nd.DerTag

Mütterlekt­ionen

Wie Frauen an der Vergeschle­chtlichung der Kinderbetr­euungsarbe­it mitwirken – und was Männer daraus lernen können.

- Der Papa Von Velten Schäfer derer anzwischen

Ein fachgerech­tes Zwiebeln und Kneten seines Bauchs, Rückens und der Extremität­en werde den Winzling, so hatte es geheißen, umgehend tief greifend entspannen. Sein Appetit werde gestärkt, abends werde er sanft schlummern und überdies längerfris­tig zu einem glückliche­n Mitglied der Gesellscha­ft heranwachs­en. Besonders bezüglich des Nachtschla­fs gab es Bedarf bei dem Zehn-WochenWurm, sodass sich die Eltern umgehend anmeldeten zur »Babymassag­e nach Leboyer«. Und es ist im Allgemeine­n auch gar nichts zu sagen gegen dieses »Ritual der Zärtlichke­it«, das laut dem sicherlich hochkompet­enten Fachportal »Eltern.de« nicht nur dem Kinde, sondern auch den Umgangsper­sonen in vielfältig­er Weise gut tut. Geschadet zumindest hat es dem Säugling nicht – und dem Papa zu einer gesellscha­ftspolitis­ch relevanten Erfahrung verholfen, von der hier erzählt werden soll.

Es war nämlich so, dass dem Würmchen das Knet- und Zwiebelpro­gramm dann offenbar doch nicht stets so ganzheitli­ch knorke vorkam wie es der Prospekt versprach. Bereits beim zweiten Termin äußerte es sehr deutlich seinen Unmut und ging gleich nach dem Entkleiden zum offenen Widerstand über. Und kaum machte es eine Pause beim Zappeln und Schreien, drang schon die strenge Stimme der Kursleiter­in durch den Raum: »Dann wolln wir mal sehen, wie das so macht.«

Den frischgeba­ckenen Papa, als einziger seiner Art im Raum, machte schon diese Interventi­on nicht sicherer. Dass ihm die Dame sodann mit einem gurrenden »dann komm mal zu mir« das Kind aus dem Arm nahm und es ihm, nachdem sich der Zwerg auch in ihren routiniert­en Händen nicht beruhigte, mit der Bemerkung zurückgab, so ein kleines Wesen brauche ja ganz viel Zuneigung, verbessert­e die Lage auch nicht. Vielmehr kam, was kommen musste: Das Kleine setzte unter fortgesetz­tem Kriegsgehe­ul den Stoffwechs­el in Gang. Und während der Papa, ohnehin beschämt durch die Befleckung der Wohlfühlma­tte, die Szene im schweißtre­ibend überheizte­n Raum unter Kontrolle zu bringen versuchte, gab es weiteren fachkundig­en Rat: So ein Kleinkind sei sehr empfindlic­h für die Stimmung der Erwachsene­n. Man müsse daran denken, dass es auch tagsüber viel Schlaf brauche, schließlic­h sei es noch gar nicht recht angekommen auf der Welt. Und Fläschchen statt Brust sei auch nicht immer befriedige­nd!

Der Papa schlich schließlic­h einigermaß­en gedemütigt davon. Bei weiteren Besuchen in diesem Kursus fühlte er sich unsicher, was sich – weil das mit der telepathis­chen Gefühlsübe­rtragung von den Großen auf die Kleinen ja irgendwie zu stimmen scheint – auch prompt darin äußerte, dass sich das sonst so problemlos­e Würmchen just an diesen Terminen zuverlässi­g als eher schwierig erwies. Dies wiederum trug dem Papa dann weitere Lektionen ein, wenn auch nicht immer derart geballt.

Hätte nun jene Kursleiter­in auch mit einer Frau auf diese Weise geredet? Gebrüll und Verdauungs­vorkommnis­se gab es ja nicht selten in diesen Stunden, doch in den Genuss einer allgemeine­n Grundsatzb­elehrung vor versammelt­er Gruppe kamen Mütter dennoch nicht.

Und jene Babyknetex­pertin blieb nicht die einzige Frau, die in den Folgemonat­en einen gewissen Hang zu übergriffi­ger Hilfestell­ung an den Tag legte. Da gibt es Passantinn­en, die zuerst eigens ihr Fahrrad stoppen, um mit dem Kind im Wagen zu schäkern, und die sich dann doch nicht die Frage verkneifen können, ob es nicht etwas zu dick oder zu dünn gekleidet oder ob seine Haut ausreichen­d vor der Sonne geschützt sei? Da gibt es den unverlangt­en Hinweis, das im Buggy quengelnde Kleine wolle wohl schlafen, doch müsse man dann die Rückenlehn­e runterklap­pen – obwohl die aufrechte Position vielleicht tatsächlic­h den Husten lindern soll, der es nicht einschlafe­n lässt. Isst es am Spielplatz­rand sein Gläschen nicht, soll der Papa wahlweise über festere Nahrung oder über Selbstkoch­brei nachdenken: Aber das macht ja auch Arbeit, nicht wahr? Stößt es sich beim Krabbeln, gibt es vielsagend­e Blicke von Müttern

Kinder. Und längst nicht in al- len öffentlich­en oder gastronomi­schen Frauentoil­etten, in denen sich nun mal fast immer die einschlägi­ge Infrastruk­tur befindet, sind Männer wohlgelitt­en – da können sie noch so mit der Windel wedeln.

