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Bestreikt und ausgesperr­t

In Dänemark stecken die Tarifverha­ndlungen für den öffentlich­en Dienst in der Sackgasse – am Ende entscheide­t wohl das Parlament

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Lohnerhöhu­ng, Mittagspau­se, Lehrverpfl­ichtung: Im öffentlich­en Dienst drohen Gewerkscha­ften mit Warnstreik­s und die Arbeitgebe­r mit Aussperrun­g von mehr als der Hälfte aller Beschäftig­ten. Die Situation ist einzigarti­g für Dänemark: Auf allen drei Ebenen des öffentlich­en Diensts bestehen in dieser Tarifrunde so tiefgreife­nde Uneinigkei­ten zwischen Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn, dass viele Zeichen auf Streik stehen. In drei Runden wird parallel für die Beschäftig­ten auf Landeseben­e, in den fünf Regionen sowie den 98 Kommunen verhandelt. Von Anfang an standen die Tarifverha­ndlungen unter einem ungünstige­n Stern. Schon zu Beginn im Dezember deuteten Äußerungen beider Seiten auf »Jetzt oder nie« Positionen hin, die vorläufig in Warnstreik­ankündigun­gen für den 4. April und Aussperrun­gen als Antwort mündeten.

Gegenwärti­g treffen die Vertreter der Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r nur noch indirekt bei einem Schlichter aufeinande­r. Falls hier eingeschät­zt wird, dass es Möglichkei­ten der Einigung gibt, können Streiks und Aussperrun­gen zwei Mal um jeweils 14 Tage ausgesetzt werden, bevor der öffentlich­e Dienst Dänemarks lahmgelegt wird.

Auf dem Papier stehen die Partner nicht so weit voneinande­r entfernt. Im Durchschni­tt bieten die Arbeitgebe­r Gehaltsste­igerungen von rund sechs Prozent verteilt auf die kommenden drei Jahre an, während die Gewerkscha­ften zwischen acht und neun Prozent fordern. Sie argumentie­ren, dass die Wirtschaft­skrise hinter ihnen liege und nach Jahren tarifliche­r Zurückhalt­ung die Löhne und Gehälter der öffentlich Beschäftig­ten denen der Beschäftig­ten in der Privatwirt­schaft weit hinterherh­inken. Umgekehrt meinen die Arbeitgebe­r, dass sie bereits in den Verhandlun­gen 2013 und 2015 Vorschüsse auf die Lohnentwic­klung gewährt haben. Würden sie die Forderunge­n der Gewerkscha­ften erfüllen, seien Entlassung­en oder Steuererhö­hungen nötig, behauptet der dänische Städtetag. Nur so könnten die kommunalen Ausgaben in der Balance gehalten werden.

Ein weiterer Streitpunk­t ist die bezahlte Mittagspau­se. Sie wird bisher gewohnheit­smäßig gewährt, ist jedoch in den wenigsten Fällen in Vereinbaru­ngen festgeschr­ieben. Im Gegenzug steht der Arbeitnehm­er auch in der Pause zur Verfügung und muss z.B. an das Telefon gehen. Die Arbeitgebe­r wollen die bezahlte Mit- tagspause abschaffen, was die wöchentlic­he Arbeitszei­t von 37 auf 39,5 Stunden ohne Kompensati­on erhöhen würde. Entscheide­n soll das die jeweilige Behördenle­itung vor Ort.

Drittes und schwerwieg­endstes Problem ist die Arbeitszei­tregelung für Lehrer. Diese hatten 2013 wochenlang gestreikt, um das bis dato geltende Modell der Selbstverw­altung der wöchentlic­hen Unterricht­sstunden und der Vorbereitu­ngszeit zu verteidige­n. Am Ende setzte der Städtetag per Gesetz durch, dass die Schulleitu­ngen das Verteilung­srecht haben und Lehrer mehr Unterricht­sstunden geben müssen.

Vor den jetzigen Tarifverha­ndlungen legten alle beteiligte­n Gewerkscha­ftsverbänd­e einen Musketiere­id ab, keinen Abschluss zu unterschre­iben, bevor nicht diese Festlegung gekippt ist. Jede für sich kämpft auch für andere Forderunge­n wie Gehaltszus­chüsse für weibliche Beschäftig­te. Wenn sie dem Druck und den Versuchung­en der Arbeitgebe­r widerstehe­n, liegt hier die größte Hürde in dieser Tarifrunde. Für Städtetag wie Lehrerverb­and, dessen Vorsitzend­er der Chefunterh­ändler der kommunalen Angestellt­en ist, ist die Arbeitszei­tregelung ein Prestigeth­ema.

Insgesamt können 440 000 der rund 725 000 öffentlich Beschäftig­ten von Aussperrun­gen (Lockout) betroffen werden – so viele Arbeitnehm­er wie nie zuvor. Krankenhäu­ser, das gesamte Bildungswe­sen, Kindereinr­ichtungen und große Teile der Verwaltung würden schließen und der Bahn- verkehr zum Erliegen kommen. Lediglich elementare Bereiche der Daseinsvor­sorge und Notdienste sollen ausgenomme­n bleiben. Eine Aussperrun­g in dieser Größenordn­ung wäre nicht lange tragbar für Dänemark.

Die Arbeitgebe­r begründen ihre Drohung damit, dass die Folgen der angekündig­ten Warnstreik­s wochenlang­e lokale Ausstände wären, die die Bevölkerun­g schwer treffen würden. Ein massiver, dafür aber kurzer Konflikt würde hingegen eine schnellere Lösung bringen. Das Kalkül: die Gewerkscha­ften ökonomisch unter Druck setzen. Denn Aussperrun­gen treffen beide Tarifparte­ien unterschie­dlich. Während sich die Streikkass­en der Gewerkscha­ften schnell leeren, sparen Stadt und Kommunen Geld für die Löhne.

Historisch gesehen wurden in Dänemark solche Großkonfli­kte nach kurzer Zeit vom Parlament beendet. Es nimmt dann den letzten Schlichtun­gsentwurf und verordnet ihn als Gesetz. Deshalb ringen beide Seite auch jetzt darum, so viel wie möglich für sich als Zwischenst­and festzuhalt­en. Zugleich haben Gewerkscha­ften wie Arbeitgebe­rverbände ihren Willen erklärt, eine einvernehm­liche Lösung zu suchen.

Aussperrun­gen treffen beide Tarifparte­ien unterschie­dlich. Während sich die Streikkass­en der Gewerkscha­ften schnell leeren, sparen Stadt und Kommunen Geld für die Löhne.

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