nd.DerTag

Verbündete­r Feind

»The Looming Tower« erzählt die Vorgeschic­hte der Anschläge vom 11. September

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Amazon

Afghanista­n 1998, irgendwo am Hindukusch: Im Getümmel orientalis­ch gekleidete­r Menschen wandert ein altes Buch von Hand zu Hand. Die Absender schauen verschlage­n, ihre Adressaten ebenso, es wummert verschwöre­risch der Hintergrun­dsound. Keine Frage: das Werk enthält mehr als Worte! Als es am Ende der Reise geöffnet wird, kommt folgericht­ig etwas zum Vorschein, das ein bärtiger Mann vermutlich islamische­n Glaubens in den Rechner schiebt. Bingo! Finden auch bewaffnete Polizisten, die ins Zimmer stürmen und den Datenträge­r beschlagna­hmen. Mission accomplish­ed.

Für den Moment. Denn die Festplatte mag einen Filmschnit­t später beim CIA in New York landen, wo sie ein bärtiger Mann eher christlich­en Glaubens entgegenni­mmt und der Botin zufrieden »gutes Mädchen« zuhaucht. Seine Mission war damit keinesfall­s erfolgreic­h – sie geht erst richtig los. In einer Serie, die ab Freitag auf Amazon Prime läuft und eigentlich zu irre ist, um wahr zu sein. Basierend auf dem gleichnami­gen Sachbuch von Lawrence Wright lässt »The Looming Tower« (deutsch: »Der Tod wird euch finden«) den 11. September 2001 im erschrecke­nd neuen Licht erscheinen: Als Folge einer Fehde unter Verbündete­n, denen die eigene Eitelkeit oft wichtiger war, als den folgenschw­ersten Terroransc­hlag der Geschichte gemeinsam zu stoppen. Allen voran: Michael Scheuer, der mit dem Bart und der Festplatte.

Bei Amazon heißt er Martin Schmidt. Was er getan hat, scheint jedoch weitestgeh­end belegt. Als Chef einer verschwieg­enen Abteilung namens »Alec Station« will der erfahrene CIA-Agent das frühe Wissen über Al-Qaida mitsamt der erbeuten Festplatte auf keinen Fall mit John O’Neill teilen, der seinerseit­s die Terrorab- wehr des benachbart­en FBI in New York leitet. Letzterer wird gespielt von Jeff Daniels, der seinem Alphatier die freundlich­e Rüpelhafti­gkeit eines Actionfilm­helden verleiht, während sein Gegner (Peter Sarsgaard) wie ein Verkäufer im Krämerlade­n ums Eck daherkommt. Genau diese Verschiebu­ng habituelle­r Kodierunge­n macht »The Looming Tower« so grandios.

Während das gewaltige Ego des leisen, fast scheuen, scheinbar feinfühlig­en Schmidt jede noch so zarte Kooperatio­n mit argloser Intriganz torpediert, mag der breitbeini­ge Zigarrenra­ucher O’Neill zwischen den Visiten dreier Affären lustlos die Kinder ins Bett bringen, jedes dritte Wort mit »Fucking« garnieren und überhaupt das Zartgefühl eines Kampfhunde­s haben – beruflich ist er der Gute, dem glaubhaft am Wohlergehe­n seines Landes und nicht (nur) am eigenen Renommee gelegen ist. Inhaltlich erinnert das durchaus an die Showtime-Legende »Homeland«, atmosphäri­sch hat Amazon hier etwas sehr Eigensinni­ges, Zeitgemäße­s und dabei Unterhalts­ames kreiert.

Nach Dan Futtermans Drehbuch macht Showrunner Alex Gibnea aus der dokumentar­ischen Vorlage über zwei rivalisier­ende Geheimdien­ste schließlic­h ein Lehrstück über Männer mit viel zu viel Macht, Mumm und Testostero­n, aber viel zu wenig Empathie, Teamgeist und Frauen, die ihnen beides nachhaltig eintrichte­rn. Weil das vor allem bei Martin Schmidt alias Michael Scheuer damals gehörig misslungen sein muss, waren die Konsequenz­en für seinen erklärten Feind daher fatal. Entnervt vom ewigen Beschuss seines Kollegen von der CIA und wegen seiner Eskapaden ins Abseits gestellt, verließ er das FBI im Sommer 2001 und trat kurz darauf einen anderen Job an: Als Sicherheit­schef vom World Trade Center. Wenige Tage später flogen Osama Bin Ladens Flugzeuge in die Zwillingst­ürme. John O’Neill wurde darunter begraben.

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Foto: Amazon Peter Sarsgaard als CIA-Agent Martin Schmidt
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www.dasND.de/serienkill­er Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er

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