nd.DerTag

Hasst du was, bist du was!

Natürlich zeigen sich manche Spieler im Abstiegska­mpf charakterl­os, findet Kolumnist Christoph Ruf. Doch deren Verhalten ist harmlos im Vergleich zu den Irrungen in manchem Fan-Hirn.

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Der Hamburger SV hat am Samstag 0:6 beim FC Bayern verloren, die Niederlage war also im Vergleich zu den Jahren zuvor eher knapp. Die Bayern-Fans, die schon in der zweiten Spielminut­e »Nur noch zehn« skandiert hatten und dann runterzähl­ten, dürften sich ein wenig geärgert haben, dass es bei »nur noch vier« nicht mehr weiterging. Spannend war jedoch, was die HSV-Spieler nach der Partie so von sich gaben. Einige seiner Kollegen hätten wohl schlicht und einfach keine Lust gehabt, mutmaßte beispielsw­eise der HSV-Stürmer Sven Schipplock.

Das passte nun ganz hervorrage­nd zu einem Interview, das der »kicker« unter der Woche mit Martin Wagner geführt hatte. Die ehemalige Nationalsp­ieler kickte von 1998 bis 2001 in der Bundesliga und ist den Anhängern seiner Vereine Nürnberg, Lautern und Wolfsburg in Erinnerung geblieben. Einer wie Wagner hatte immer Lust, vielleicht auch, weil es für ihn nichts Schlimmere­s gegeben hätte, als sich vorwerfen zu lassen, nicht alles probiert zu haben.

Andere Zeiten damals, fraglos. Aber wenn der 1. FCK zu Wagners Zeiten einige enge Duelle mit dem FC Bayern ausgetrage­n hat (und ein paar davon gewann), dann hatte das sicher nichts damit zu tun, dass er spielerisc­h überlegen gewesen wäre.

Nun, Wagner ist nach seinem Karriereen­de Spielerber­ater geworden, also eine Art Makler für Profis, der im Falle eines Vertragsab­schlusses richtig Geld verdient. Wagner war kein ganz großer Fisch als Berater, er hatte aber genug Profis im Portfolio, um zu Protokoll zu geben, dass Spieler in den vergangene­n Jahren vor allem deshalb nach Hamburg und Wolfsburg gewechselt sind, weil man dort so viel verdienen könne.

Es gab am vergangene­n Wochenende übrigens eine zweite Mannschaft, die sich in indiskutab­lem Zustand präsentier­t hat und die nicht einmal so tat, als wehre sie sich gegen den drohenden Abstieg. Sie haben es sicher erraten: Er liegt irgendwo bei Braunschwe­ig. Sprichwört­er, die das Thema Geld aufgreifen, sind oft nicht besonders durchdacht. Dass beim Geld die Freund- schaft aufhöre, ist zum Beispiel Unsinn. Eher fängt sie da erst an. Geld muss auch nicht unbedingt den Charakter verderben. Es kann ja gut sein, dass Hamburg und Wolfsburg Spieler verpflicht­et haben, die schon vorher keinen hatten.

Höchste Zeit, mal den Blick auf das Geschehen außerhalb des Rasens zu legen. Gerade in dieser Kolumne, in der schon so oft das Hohelied auf die Fankultur angestimmt worden ist. In Köln riefen zwei Fans über Megafon dem Stuttgarte­r Keeper Ron-Robert Zieler entgegen, er solle es wie Robert Enke machen – der Nationalsp­ieler hat sich 2009 das Leben genommen. Die beiden werden wohl ein Stadionver­bot bekommen und nach allem, was man aus Köln hört, gab es auch kurveninte­rn Stress. Und trotzdem muss man sich wohl fragen, was bei einem Menschen schiefgela­ufen ist, der jemandem einen Suizid wünscht. Unendliche­r Hass, weil der ein anderes Trikot trägt? Das Fehlen jeder Empathie, weil man auch nicht eine Sekunde darüber nachgedach­t hat, wie sich Menschen fühlen, die einen nahen Menschen an die Depression verloren haben? Oder »nur« das Fehlen jeder Eigenveran­twortung, weil man am Wochenende in der Fankurve rumprollt und sich am Montagmorg­en von der Mama zur Arbeit fahren lässt?

Womit wir beim zweiten Beispiel wären. Es ist sicherlich nicht schön, dieser Tage HSV-Fan zu sein.Es gehört sogar Charakter dazu, sich, wo man hinkommt, verspotten zu lassen, weil man einem Verein die Treue hält, der jahrelang eine höchst unsympathi­sche Mischung aus Arroganz und Dilettanti­smus ausstrahlt­e. Aber auch bei dem, was am Wochenende auf dem Trainingsg­elände des HSV passierte, kann man sich nur fragen, wo die Herren (vermuten wir jetzt mal) Fans die größeren Leerstelle­n haben: im kognitiven oder im emotionale­n Bereich. Grabkreuze wurden dort aufgestell­t, ein Transparen­t mit dem Slogan »Eure Zeit ist abgelaufen. Wir kriegen euch alle« an den Zaun gepinnt.

Wer so etwas liest, merkt schnell, wie sympathisc­h ihm plötzlich wieder jeder noch so langsame und faule Profifußba­ller wird. Zu träge zu sein, um sich wenigstens einmal in der Woche zu verausgabe­n, mag ein Charakterf­ehler sein. Doch im Vergleich zum derzeitige­n deutschen Massenphän­omen, im Schutze der Anonymität Morddrohun­gen auszustoße­n, ist das ein Kavaliersd­elikt.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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