Dreck nach Vorschrift
In technischen Prüflaboren muss es sehr genau zugehen, von den Ergebnissen hängt einiges ab
Im Prüfinstitut für Elektrogeräte sind selbst die Flecken genormt.
Wie werden eigentlich die Produkte, die täglich neu auf den Markt kommen, getestet? Da die Autorin das schon immer wissen wollte, hat sie auf Einladung der Stiftung Warentest ein Prüflabor besucht. Beim Öffnen der Kellertür schlägt einem feuchte Wärme entgegen, es riecht nach Waschpulver und nasser Kleidung. 23 Grad Celsius sind es im Testlabor für Waschmaschinen, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 55 Prozent. Wie in den anderen Prüfräumen des unscheinbaren Plattenbaus am Rande einer mittelgroßen hessischen Stadt müssen die Umgebungsbedingungen konstant sein, damit vergleichbare Ergebnisse herauskommen: Das Wasser für die Waschmaschinen kommt speziell mineralisiert mit exakt 15 Grad Celsius aus der Aufbereitungsanlage. Die Maschinen sind an Computer angeschlossen, die Daten sammeln. Genormte Prüfgeräte – sogenannte Wascatoren – stellen Vergleichsinformationen zur Verfügung.
Den ganzen Tag beladen Ingenieure wie Thoralf Baumann* Maschinen mit der vom Hersteller angegebenen Maximalmenge. »Wir sind die einzigen, die acht Kilo Schmutzwäsche tatsächlich in die Maschine bekommen«, sagt Baumann mit einem Augenzwinkern. Dafür muss er die weißen Baumwollhandtücher, Bettzeug und Kissenbezüge nach einem vorgegebenen Muster falten und stapeln, dazwischen liegen Normstreifen mit industriell aufgebrachten Flecken wie Blut, Mineralöl oder Rotwein. Sie werden von einer Spezialfirma hergestellt und tiefgekühlt geliefert. 80 Euro kostet ein Paket mit fünf Streifen, hunderte verbrauchen die Produkttester im Monat.
Geprüft wird neben der Waschleistung noch einiges mehr: Stromund Wasserverbrauch, Lärmbelastung und Bedienbarkeit, auch andere Herstellerangaben – entweder auf Anfrage der Produzenten selbst, die sich vom Prüfsiegel Verkaufserfolge versprechen, oder aber im Auftrag von Verbraucherorganisationen wie der Stiftung Warentest. Sie lässt Produkte prüfen, um Gefahren für Verbraucher auf die Spur zu kommen oder den Kunden bei der Kaufentscheidung zu helfen. Damit keine Interessenskonflikte entstehen, sichert sich die Stiftung Warentest juristisch ab, die Institute müssen eine Neutralitätserklärung unterschreiben und dürfen nicht gleichzeitig ähnliche Gerätetests für die Hersteller durchführen.
Damit hat sich die Stiftung einen guten Stand erarbeitet: Laut einer Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbandes aus dem vergangenen Jahr kennen 98 Prozent der Bundesdeutschen die Organisation, 82 Prozent davon vertrauen ihren Testurteilen. Damit das so bleibt, lässt die Stiftung in rund 100 Instituten unabhängige Warenprüfungen durchführen – welches beauftragt wird, entscheidet sich nach Art des Produktes. In dem hessischen Plattenbau etwa gibt es Labore für Staubsauger, Beleuchtungstechnik, Datensicherheit und eben Waschmaschinen.
Bei deren Überprüfung fällt den Ingenieuren auf, dass viele Modelle gar nicht die Temperaturen erreichen, die in den Waschprogrammen angegeben sind. Das ist auch den Energiesparvorschriften der EU geschuldet – die Aufheizzeit ist der größte Stromfresser während des Waschgangs, da können die Hersteller gut sparen.
Auch bei anderen Geräten versuchen Firmen geschickt, die europäischen Vorgaben zu erreichen. Ähnlich wie bei Auto-Abgastests führen viele Unternehmen Gerätetests durch, die zwar den EU-Vorgaben, nicht aber der Realität der Benutzer entsprechen. So wird der Stromverbrauch von Kühlschränken nur bei geschlossener Tür gemessen und die Leistung von Staubsaugern mit leerem Beutel auf unkomplizierten Untergründen getestet. »Das geht am normalen Leben der Verbraucher vorbei«, sagt Holger Brackemann, bei der Stiftung Warentest Leiter des Bereichs Untersuchungen. Die Stiftung arbeitet deshalb mit den Laboren realistischere Prüfprogramme aus: So werden Staubsauger auch mit vollem Beutel getestet, die Universaldüse wird über ein genormtes Stück Teppich bewegt, das mit extra eingekauftem Normstaub präpariert wird. Dabei fallen Probleme auf, die dem Kunden den Spaß am Elektrogerät verderben könnten: Schläuche können abreißen, Kabel brechen, der Teppich ist nicht staubfrei.
