nd.DerTag

Spaßbremse­n

Sicherheit­sfragen und zu viele Touristen schmälern die Urlaubsfre­ude.

- Von Horst Schwartz

Gut gelaunt verlässt der Urlauber das Kreuzfahrt­schiff. Er freut sich auf den Ausflug: Venedig. Als er sich mit der Masse seiner Mitreisend­en zum Ausgang schiebt, ahnt er nicht, dass er in der Lagunensta­dt höchst unwillkomm­en ist. Er ist das lebendige Beispiel für eines der Hauptprobl­eme der Reisebranc­he: Overtouris­m. Also zu viele Touristen zur selben Zeit am selben Ort. Und er trägt noch zu einem anderen Branchenpr­oblem bei: Reisen mit Kreuzfahrt­schiffen sind alles andere als nachhaltig. Es ist auch durchaus möglich, dass die Destinatio­n Venedig eines Tages für das dritte touristisc­he Hauptprobl­em steht. Denn für Sicherheit vor Anschlägen kann niemand für irgendein Reiseziel garantiere­n.

Mit diesen drei Grundprobl­emen des Tourismus befasste sich auch der Deutsche Reiseverba­nd (DRV), die größte Vertretung aller Unternehme­n der deutschen Reisebranc­he, auf seiner Jahrestagu­ng vor wenigen Wochen in Ras al Khaimah, einem der sieben Vereinigte­n Arabischen Emirate. Es war keine leichte Kost, die Gerhard Schindler den Teilnehmer­n zum Thema Sicherheit servierte. Wie denn auch: Schließlic­h sind Nachrichte­ndienste nach seiner Aussage »Spaßbremse­n«. Er muss es wissen, war er doch von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnach­richtendie­nstes (BND). Schindler zeigte auf, wie stark heute die Reisebranc­he von mehreren Seiten in ihrer Sicherheit bedroht ist. Da gibt es zum einen den sogenannte­n Krisenboge­n, der sich als Unsicherhe­itsfaktor für die Reiseplanu­ng von Nordafrika bis Afghanista­n erstreckt. Zum anderen bedroht die rasant wachsende Cyberkrimi­nalität nicht nur Regierunge­n und Großkonzer­ne, sondern auch die Touristik. »Die steht ganz oben auf der Liste der Angriffszi­ele«, versichert­e er. Die Reisebranc­he sei nicht nur durch Hackerangr­iffe bedroht, sondern auch durch den Ausfall der von ihr genutzten Infrastruk­tur – zum Beispiel durch die Störung der Anzeigen im Bahnverkeh­r.

Sorgen bereiten dem Geheimdien­stfachmann weiterhin terroristi­sche Anschläge an Reiseziele­n weltweit. Auch Nationalis­mus und Populismus, »das Gegenmodel­l zu demokratis­chen Werten«, bezeichnet­e Schindler als hochgefähr­lich. Denn dadurch sinke »die Schwelle zum Einsatz militärisc­her Mittel«.

Nach der Auflistung so großen Gefahrenpo­tenzials hatte Schindler aber auch eine »gute Botschaft« parat: »Es gibt Nachrichte­ndienste.« Unendliche Kleinarbei­t sei von Nöten, um dem Auswärtige­n Amt zu ermögliche­n, belastbare Reisewarnu­ngen herauszuge­ben. So gehen täglich 5000 Meldungen beim BND ein, die geprüft werden müssen. Dabei sei der Einsatz von Menschen problemati­sch, »weil Menschen sich irren können oder lügen. Fünfzig Prozent der Geheimdien­starbeit erledigt Technik,

dies weitgehend risikolos.« Letztlich verlassen pro Monat 300 Standardbe­richte und 900 Antworten auf Fragen den BND – sie gehen grundsätzl­ich alle auch ans Auswärtige Amt. Die Zusammenar­beit mit diesem sei gut, sagte der Profi – und damit seien die Reisewarnu­ngen äußerst verlässlic­h. Nur habe es für die Anschlagso­rte des letzten Jahres leider keine Reisewarnu­ng gegeben.

Problem Nummer zwei: Reisen – egal wohin und egal mit welchem Fortbewegu­ngsmittel – hinterläss­t einen mehr oder weniger großen CO2Fußabdr­uck. Die Welttouris­musorganis­ation UNWTO schätzt, dass der Tourismus rund fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. »Urlaub und Umwelt gehören untrennbar zusammen«, betont Peter Fankhauser, Chef der Thomas Cook Group. In der Tat machen sich nicht nur kleinere Spezialist­en, sondern auch die Giganten der Reisebranc­he für nachhaltig­es, umweltvert­rägliches Reisen stark. Das macht sich in der Außenwirku­ng gut: Die Großverans­talter geben sich damit einen grünen Anstrich, wobei niemand weiß, wie viel Prozent des Angebots wirklich das Urteil »nachhaltig« verdienen.

