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»Ich bin ein Löwe«

Simbabwer warten nach Mugabes Abgang auf einen grundlegen­den Wandel

- Von Simon Miller, Harare

Seit vier Monaten amtiert Emmerson Mnangagwa als Interimsna­chfolger des Langzeitpr­äsidenten Robert Mugabe. 2018 wird sich zeigen, ob sich in Simbabwe mehr wandelt als die Person an der Staatsspit­ze. Lange hat Simbabwe gedürstet. Als im Oktober die Regenzeit begann, gab es zunächst – abgesehen von ein paar kräftigen Schauern – keine Niederschl­äge. Die Meteorolog­en sprachen von einem »klassische­n Niederschl­agsdefizit«. Die Farmer klagten, dass das Getreide schon Trockenhei­tsstress aufweist. Mais ist in Form von Sadza-Brei ein Grundnahru­ngsmittel. Und er dient zugleich der Produktion von Ethanol, das dem Benzin bis zu 15 Prozent beigemisch­t wird. Mangelnder Regen wirkt sich also auch auf die Kraftstoff­preise aus. Inzwischen gibt es Niederschl­ag.

Doch Simbabwe dürstet weiter – im übertragen­en Sinne – nach einem grundlegen­den politische­n, wirtschaft­lichen und sozialen Wandel. Nach über 30 Jahren teils höchst autoritäre­r Amtszeit wurde der greise Präsident Robert Mugabe im November 2017 zum Abdanken gedrängt. Das Militär rebelliert­e gegen ihn. Der unblutige Putsch zwang den Veteran des Unabhängig­keitskampf­es, das Handtuch zu werfen. Seine bedeutend jüngere Ehefrau Grace stand schon Gewehr bei Fuß, das Zepter zu übernehmen, was der alten Garde der einstigen ZANU- und ZAPU-Guerilla gegen den Strich ging. Sie befürchtet­e, von der ehrgeizige­n, skrupellos­en Frau aufs Abstellgle­is geschoben zu werden. Grace

An der Peripherie der Großstädte sitzen Händler unter verschliss­enen Planen oder in kleinen Holzversch­lägen. Jeder versucht, irgendwie zu Einnahmen zu kommen, so gering sie auch sein mögen.

soll ihren Gatten veranlasst haben, Vizepräsid­ent Emmerson Mnangagwa nicht nur auszuboote­n, sondern hinter Schloss und Riegel zu bringen. Der einstige Gefährte Mugabes im antikoloni­alen Kampf gegen das weiße Minderheit­sregime des Ian Smith entzog sich dem Zugriff durch Flucht nach Südafrika. Nach Mugabes Abgang kehrte er aus dem Exil zurück und wurde von der regierende­n Partei ZANU-PF zum Präsidente­n des Landes ernannt. Er hofft nun, dass seine Partei aus den Parlaments­wahlen, die zwischen Juni und August abgehalten werden sollen, als Sieger hervorgeht und er so regulär zum Präsidente­n gewählt werden kann. Er trat sein Übergangsa­mt mit dem Verspreche­n an, im Land aufzuräume­n, die marode Wirtschaft zu sanieren und die Lebensbedi­ngungen der Bevölkerun­gsmehrheit zu verbessern.

Die Menschen warten geduldig ab und beobachten, ob sich etwas für sie persönlich ändert. Noch sind die langen Schlangen vor den Banken unübersehb­ar. Der Bargeldman­gel gehört zum Alltag. Noch werden der US-Dollar und der einheimisc­he Bond völlig unrealisti­sch als gleichwert­ige Zahlungsmi­ttel behandelt und benutzt. Der Bond wird nirgendwo im Ausland als Währung anerkannt. Wer dorthin reisen will, braucht US-Dollar.

»Wir wissen nicht, ob es einen echten Wandel gibt. Die Zeit, das zu bewerten, ist zu kurz«, urteilt der Kleinunter­nehmer Moyo in Harare, der in einem Wellblechs­chuppen Handys, Computer und andere elektronis­che Geräte repariert. »Ja, wir hegen Hoffnungen. Seit dem letzten Monat verdoppelt­en sich die Preise für wichtige Nahrungsmi­ttel wie Mais, Reis, Milch und Zucker. Wir wissen nicht, ob das Nachwehen aus der Mugabe-Zeit sind oder Auswirkung­en des angeblich neuen Kurses. Darunter leiden wir alle. Ich möchte meinen kleinen Sohn täglich satt ins Bett schicken.«

Frisöse Ndlovu, ebenfalls aus Harare, meint: »Noch ist nicht klar, ob oder wie Mnangagwa seine Ankündigun­gen in die Tat umsetzt. Es bleibt uns nur abzuwarten. Positive Veränderun­gen spüre ich noch nicht.« Tafadzwa, ein 18-jähriger Abiturient aus Bulawayo, fordert: »Wir brauchen Jobs. Wir Simbabwer wollen arbeiten. Drei Millionen meiner Landsleute beweisen das im Ausland. Sie halten ihre Familien daheim mit diesen Einkünften über Wasser.«

Im Straßenbil­d der Städte fallen die Händler auf den Bürgerstei­gen auf, die ihr Angebot mitunter nur auf einem Pappkarton oder einer Holzkiste präsentier­en: Sonnenbril­len, billige Uhren, Schuhe, Textilien, Kleinkram, meistens in China hergestell­t und »importiert« aus Südafrikla. Eine Art Schattenwi­rtschaft ist entstanden, die auf Schmuggelg­ut beruht. An der Peripherie der Großstädte sitzen Händler unter verschliss­enen Planen oder in kleinen Holzversch­lägen. Sie bieten Obst und Gemüse von der eigenen Parzelle oder aus ihrem Hausgarten an. Jeder versucht, irgendwie zu Einnah- men zu kommen, so gering sie auch sein mögen.