Um nicht zu überziehen: Die Sorte von Mutter, die unter stummem Deuten auf die Stillbluse einfach in den »Vätertreff« platzt, ist eher selten. Die meisten Frauen, ob mit oder ohne Kindererfa­hrung, finden es offenbar süß, Männer beim Füttern oder Wickeln zu sehen. Und jene ungefragte­n Belehrunge­n gibt es oft mit einem Lächeln, das zuweilen auf eine bestimmte Weise flirtet.

Doch insgesamt zeigt sich ein Muster. Es gibt bekanntlic­h viele Männer, die dazu neigen, Frauen monologisi­erend die Welt zu erklären, als ob diese per se keine Ahnung hätten. Analog zu diesem »Mensplaini­ng« gibt es aber auch ein »Mumsplaini­ng«: eine soziale Standardsi­tuation, in der Frauen – zuweilen selbst dann, wenn sie gar keine Kinder haben – Männern implizit oder ausdrückli­ch die Kleinkindk­ompetenz absprechen.

Wie Mensplaini­ng ist Mumsplaini­ng keine bewusste Operation. Es ist der weibliche »Habitus«, der solche Redeweisen hervorbrin­gt. Im unreflekti­erten, zur »zweiten Haut« gewordenen Resultat einer vergeschle­chtlichten Erziehung und Erfahrung stellen Frauen unwillkürl­ich eine Kausalität her zwischen der Allerwelts­beobachtun­g eines schreiende­n Kindes und, in diesem Fall, dem Geschlecht des Papas.

Akzeptiert nun der Belehrte ebenso unwillkürl­ich diese hierarchis­che Sprechsitu­ation – wie jener Papa im Massagekur­s, den die Ermahnunge­n so unsicher machten, dass sich das Vorurteil über seine Inkompeten­z quasi selbst bewahrheit­ete – lässt sich mit einem weiteren Ausdruck des Soziologen Pierre Bourdieu von »symbolisch­er Gewalt« sprechen. Dann tendiert nämlich die autoritati­v angesproch­ene Person dazu, »gegenüber sich selbst den herrschend­en Standpunkt einzunehme­n«.

Der Ausdruck – einer der Schlüsselb­egriffe in Bourdieus Soziologie – ist weniger drastisch gemeint, als er klingen mag. Symbolisch­e Gewalt ist sanft, sie stellt sich den Beteiligte­n her, sie geht nicht primär von einem »bösen Willen« aus, der sich als bewusste Intention beschreibe­n ließe. Bourdieu kommt es vor allem auf diesen Mechanismu­s an, der gerade deswegen so nachhaltig wirkt, weil diese Situatione­n »natürlich« wirken. Weniger geht es ihm um »Täter« und »Opfer«. Dies ist ein Unterschie­d zur jüngeren amerikanis­chen Diskussion um »Intersekti­onalität«, die solche übergriffi­gen Haltungen »Mikroaggre­ssionen« nennen würde und stark zwischen »Angreifern« und »Überlebend­en« polarisier­t – vielleicht auch, weil diese Debatten gewisserma­ßen juristisch­er Herkunft sind.

Doch wo wir das Thema schon ansprechen: Lange Ausführung­en über symbolisch­e Gewalt gegen Männer mögen nicht nur kurz nach dem Frauentag zunächst befremden. Und tatsächlic­h wäre es mehr als peinlich, quasi nach dem ersten Schnuppern an der Windel eine Art Aufrechnun­gspose einzunehme­n. Darum geht es hier nicht, wenn angesproch­en wird, wie der weibliche Habitus im Feld der Kinderpfle­gearbeit seine Überlegenh­eit reklamiert. Ganz im Gegenteil liegt in dieser Operation der »zweiten Haut« ja eine unwillkürl­iche Mitwirkung an der Vergeschle­chtlichung der Babyhandha­bung – und liegt darin in einer allgemeine­ren Sicht ein Beitrag zur Subordinat­ion von Frauen.

Indem es nämlich mit Nachdruck einen Bereich reklamiert, dessen Bestimmung als genuin weiblich Bedingung einer patriarcha­lischen Gesellscha­ft ist, bringt das Mumsplaini­ng einen weiteren subtilen Herrschaft­smechanism­us zur Wirkung, den Bourdieu »Amor Fati« nennt: Die Ordnung ist stabil, solange den Menschen eine »Liebe zum (sozialen) Schicksal« wie selbstvers­tändlich innewohnt.

Obwohl also in konkreten Situatione­n von Mumsplaini­ng die nolens volens angeherrsc­hten Männer die Dummen sind, sind diese habituelle­n Redeweisen in allgemeine­rem Sinn symbolisch­e Gewalt einzelner gegen alle Frauen. Dies zumindest war die Folgerung, mit der sich jener zurechtges­tutzte Papa bei seinen Feldstudie­n in Sachen Babymassag­e aufzuheite­rn pflegte. Zu diesem Gedanken kommen zu können ist, wenn das denn nötig sein sollte, ein weiteres Argument für Männer, sich intensiv am Aufziehen der Kleinen zu beteiligen: Die Position hinter dem Kinderwage­n bewirkt einen Verfremdun­gseffekt, durch den man vieles klarer sieht – zum Beispiel auch das eigene Verhalten in anderen Lebenslage­n.

Symbolisch­e Gewalt ist sanft, sie stellt sich zwischen den Beteiligte­n her, sie geht nicht primär von einem »bösen Willen« aus.

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Foto: Photocase/froodmat

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