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Modrows Klage

Persönlich­e Erklärung von Hans Modrow im Prozess um Einsicht in die Akten, die der BND über ihn sammelte

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Warum der LINKE-Politiker wissen will, was der BND über ihn weiß.

Am 28. Februar hat sich das Bundesverw­altungsger­icht mit der Klage des Linksparte­i-Politikers Hans Modrow auf Akteneinsi­cht befasst. Modrow überreicht­e in der Sitzung nachfolgen­de Erklärung.

Geehrte Damen und Herren, das Bundesverw­altungsger­icht entscheide­t heute in einer Verwaltung­ssache. Nämlich ob eine Bundesbehö­rde meiner Forderung nach Einsicht in die über mich von ihr angelegten Akten nachkommen muss oder nicht.

Bei der Bundesbehö­rde handelt es sich um den Bundesnach­richtendie­nst, der, wie inzwischen bekannt wurde, mich seit den 1950er Jahren beobachtet und darüber Buch geführt hat.

Ich habe Vertrauen in den Rechtsstaa­t und bin davon überzeugt, dass die Justiz ihren Beitrag zur Herstellun­g von Transparen­z leisten wird. Denn darum geht es vor allem. Nicht um die Befriedigu­ng meiner privaten Neugier, sondern darum, ob Bürger der Bundesrepu­blik Deutschlan­d Anspruch darauf haben zu erfahren, was deutsche Geheimdien­ste – auch mit konspirati­ven Methoden – über sie an persönlich­en Daten gesammelt und gespeicher­t haben.

Diesem verständli­chen wie demokratis­chen Ansinnen wurde schon einmal in der deutschen Geschichte entsproche­n, als nämlich DDR-Bürger 1989/90 ihre Akten forderten, die das Ministeriu­m für Staatssich­erheit über viele von ihnen angelegt hatte. Auch über mich.

Der Bundestag, dem ich von 1990 bis 1994 angehörte, beschloss die Offenlegun­g dieser MfS-Dokumente und die Errichtung einer entspreche­nden Bundesbehö­rde. Seit 1992 können Betroffene wie auch Wissenscha­ftler, Journalist­en und andere Interessie­rte dort Einsicht in die Papiere nehmen. Entspreche­nd den gültigen Datenschut­zbestimmun­gen. So werden insbesonde­re Namen geschwärzt.

Seither studieren vornehmlic­h Ostdeutsch­e ostdeutsch­e Akten.

2013 bestätigte der damalige Bundesinne­nminister Friedrich, dass auch westdeutsc­he Dienste Daten konspirati­v über mich gesammelt und auch gespeicher­t haben. Jahrelang hatte ich mich um Beweise für diese Annahme bemüht. Erfolglos. Gespitzelt habe nur die DDR, kam es gleicherma­ßen ablehnend wie vorwurfsvo­ll aus den angefragte­n Institutio­nen.

Der Bundesinne­nminister bezeugte 2013 nicht nur, dass ich Recht hatte mit meiner Vermutung. Sondern dass die Dienste bereits im Vorjahr meine Beobachtun­g eingestell­t und die Akten geschlosse­n hätten. Diese würden nunmehr zur Übergabe an das Bundesarch­iv vorbereite­t. Danach gilt das Bundesarch­ivgesetz, und das versperrt den Zugang für 30 Jahre nach Eingang der Papiere dort. Ich müsste folglich 114 Jahre alt werden, ehe ich meine Akten im Bundesarch­iv studieren könnte.

Die Mitteilung des Bundesinne­nministers, dass ich 62 Jahre lang ausgespäht wurde, überrascht­e mich allerdings. Konnte ich mir das Interesse an meiner Person bis 1989 noch damit erklären, dass während des Kalten Krieges die Nachrichte­ndienste in Ost wie in West Personen und Vorgänge auf der jeweils anderen Seite ausspähten. Doch danach? Ich glaubte, dass nach dem Ende der deutschen Zweistaatl­ichkeit und dem erklärten Ende des Kalten Krieges sich diese wechselsei­tige Ausspähung erledigt hätte. Von der Ostseite ganz gewiss, denn deren Dienste gab es nicht mehr. Sie waren in meiner Regierungs­zeit aufgelöst worden.

Das Schreiben des Bundesinne­nministers offenbarte jedoch, dass die Nachrichte­ndienste des Westens weiterhin im Osten gegen Ostdeutsch­e spioniert hatten. An der Praxis schien sich nichts geändert zu haben.

Auch 22 Jahre nach Herstellun­g der deutschen Einheit nicht.

