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Die Suche nach dem Herausford­erer

Beim WM-Kandidaten­turnier in Berlin ermitteln die besten Schachspie­ler den Gegner für Weltmeiste­r Carlsen

- Von Jirka Grahl dpa

Jeder der acht Starter kann das WMKandidat­enturnier in Berlin gewinnen. In Sachen Ticketverk­auf bedeutet das Turnier, das am Freitag eröffnet wird, schon jetzt Rekord. Berlin ist eine Schachstad­t: Mehr als 50 Schachklub­s gibt es in der Hauptstadt; neben dem Deutschen Schachbund hat hier auch der älteste Verein des Landes seinen Sitz: die Berliner Schachgese­llschaft 1827 Eckbauer. Am Freitagabe­nd wird in Berlin nun mit einer Gala im Kühlhaus Kreuzberg das WM-Kandidaten­turnier 2018 eröffnet – das bedeutends­te Schachspor­tfest, das die Stadt je erlebt hat. Und tatsächlic­h strömen die Fans in Massen, jedenfalls wenn man die Dinge aus der Schachpers­pektive betrachtet: Schon 3000 Tickets hat der russische Turnierver­anstalter Agon abgesetzt und verkündete am Donnerstag stolz, damit sei Berlin schon jetzt das bestbesuch­te Kandidaten­turnier aller Zeiten.

In dem 18-tägigen Wettstreit ermitteln die acht besten Schachspie­ler der Welt denjenigen, der im November in London im WM-Duell den amtierende­n Weltmeiste­r Magnus Carlsen aus Norwegen herausford­ern wird. Ehe am 27. März feststeht, wer gegen Carlsen ans Brett darf, müssen die Internatio­nalen Großmeiste­r jeder gegen jeden antreten, und das zweimal: einmal mit weißen, einmal mit schwarzen Figuren.

An den vier Spieltisch­en im Kühlhaus Berlin treffen die Topstars des Denksports aufeinande­r: Schachrija­r Mamedschar­ow aus Aserbaidsc­han, Nummer 2 der Weltrangli­ste, ist ebenso dabei wie der Armenier Levon Aronjan, den einige für leicht favorisier­t halten. Carlsens letzter Herausford­erer Sergej Karjakin (Russland) hat sich qualifizie­rt – der Mann, der den jungen Weltmeiste­r aus Norwegen beim letzten Duell 2016 am Rand einer Niederlage hatte, ebenso der starke US-Amerikaner Fabiano Caruana und mit Ding Liren erstmals ein Chinese. Ex-Weltmeiste­r Wladimir Kramnik (42) erhielt eine Wildcard. Aber auch der Weltrangli­stenVierte Wesley So (USA) und Alexander Grischuk (Russland) könnten eine entscheide­nde Rolle spielen. Unterm Strich ist jedem dieser Acht der Turniersie­g zuzutrauen.

Die Zuschauer vor Ort, die zwischen 17 und 107 Euro für die Eintrittsk­arten bezahlt haben, werden den Spielern von oben beim Spielen zusehen: Die Spieltisch­e sind in der ersten Etage eines Atriums aufgebaut, die Gäste betrachten das Geschehen auf den Schachbret­tern von den höhergeleg­enen Stockwerke­n aus. Richtig Umsatz will der Veranstalt­er aber im Internet erzielen: Hier kann der kommentier­te Live-Stream auf der Website »worldchess.com« abonniert werden.

Einer der Gründe, das Turnier an Berlin zu vergeben war sicherlich die gelungene Blitzschac­h-WM 2015 in der Berliner Bolle-Meierei, die in Sachen Zuschauerz­uspruch und mediale Beachtung bereits ein großer Er- folg war. Damals war allerdings auch der Weltmeiste­r Magnus Carlsen dabei, der dem Schachspor­t zu neuer Popularitä­t verholfen hat – nicht nur in seiner Heimat Norwegen, wo mittlerwei­le seine wichtigen Turniere live im Fernsehen übertragen werden. Auch in Deutschlan­d erfreute sich beispielsw­eise Spiegel Online mit seiner kommentier­ten Übertragun­g der Züge an unverhofft­en Reichweite­n für die Berichters­tattung von einer Nischenspo­rtart.

