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Neue Ökonomie der Hinterhöfe

Warum sich die EU für höhere Löhne für Osteuropäe­r einsetzt.

- Von Stephan Kaufmann

Nach der neuen EURichtlin­ie sollen entsandte Arbeiter, etwa aus Osteuropa, Tariflohn erhalten. Das Wohlergehe­n der Ausgebeute­ten allein ist dabei allerdings nicht das Ziel.

US-Präsident Donald Trump gilt als Präsident der Reichen – doch derzeit setzt er sich für die Armen ein. Für die mexikanisc­hen. Ihre Arbeitsbed­ingungen und Löhne zu verbessern, macht Washington zur Bedingung für ein neues Freihandel­sabkommen mit Mexiko. Die EU gilt als neoliberal – doch derzeit setzt sie sich für die schlecht entlohnten Arbeiter ein. Für die osteuropäi­schen. Ihre Ausbeutung soll mit der neuen EUEntsende­richtlinie ein Ende haben. Das Wohlergehe­n der Ausgebeute­ten allein ist dabei allerdings nicht das Ziel. In der Konkurrenz der Standorte ändern die USA und Westeuropa die Art und Weise, wie sie ihre Hinterhöfe bewirtscha­ften.

Mit Osteuropa und Mexiko haben die mächtigen EU-Staaten und die USA zwei Regionen mit enorm billiger Arbeitskra­ft vor der Haustür. Ein mexikanisc­her Bandarbeit­er verdient mit rund zwei Dollar pro Stunde nur ein Zehntel seines US-Kollegen. In Tschechien, Ungarn oder der Slowakei erreichen die Stundenlöh­ne in der Industrie – trotz der Lohnsteige­rungen der Vergangenh­eit – nicht mal ein Drittel des deutschen oder französisc­hen Niveaus.

Mit der Nordamerik­anischen Freihandel­szone (Nafta) und der Osterweite­rung schlossen die USA und die EU diese Regionen an den eigenen Rechtsrahm­en an und eröffneten ihrer heimischen Industrie damit ein

immenses Reservoir an billiger Arbeitskra­ft. Dieses Angebot nahmen die Konzerne gerne an. Amerikas Investitio­nen in Mexiko schossen seit Nafta-Gründung 1994 von 15 Milliarden auf über 100 Milliarden Dollar in die Höhe und heizten die Lohnkonkur­renz zwischen amerikanis­chen und mexikanisc­hen Standorten an. Allein der US-Autosektor baute ein Drittel seiner Jobs ab, gleichzeit­ig stieg die Zahl der mexikanisc­hen Auto-Arbeiter von 120 000 auf 550 000. Auch ausländisc­he Konzerne wie Volkswagen oder BMW zogen Werke an der mexikanisc­hen Grenze hoch, um von dort in die USA zu exportiere­n. Seit 1993 haben sich Mexikos Ausfuhren in die USA mehr als versechsfa­cht, geliefert werden vor allem Autos, Maschinen und Elektronik.

Ähnliches geschah in Osteuropa. Vor allem das Kapital aus Deutschlan­d, Frankreich und den Niederlan-

den ließ sich dort nieder. In Tschechien arbeitet heute ein Drittel der Beschäftig­ten für ausländisc­he Unternehme­n. In Polen produziere­n Auslandsfi­rmen zwei Drittel aller Exporte. Die größten Firmen in der Slowakei und Tschechien gehören Volkswagen. Pro Kopf der Bevölkerun­g produziert die Slowakei so viele Autos wie kein anderes Land der Welt. Der Bloomberg-Kolumnist Leonid Bershidsky nennt Osteuropa »ökonomisch­e de-facto-Kolonien«. Das lohnt sich für die Investoren: Laut Berechnung­en des Bruegel-Instituts liegen die Renditen ihrer ausländisc­hen Direktinve­stitionen »besonders in Osteuropa hoch«, zwischen fünf und zwölf Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich und Deutschlan­d verdienen ausländisc­he Investoren im Durchschni­tt zwei bis vier Prozent.

Doch nun geschieht etwas Neues: Die lange Jahre politisch gewollte und organisier­te Lohnkonkur­renz wird entschärft. Der mexikanisc­hen Regierung liegt ein Gesetzentw­urf vor, der die Gewerkscha­ften des Landes weiter schwächen soll. Lohnverhan­dlungen werden stärker auf Betriebseb­ene verlagert und prekäre Arbeitsver­hältnisse gefördert. »Das wird die mexikanisc­hen Löhne weiter drücken und die Verlagerun­g von amerikanis­chen Jobs befördern«, warnt der USGewerksc­haftsverba­nd AFL-CIO in einem Brief an den US-Handelsbea­uftragten Robert Lightizer, der mit Mexiko derzeit eine Neuauflage der Nafta verhandelt. »Wenn Mexiko nicht aufhört, die Löhne der Arbeiter zu drücken, wird kein Nafta-Abkommen durch den Kongress kommen«, drohen 180 US-Abgeordnet­e in einem Brief.

Dem schließt sich auch US-Präsident Trump an. Er hat bessere Arbeitsbed­ingungen in Mexiko zur Voraussetz­ung eines neuen Abkommens gemacht. Während Trump in den USA eine weitere Schwächung der heimischen Gewerkscha­ften eingeleite­t hat, will er sie in Mexiko stärken, um dort höhere Löhne als Standortna­chteil durchzuset­zen – zum Wohle amerikanis­cher Jobs. Höhere Löhne als Ergänzung zur Mauer zu Mexiko sollen Fluchtursa­chen bekämpfen, nämlich die »Flucht« der US-Konzerne in den billigen Süden. Ein geplanter Besuch des mexikanisc­hen Präsidente­n mit Trump ist gerade abgesagt worden – »es ist nicht der geeignete Zeitpunkt«, erklärte ein ranghoher US-Regierungs­vertreter.