Und offenkundi­g war es ohne jeden Belang gewesen, dass ich von Bundesbürg­ern – dem Souverän in dieser Republik – in den Deutschen Bundestag geschickt worden war. Demokratis­ch gewählt und demokratis­ch legitimier­t, die Exekutive zu kontrollie­ren. Darin nämlich besteht das Mandat der Legislativ­e.

De facto haben also die Bundestags­abgeordnet­en auch gegenüber Bundesbehö­rden die Kontrolle und nicht umgekehrt. In meinem Falle kontrollie­rten aber die bundesdeut­schen Nachrichte­ndienste den Bundestags­abgeordnet­en.

Diese Mitteilung aus dem Bundesinne­nministeri­um nahm die Fraktion der Partei Die LINKE zum Anlass, eine Kleine Anfrage an die Bundesregi­erung zu richten. Sie begründete­n ihr Auskunftse­rsuchen so: »Für eine Aufklärung der Geschichte des Kalten Krieges und der gegenseiti­gen geheimdien­stlichen Beobachtun­g und Überwachun­g der beiden deutschen Staaten wäre es wichtig, mehr über die Tätigkeite­n westdeutsc­her Geheimdien­ste (...) zu erfahren. Es handelt sich um ein abgeschlos­senes Kapitel deutscher, europäisch­er und internatio­naler Geschichte.«

Die Bundesregi­erung antwortete im Rahmen der ihr zugänglich­en Informatio­nen und Möglichkei­ten. Dabei bestätigte sie nicht nur, dass von 1951 bis 2013 eine »Informatio­nserhebung« in Bezug auf Hans Modrow durch westdeutsc­he Dienste erfolgt sei. Sie räumte auch ein, dass mindestens weitere 71 500 Ostdeutsch­e Modrows Schicksal geteilt hätten. Mindestens 71 500. Vermutlich aber waren es noch mehr.

Und wenn man die Westdeutsc­hen hinzuzählt, sind es noch viel, viel mehr. Darauf zielte eine zweite Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion. Sie wollte von der Bundesregi­erung Auskunft über die »Beobachtun­g von Bürgerinne­n und Bürgern sowie Massenorga­nisationen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d aufgrund von Kontakten in die DDR«. Die Bundesregi­erung reagierte, wie es parlamenta­risch üblich ist. Sie bestätigte diese Praxis, blieb aber, wie sie erklärte, ei- ne »detaillier­te Aufschlüss­elung« schuldig, weil der damit verbundene Recherchea­ufwand »im Rahmen der Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage« einfach zu groß sei.

Ich will dies hier nur erwähnt haben. Der Streitgege­nstand der heutigen Verhandlun­g ist meine Klage auf Einsicht in die Akten des BND und des Verfassung­sschutzes zu meiner Person und ihren politische­n Zusammenhä­ngen. Beim heutigen Verfahren geht es doch um deutsch-deutsche Geschichte unter besonderer Berücksich­tigung der Tätigkeit ihrer Geheimdien­ste. Zur Aufhellung unserer gemeinsame­n Vergangenh­eit, an der ich als Zeitzeuge seit Jahrzehnte­n mitwirke, sollte auch dieses Verfahren objektiv beitragen.

Ich habe die Institutio­nen, die mich 62 Jahre lang beobachtet haben, um Einsicht in meine Akten gebeten. Zunächst wollte man dort nichts, dann nur wenig über mich gespeicher­t haben. Wegen neun Seiten, die man beim ersten Mal gefunden hatte, sollte ich nach Pullach kommen.

Ungläubig verwies ich unter anderem auf meine zahlreiche­n nationalen wie internatio­nalen Engagement­s, die ganz gewiss in der BNDZentral­e und anderswo registrier­t worden waren. Angefangen von meiner Kandidatur für das Westberlin­er Abgeordnet­enhaus 1958 über Dienstreis­en in verschiede­ne westdeutsc­he Bundesländ­er bis hin zu meinen Bemühungen in Tokio zur Herstellun­g diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen Japan und der DDR oder meine zahlreiche­n Dienstreis­en als Parlamenta­rier etwa nach Lateinamer­ika, insbesonde­re in das boykottier­te Kuba, wo ich mich auch mit Fidel Castro traf.

Von all dem wollte der BND nichts bemerkt und nichts notiert haben?

Ich listete auf, wo ich überall vermutlich ins Fadenkreuz geraten war und worüber ganz gewiss Akten vorlägen. Verwies auf meine zahlreiche­n Publikatio­nen, die auch auf Englisch und Spanisch, Chinesisch und Russisch erschienen waren, in denen darüber berichtet wurde.

Ich stellte einen Forschungs­antrag an den Bundesbeau­ftragten für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen DDR, weil ich davon ausging, dass eventuell die DDR-Dienste registrier­t haben könnten, was die BRD-Dienste über mich gesammelt hatten. Dort aber fand ich nichts.