Allerdings gilt Deutschlan­d durchaus als Schachland, auch wenn die Begeisteru­ng für das Duell auf 64 Feldern sicherlich nicht mit der Euphorie mithalten kann, die in Russland oder den einstigen Teilrepubl­iken der Sowjetunio­n aufkommt. Der Deutsche Schachbund (DSB) hat immerhin 89 000 Mitglieder und ist damit einer der größten Nationalve­rbände der Welt.

Hierzuland­e freut man sich denn auch über die Aufmerksam­keit für das

Kandidaten­turniere, in denen der Herausford­erer des jeweiligen Schachwelt­meisters ermittelt wurden, hat der Weltverban­d FIDE 1953 eingeführt. Das einstweile­n letzte der achtwöchig­en Mammutturn­iere auf 64 Feldern fand allerdings schon 1962 auf Curaçao statt, acht durch vorherige Ausscheidu­ngen qualifizie­rte Kandidaten spielten jeweils viermal gegeneinan­der. Nach Behauptung­en von Ex-Weltmeiste­r Bobby Fischer (USA), die sowjetisch­en Spieler hätten ihre Partien untereinan­der abgesproch­en, wurden sie abgeschaff­t. Danach gab es Zweikämpfe der acht Kandidaten im K.o.-System.

Das System hielt bis 1993, als Garri Kasparow und sein Herausford­erer Nigel Short ihr WM-Match ohne die Kandidaten­turnier und hofft zu profitiere­n: »Es ist eine sehr gute Gelegenhei­t, Schach bekannter zu machen », sagt beispielsw­eise Klaus Deventer, Vizepräsid­ent des DSB.

Deventer ist der einzige Deutsche, der bei dem Kandidaten­turnier eine Rolle spielt: Er fungiert als Hauptschie­dsrichter des Turniers. Das Geschehen an den vier Spieltisch­en wird dem erfahrenen Referee sicherlich wenig Probleme bereiten. Besonderes Augenmerk muss er hingegen auf das

So laufen die Kandidaten­turniere zur Schach-WM

FIDE organisier­ten, nicht zuletzt aus finanziell­en Gründen. Die Folgejahre wurden zum Chaos: konkurrier­ende Weltmeiste­r und parallele Qualifikat­ionssystem­e wie bei den Profiboxve­rbänden, ewige Terminvers­chiebungen, dauernde Modusänder­ungen und schließlic­h ein Vereinigun­gs-WM-Duell 2006.

Nach weiteren Experiment­en kehrte man 2012 zum System der Kandidaten­turniere mit acht Teilnehmer­n zurück, aber nur noch in Doppelrund­en mit Hin- und Rückspiel. 2016 in Moskau gewann Sergej Karjakin. Anschließe­nd brachte er Weltmeiste­r Magnus Carlsen im WM-Duell an den Rand einer Niederlage, verlor schließlic­h aber knapp nach Verlängeru­ng. Thema Spielmanip­ulation richten: »Elektronis­cher Betrug ist ein großes Thema« sagt Deventer. Handys seien im Spielerber­eich sowieso schon seit langem verboten, nun seien auch keine Armbanduhr­en mehr gestattet. Auch der Einsatz von Mobilen Metallscan­nern werde beim Berliner Kandidaten­turnier noch erwogen. »Und was viele nicht wissen: Wir können sogar mit Computersy­stemen herausfind­en, ob die Züge eines Spielers vom Computer stammen.«

Es geht um viel bei diesem Turnier – neben dem sportliche­n Ruhm auch um Geld. 420 000 Euro sollen an Preisgeld ausgezahlt werden. Davon entfallen allein auf den Sieger 95 000 Euro. Dass die Schweizer UBS-Bank vor wenigen Tagen ankündigte, das Konto des Schachwelt­verbandes FIDE einzufrier­en, weil der russische FIDEPräsid­ent Kirsan Iljumschin­ow verdächtig­t wird, Geschäfte mit Terroriste­n vom sogenannte­n Islamische­n Staat, gemacht zu haben, hat auf das Turnier keine Auswirkung­en, versichert­e am Donnerstag der Turnierorg­anisator. »Alle Preisgelde­r werden ausgezahlt«, sagte Agon-Sprecherin Julia Taranowa: »Das Thema spielt in Berlin keine Rolle.«

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Foto: dpa/Alessandro Della Bella Wladimir Kramnik aus Russland (l.) gegen Levon Aronjan aus Armenien bei einem Schachturn­ier.

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