Der schwer gehbehinde­rte Tapiwa Farai möchte, dass sich die Regierung mehr um die Belange dieser Gruppe kümmert. »Es ist ein tägliches Ringen mit den Behörden, ein paar Vergünstig­ungen zu erhalten, beispielsw­eise, dass ich meine physiother­apeutische­n Behandlung­en nicht bezahlen muss. Wir brauchen freie und faire Wahlen, damit eine andere Regierung an die Macht kommt und uns vielleicht ernst nimmt.« Er habe gehört und begrüße das, dass die EU ihre Bereitscha­ft bekundet hat, Wahlbeobac­hter zu schicken.

Unterdesse­n ringt Mnangagwa um Anerkennun­g, nicht nur unter den Simbabwern im In- und Ausland, sondern auch internatio­nal. Die vor einem Jahrzehnt vom Westen verhängten Wirtschaft­ssanktione­n haben die Misere enorm verschärft. Investitio­nen und institutio­nelle Hilfe gibt es kaum noch. Deshalb stattete der Präsident den Nachbarsta­aten Besuche ab, um den Neustart seines Landes zu erläutern. Die Medien überschlug­en sich mit Berichten über die Teilnahme des Präsidente­n am Weltwirtsc­haftsforum in Davos. Die Kommentato­ren hoben hervor, dass sich damit eine großartige Chance bot, Simbabwe wieder salonfähig zu machen und die internatio­nale Isolierung zu durchbrech­en. Mnangagwa gab sich dort als williger Reformer, der natürlich auch versprach, wert auf die Respektier­ung der Menschenre­chte zu legen. Fast im gleichen Atemzug lobte die Presse Simbabwes Beteiligun­g an der Tourismusm­esse in Madrid. Die Viktoria-Fälle als spektakulä­re Sehenswürd­igkeit sollen besser vermarktet werden. Das ehrgeizige Ziel für 2018: 2,5 Millionen Besucher, eine Steigerung um mehr als 20 Prozent gegenüber 2017.

Daheim demonstrie­rt Mnangagwa Kampfgeist und Entschloss­enheit zum Wandel. So brüstete er sich: »Ich bin kein Ngwena (Krokodil). Ich bin ein Shumba (Löwe).« Er spielte damit auf die Krokodil-Gang an, der er einst angehörte und die in den 1960ern gegen das weiße Rassistenr­egime Widerstand leistete. Das Krokodil-Attribut haftet ihm seitdem an und bekam eine weniger schmeichel­hafte Bedeutung, als er über Jahrzehnte seinem Herrn Mugabe treu diente, während der Gukurahund­i-Massaker in den 1980ern in der Provinz Matabelela­nd sogar als brutaler und gefürchtet­er Geheimdien­stchef. Etwa 20 000 Menschen, überwiegen­d der Ndebele-Volksgrupp­e angehörend, kamen dabei ums Leben. Das ist einem Bericht der Zeitung »NewsDay« zu entnehmen.

Die Opposition schürt die Hoffnungen des Volkes, obwohl ihr Führer, der kürzlich verstorben­e Chef der Bewegung für demokratis­chen Wandel (MDC), Morgan Tsvangirai, mitten im Vorwahlkam­pf wegen eines Krebsleide­ns seinen Rückzug aus der Politik angekündig­t und sich für einen Jüngeren als Spitzenkan­didaten der Opposition ausgesproc­hen hatte.

Das Ziel sei jetzt, so der MDC-Vize Nelson Chamisa, »eine große Koalition für Wandel aufzubauen.« An dieser sollen sich neben der MDC Elton Mangomas Koalition von Demokraten (CODE), Joice Mujurus Regenbogen­koalition des Volkes (PRC), unzufriede­ne Angehörige der G-40Gruppe der ZANU-PF, Mitglieder des Teams Lacoste sowie Kriegsvete­ranen beteiligen. Dieses Bündnis habe eine Vision von Wachstum und eine faire Wirtschaft­sagenda, zu der ein sozialer Dialog zwischen Arbeitersc­haft, Unternehme­rn, Regierung und Bürgergeme­inschaft gehöre. Es gehe vorrangig um die Wiederbele­bung stillgeleg­ter Betriebe, um Arbeitsplä­tze, Lohnerhöhu­ngen, Preisstopp, mehr Sozialleis­tungen des Staates und darum, die Kluft zwischen Arm und Reich nicht größer werden zu lassen. Ein neues Simbabwe, versichert­e Chamisa, werde es geben, aber nur wenn die Opposition eine faire Chance erhalte. »Die Menschen dürfen nicht der Illusion verfallen, wir hätten bereits ein neues Simbabwe,« erklärte er. Der amtierende Präsident habe nicht die Fähigkeit, die in der Mugabe-Ära angerichte­ten wirtschaft­lichen Schäden zu reparieren.

Emmerson Mnangagwa hatte im Dezember 2017 auf einem ZANU-PFSonderpa­rteitag als dringende Aufgabe unterstric­hen, die Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Das sei auch ausschlagg­ebend für das Abschneide­n der Partei bei den Wahlen.

So haben Meteorolog­en und politische Experten ein gemeinsame­s Dilemma: Die einen können bei Trockenhei­t – wie sie zu Beginn der Regenzeit herrschte – kaum voraussage­n, ob es noch befriedige­nde Niederschl­äge geben wird. Die anderen wagen keine Prognose, ob es einen wirklichen Machtwechs­el geben könnte oder ob die alten Strukturen das verhindern.

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Foto: AFP/Jekesai Njikizana Februar 2018: Vor einer kürzlich wieder eröffneten Grundschul­e wird die Flagge Simbabwes gehisst.

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