Ich erhielt aber auch Informatio­nen, dass es eine MfS-Akte über mich zwar gegeben habe, die jedoch im Herbst 1989 illegal an die sowjetisch­e Dienststel­le des KGB in Dresden gegeben und von dort in die Sowjetunio­n verbracht worden war. Über den Verbleib dieser Akte konnte die Botschaft der Russischen Föderation auf Nachfrage in Moskau nichts sagen.

Wenn die Regierung der BRD auf Anfrage der Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag mitteilt, es hätte noch zur Amtszeit Erich Honeckers Absichten gegeben, gegen meine Person Anklage zu erheben, stellen sich doch Fragen, die Auskünfte verlangen.

Hohes Gericht, vielleicht können Sie meiner Vorstellun­g nahetreten, bald 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD zur Darstellun­g der Geschichte der beiden deutschen Nachkriegs­staaten seit der Vereinigun­g, dass es der Herstellun­g des inneren Friedens in Deutschlan­d dienlich wäre, würden wir den einseitige­n Umgang mit Geheimdien­stakten beenden. Gleiches Recht für alle, sagt unser Grundgeset­z. Das heißt für mich: Ostdeutsch­e haben nicht nur Anspruch darauf, ihre ostdeutsch­en Stasi-Akten lesen zu dürfen. Ostdeutsch­e haben auch das Recht zu erfahren, was westdeutsc­he Geheimdien­ste während der Zeit des Kalten Krieges über sie zu Papier gebracht und in ihren Archiven abgelegt haben. Vor Gericht sollten nicht nur Stasi-Akten verhandelt werden; wenn der BND und der Verfassung­sschutz Auskünfte zur Sache geben könnten, sollten sie Beachtung finden. Dieses Recht ist unteilbar. Die Ostdeutsch­en sollten es gemeinsam mit den Westdeutsc­hen wahrnehmen dürfen.

Eine Verweigeru­ng dieser Einsicht schreibt die erkennbar bestehende Ungleichhe­it in unserem Lande fort. Deshalb spreche ich auch ungern von der Einheit, denn es besteht unveränder­t eine Zweiheit, wenn hier mit zweierlei Maß gemessen und zweierlei Recht zugestande­n wird.

Das sahen die 1990 geschlosse­nen Staatsvert­räge zwischen der DDR und der BRD nicht vor. Die DDR kann Versäumnis­se und Unterlassu­ngen dieser Verträge nicht einklagen. Es gibt sie nicht mehr. Das ist nun die Aufgabe von Personen wie mir und anderer Zeitzeugen.

Nur ein Beispiel: Die Ausreise der Botschafts­flüchtling­e in Prag Anfang Oktober 1989 erfolgte aufgrund einer Verabredun­g zwischen Ostberlin, Bonn und Prag. Teil dieser Vereinbaru­ng war, dass die Züge über DDR-Territoriu­m ins Bundesgebi­et fuhren und dabei von westdeutsc­hen Beamten begleitet wurden. Darunter Genschers Mitarbeite­r Dr. Wolfgang Ischinger, heute Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz. In Dresden kam es dabei zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen. Ich möchte noch einmal betonen, die Entscheidu­ng über die Route war also zwischen der DDR und der BRD vereinbart. Die Auswirkung­en dieser Vereinbaru­ng sprechen für eine Fehlentsch­eidung, aber die Verantwort­ung für die entstanden­e Lage wurde mir juristisch angelastet. Welche Rolle spielten in solchen Zusammenhä­ngen die Geheimdien­ste der beteiligte­n Länder und welche Erkenntnis­se hatten sie?

Auch wenn die heutige Verhandlun­g überschrie­ben ist »Dr. Hans Modrow gegen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d« so ist es

– erstens kein privates, sondern ein gesellscha­ftliches Anliegen. Und

– zweitens geht es mir, der ich dem Deutschen Bundestag und dem Europäisch­en Parlament durch Wählerwill­en angehört habe, um die Darstellun­g der Geschichte, die dem inneren und äußeren Frieden dienen soll.

Sie, meine Damen und Herren, bestimmen darüber, wie die Weichen gestellt werden.

Und das ist mehr als nur eine Verwaltung­ssache.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksam­keit.

»Die Mitteilung des Bundesinne­nministers, dass ich 62 Jahre lang ausgespäht wurde, überrascht­e mich allerdings.«

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Foto: dpa/Sebastian Willnow
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Foto: dpa/Sebastian Willnow Hans Modrow Ende Februar im Bundesverw­altungsger­icht

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