Durch den Fachbereich Informationssicherheit weht dagegen kein Staub, sondern ein Hauch von Hollywood: Hacker – das klingt nach Spionage und politischen Querelen. Dennoch rennen Interessenten der Personalabteilung nicht gerade die Bude ein. Vielleicht, weil Produktmanager für Informationssicherheit nicht ganz so aufregend klingt wie Hacker. Doch in der schnelllebigen digitalen Welt werden Experten gebraucht, die mit der Entwicklung mithalten können. Menschen wie Andreas Müller*, der für Stiftung Warentest Video-on-Demand-Anbieter wie Netflix, Sky oder Amazon Prime dahingehend überprüft hat, wie sie Kundendaten behandeln.
Alles kann Müller nicht herausfinden, für manche Tests müsste er sich in die Systeme der Anbieter einklinken – doch das ist verboten. »Wir testen nur die Datenströme im Institutssystem, also was der Kunde heraus- gibt«, sagt Müller. Dafür wird auf Testrechnern ein sogenannter Man in the middle (Mittelsmann) aufgebaut, der den Geräten an beiden Enden der Kommunikation vortäuscht, er sei der jeweils andere Partner. Dabei fallen Datenlecks oder auch die absichtliche Datenweitergabe schnell auf.
Eigentlich dürfen die Anbieter keine Informationen weiterleiten, wenn der Kunde nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Doch wer liest schon die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bevor er auf »Akzeptieren« klickt? Wie es mit der Datensicherheit bei den getesteten Streaming-Anbietern aussieht, darf Müller leider noch nicht preisgeben, die Ergebnisse sollen in einem der nächsten »test«-Hefte – der monatlichen Publikation der Stiftung Warentest – veröffentlicht werden.
Weiter geht es in den Geräuschemissionsmessraum. Das Rauschen in den Ohren ist unangenehm; wird die Tür geschlossen, wird es noch unangenehmer. Manch ein Besucher stand schon kurz vor der Ohnmacht, erzählt Institutsleiter Jürgen Knieriem*. Im Raum für akustische Messungen sind Wände und Decke mit geometrischen Konstruktionen verkleidet, die Schall schlucken, der Fußboden besteht aus einem schwebend gelagerten Betonfundament, das Schwingungen abfängt. »Wenn die Tür zu ist, würde man ein mit Überschallknall über das Gebäude fliegendes Flugzeug nicht hören«, sagt Knieriem ein wenig stolz. Nur 16 Räume mit diesem Standard gibt es weltweit.
Erst nach zwei Stunden trifft die Besuchergruppe die erste Frau in den Laborhallen: Irina Stepanowa* arbeitet in der Abteilung für Lichttests. Sie gehört zu den nur zehn Prozent Ingenieurinnen im Institut. Dieses Un- gleichgewicht ändert sich nur langsam. Frauen interessieren sich immer noch selten für technische Berufe. In Stepanowas Studiengang Beleuchtungstechnik waren zwar 18 von 20 Studierenden Frauen, in anderen Spezialbereichen aber herrschte das umgekehrte Verhältnis. Auch viele Männer in der Branche sind nicht auf weiblichen Zuwachs eingestellt: »An meinem ersten Tag haben mich die Kollegen gewarnt, dass die Leuchte, die getestet werden sollte, für mich vielleicht zu schwer sei«, erzählt Stepanowa. »Aber inzwischen haben wir die Männer ganz gut im Griff«, lacht sie. Die Atmosphäre im Institut sei angenehm, man helfe einander und checke alles lieber einmal öfter gegen. Im Labor stehen viele teure Geräte, da dürfen keine Fehler riskiert werden.
Die können sich die Tester nicht leisten, bei den Prüfungen kommt es auf jeden Millimeter, jedes Gramm und jedes Dezibel an. Die Firmen wollen mit den Ergebnissen schließlich der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen. Die Stiftung Warentest dagegen muss sicher sein, korrekte Ergebnisse zu veröffentlichen, sonst drohen teure Klagen aus der Wirtschaft. Deshalb wird von den Stiftungsexperten alles nachgeprüft. Mit Erfolg: Bisher konnte die Organisation die meisten Prozesse mit einem Sieg beenden. Die Führung durch das Institut ist unterdessen auch beendet, über 40 Journalisten verlassen den Bau und denken bei der Heimfahrt über Normstäube, legale Hacker und Waschmaschinenbeladungen nach.
Am Donnerstag ist Weltverbrauchertag, diesmal rund um das Thema Energie. In Produktprüflaboren werden auch Energieeffizienz und -verbrauch von Geräten getestet.
Ähnlich wie bei Abgastests führen viele Unternehmen Gerätetests durch, die zwar den EU-Vorgaben, nicht aber der Realität der Benutzer entsprechen.
*Die Namen der Institutsmitarbeiter sowie der Standort wurden auf Bitten der Stiftung Warentest geändert. Das soll vor Einflussnahme durch Firmen schützen.