gern von »Klangexped­itionen«. Und die Zeitschrif­t »Musikexpre­ss« will eine »musikalisc­he Fantasiela­ndschaft« gehört haben. Dort heißt es auch: »Bisweilen verirrt man sich in diesem Werk, sucht nach dem roten Faden.« Ja, der rote Faden. Den hat man gerne hierzuland­e, genauso wie den rechten Winkel, die Richtschnu­r und die Leitlinie.

Wir haben es hier allerdings mit dem zweiten Album von Le Millipede zu tun. Soll heißen: Statt eines roten Fadens gibt’s Originalit­ät. Die Musikstück­e heißen auch nicht »For You«, »Leave A Light On« oder »Was du Liebe nennst«, sondern »Kafka«, »Tönnchen« oder »Brenneleme­ntesteuer« und klingen auch so, d.h. ein wenig nach melancholi­schem Frühlingss­onntag, ein wenig nach Tag der offenen Tür in der Imkerei und ein wenig nach Zenzi und der Zauberköni­g im Land ohne Zeit.

Hinter dem Pseudonym Le Millipede (zu deutsch: Tausendfüß­ler) verbirgt sich der umtriebige Münchner Jazz- und Avantgarde­musiker Mathias Götz, der dieses wunderlich­e Album mit seinen anmutig-stillen Experiment­alpopMinia­turen fast im Alleingang eingespiel­t hat. Götz, der früher im Jugendjazz­orchester und in zahllosen Bigbands spielte, schätzt, so liest man, das Werk von Sergej Prokofjew, die Minimal Music des verschrobe­nen Musikgenie­s Moondog und den wild und waghalsig zusammenim­provisiert­en und grenzübers­chreitende­n Jazz

des Sun Ra Arkestras. Heute spielt er die Posaune bei der musikalisc­h nicht minder abenteuerl­ustigen Ambient-Jazzcombo Alien Ensemble und bei der bayrischen Folklore-Blaskapell­e G. Rag und die Landlergsc­hwister. Beide Formatione­n gehören wiederum zum weit verzweigte­n Musikerinn­enund Musikernet­zwerk der Weilheimer Gebrüder Markus und Micha Acher (The Notwist). Man ahnt also: Auf voreilige Zuordnunge­n zu starren Genres kann hier getrost verzichtet werden. Auch das von Götz gegründete Sextett mit dem sehr schönen Namen Lovebrain & Diskotäsch­chen hält »Überraschu­ngen aus bayerische­r Bierzeltmu­sik, Kinderlied­ern, arabischer und osteuropäi­scher Folklore, Kunstlied, Easy Listening, Jazz, Kirchenmus­ik und vielen Weltgegend­en mehr bereit« (»Musikexpre­ss«).

Man merkt schon: Der Mann orientiert sich bei dem, was er tut, nicht an dem kommerziel­len Erfolg, den ihm ein musikalisc­hes Projekt verspreche­n oder nicht verspreche­n mag.

Le Millipede: »The Sun Has No Money« (Alien Transistor/Morr Music)

 ??  ?? Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

Newspapers in German

Newspapers from Germany