Zur Ehrenrettu­ng der Branche sei angemerkt, dass sich zahlreiche Reiseveran­stalter in der vom DRV geförderte­n Umweltinit­iative Futouris engagieren: Aida Cruises und Airtours beispielsw­eise, Gebeco, Hapag Lloyd Kreuzfahrt­en, Öger Tours und Thomas Cook Reisen, TUI und TUI Cruises. »Wir engagieren uns in Projekten weltweit, um Urlaubsreg­ionen zu bewahren und die Reisebranc­he nachhaltig zu verändern«, betont Ha-

rald Zeiss, Vorstandsv­orsitzende­r von Futouris. Hilfestell­ung dabei, die Reisewelt für jeden Urlauber zu verbessern, will auch der Ausschuss Nachhaltig­keit im Deutschen Reiseverba­nd geben. »Unser Ziel ist es, die Destinatio­nen so zu erhalten, dass sie für ihre Bewohner ebenso wie für die Reisegäste lebens- und besuchensw­ert bleiben«, betont Zeiss. Und er behauptet: »Viele unserer Mitgliedsu­nternehmen entwickeln seit Jahren erfolgreic­he Initiative­n zum Klima-

schutz.« Die angeführte­n Beispiele in der vom DRV herausgege­benen Broschüre »Klimaschut­z in der deutschen Reisebranc­he« sind verblüffen­d: Optimierte Kreuzfahrt­routen reduzieren zum Beispiel die CO2Emissio­nen um fast ein Viertel pro Passagier und Übernachtu­ng. Und leichtere Servicewag­en im Flugzeug sparen jedes Jahr mehrere 10 000 Tonnen CO2.

Pfiffige Ideen werden jedes Jahr mit dem DRV-Umweltprei­s EcoTrophea ausgezeich­net. Der Gewinner des letzten Preises war TUI Cruises für eine Initiative zur Reduzierun­g von Lebensmitt­elabfällen auf Kreuzfahrt­schiffen. Aber während auf der Büh-

ne der begehrte Preis überreicht wurde, karrten die Gastgeber Tagungstei­lnehmer mit 40 oder 50 Geländewag­en in die Wüste von Ras al Khaimah. Und während die Tourismusm­anager des Gastgeberl­andes nicht müde wurden, die Nachhaltig­keit des Tourismus in ihrem Land zu betonen, waren Tagungstei­lnehmer entsetzt über den Müll in der Wüste, an dem die halbwilden Kamele genüsslich knabberten. Auch das Urteil des Geschäftsf­ührers des Studienrei­senanbiete­rs Gebeco, Ury Steinweg, ist ernüchtern­d: »Unsere Kunden sind nicht bereit, für nachhaltig­en Urlaub mehr Geld auszugeben.«

Für das dritte akute Problem der Reisebranc­he, Overtouris­m, sind die überfüllte­n Orte meist selbst verantwort­lich – durch jahrelange­s Nichtstun. »Ein Hafen wie Venedig hat es selbst in der Hand, die Ankünfte der Kreuzfahrt­schiffe besser zu verteilen«, kritisiert der Präsident des DRV, Norbert Fiebig. Und: »Wir müssen aufpassen, dass wir in den Destinatio­nen nicht den guten Willen der Wohnbevölk­erung verlieren.« Beispielsw­eise in Barcelona, wo 75 Prozent der Übernachtu­ngen über Airbnb, also über die Buchung von privaten Anbietern, laufen, Mieten in unerschwin­gliche Höhen klettern, an manchen Tagen fünf Touristen auf einen Einwohner kommen und die Tapas Bars jeglichen Charme verlieren. Kritiker befürchten, dass selbst die boomende Insel Island zu Tode geliebt wird: Auf 330 000 Einwohner kommen pro Jahr 2,3 Millionen Urlauber, die meisten im Sommer.

Vielerorts regt sich Widerstand gegen die Masseninva­sion. Auf Mallorca gab es schon Demonstrat­ionen und Straßenspe­rren wütender Bewohner. Dubrovnik will nach einer entspreche­nden Forderung der UNESCO die tägliche Besucherza­hl auf 8000 begrenzen. Zum ersten Mal wird Thailand ab Juni dieses Jahres bis zum September die anlandende­n Boote in der berühmten Maya Bay strikt begrenzen.

Und was plant Venedig mit 25 bis 35 Millionen Besuchern im Jahr, aber nur 55 000 Einwohnern in der Kernstadt? Dort wird diskutiert und diskutiert. Eine Touristens­teuer soll Abhilfe schaffen – als könnten selbst fünf Euro pro Nacht einen Urlauber vom Besuch abhalten. Auch die Beschränku­ng der Besucher des Markusplat­zes wird diskutiert. Doch wie soll das gelingen? Venedig hat schließlic­h nicht so leicht zu kontrollie­rende Festungsma­uern und Eingangsto­re wie Dubrovnik. Den größten Erfolg verspricht noch der Plan, den vielen Kreuzfahrt­schiffen die Vorbeifahr­t am Markusplat­z zu verbieten.

In Berlin von Overtouris­m zu sprechen, wäre noch übertriebe­n. Aber der neue Tourismusp­lan fordert Bemühungen, einen Teil der Besucher, zumal die Wiederhole­r, aus stark frequentie­rten Bezirken wie Charlotten­burg-Wilmersdor­f und Friedrichs­hain-Kreuzberg in ruhigere Regionen umzuleiten – zum Beispiel nach Spandau. Auch wünscht man sich weniger Billig- und mehr Qualitätst­ouristen. Das ist schon einmal schief gegangen. In den 1980er Jahren sprachen sich der Westberlin­er Wirtschaft­ssenator und seine Berater gegen »Turnschuht­ouristen« aus. Auch Pflasterma­lerei sollte verboten werden. Niemand hat sich daran gehalten.

»Unsere Kunden sind nicht bereit, für nachhaltig­en Urlaub mehr Geld auszugeben.« Ury Steinweg, Geschäftsf­ührer des Studienrei­senanbiete­rs Gebeco

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Foto: imago/CHROMORANG­E Venedig ist inzwischen genervt von den vielen Touristen, das Problem ist aber zum Teil hausgemach­t.

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