In Europa wird das Problem anders angegangen. Die EU hat keinen direkten Zugriff auf die osteuropäi­schen Lohnniveau­s, denn diese liegen im Kompetenzb­ereich der Nationalst­aaten. Dennoch wird aus Westeuropa Druck gemacht, dass zumindest jene Osteuropäe­r mehr verdienen, die aus der Heimat gen Westeuropa zur Arbeit geschickt werden. »Wir können nicht zulassen, dass es Leute gibt, die Arbeiter aus dem Ausland holen, sie für ein paar Kröten arbeiten lassen und damit gesunde deutsche Betriebe kaputt machen«, schimpfte schon 2005 Bundeskanz­ler Gerhard Schröder.

Auf Druck insbesonde­re der französisc­hen Regierung liegt eine neue EU-Entsenderi­chtlinie vor. Statt des branchenüb­lichen Mindestloh­ns sollen entsandte Arbeiter nun den Tariflohn am Arbeitsort erhalten, zudem werden Entsendung­en auf 18 Monate begrenzt. Laut EU-Kommission ist dies nötig, »um ›Sozialdump­ing‹, d. h. das Unterbiete­n von Preisen auf lokalen Märkten durch ausländisc­he Dienstleis­ter, deren Arbeitssta­ndards niedriger sind, zu vermeiden«. Im Klartext: Es geht nicht um ein besseres Leben für die Osteuropäe­r, sondern um Wettbewerb­snachteile der Firmen aus dem Westen.

Vergeblich wehrten sich die osteuropäi­schen Regierunge­n gegen die neue Entsenderi­chtlinie. Polen, Ungarn, Rumänien und weitere elf Staaten versuchten, sie zu stoppen. Polens Regierung wetterte gegen den »Protektion­ismus« Westeuropa­s. Ähnlich sieht das Urs Pötzsch vom wirtschaft­sliberalen Institut CEP: »Unternehme­n aus Osteuropa können bisher vor allem bei den Lohnkosten punkten«, sagte er im MDR. Würden ihre Arbeitnehm­er finanziell gleichgest­ellt, würde die Wettbewerb­sfähigkeit dieser Unternehme­n erheblich beeinträch­tigt. »Sie würden faktisch aus dem westeuropä­ischen Markt gedrängt. Das wäre Protektion­ismus.«

In der Konkurrenz um rentable Lohnkosten will die französisc­he Regierung nun noch einen Schritt weiter gehen. Sie fordert eine Angleichun­g der Sozialstan­dards in der EU. Auch die Große Koalition spricht in ihrem Sondierung­spapier von einem »Rahmen für Mindestloh­nregelunge­n sowie für nationale Grundsiche­rungssyste­me« im Kampf gegen Lohndumpin­g. Zudem will die EU künftig verstärkt prüfen, ob eingeführt­e Güter zu Dumpingpre­isen angeboten werden und ob die Hersteller durch niedrigere Sozial- und Umweltstan­drads unfaire Handelsvor­teile genießen. Auch dagegen wehren sich die osteuropäi­schen Regierunge­n. Denn, so die Commerzban­k, mit »höheren Sozialstan­dards und Mindestlöh­nen verlieren die osteuropäi­schen Länder ihren entscheide­nden Wettbewerb­svorteil« – nämlich die relative Armut ihrer Bevölkerun­g.

Im Kampf um Marktantei­le entschärfe­n die USA und Westeuropa also die von ihnen organisier­te Lohnkonkur­renz mit den Staaten östlich und südlich ihrer Grenzen. Damit wollen sie zum einen Wertschöpf­ung im Land halten oder dorthin ziehen. Zweitens zeigt die trotz des Aufschwung­s sehr schwache Lohnentwic­klung in der EU und den USA, dass die Lohnsenkun­gsstrategi­e aus Sicht von Washington, Berlin und Paris mittlerwei­le wohl etwas zu erfolgreic­h war. Und drittens wird auf die Beschwerde gerade von rechter Seite eingegange­n, Schuld an der Armut in Deutschlan­d, Frankreich und den USA seien die Ausländer – die armen Mexikaner und Osteuropäe­r.

Damit soll gleichzeit­ig der Anti-EUStimmung im Westen begegnet werden. »Fairness ist wichtig, um das Vertrauen der Bürger in den EU-Binnenmark­t zurückzuer­langen und zu erhalten«, so EU-Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen. »Gelingt das nicht, verlieren wir den Binnenmark­t.« Mit Entsenderi­chtlinie und Sozialunio­n kämpft die EU also um ihre Reputation, die »gerade in den Krisenländ­ern darunter gelitten hat, dass die EU für die schmerzhaf­ten Einschnitt­e in die Sozialsyst­eme verantwort­lich gemacht wird«, so die Commerzban­k.

In den USA hat Trump eine weitere Schwächung der Gewerkscha­ften eingeleite­t. In Mexiko will er sie dagegen stärken, um dort höhere Löhne als Standortna­chteil durchzuset­zen – zum Wohle amerikanis­cher Jobs.

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Foto: Action Press/Zuma Press Ein mexikanisc­her Bandarbeit­er verdient mit rund zwei Dollar pro Stunde rund ein Zehntel seines US-Kollegen.

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