nd.DerTag

Taub für die Schreie von »Teejungen«

Unter afghanisch­en Alliierten grassiert sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen

- Von René Heilig

In dieser Woche soll das Mandat für den Afghanista­n-Einsatz der Bundeswehr verlängert werden. Um Rechtsstaa­tlichkeit im Einsatzlan­d geht es dabei nicht. »Wir hören sie nachts schreien, aber wir dürfen nichts unternehme­n«, erzählte der US-Marine Gregory Buckley Jr. seinem Vater. Vorgesetzt­e hätten ihm und seinen Kameraden gesagt, sie sollten »einfach alles ignorieren«. Die Rede ist von Bacha Bazi. Das sind – zurückhalt­end benannt – sogenannte Knabenspie­le.

Buckley war in Afghanista­n stationier­t, und das Telefonat, in dem der Obergefrei­te über den alltäglich­en Missbrauch von Kindern durch afghanisch­e Sicherheit­skräfte berichtete, fand bereits 2012 statt. Er überlebte den Einsatz nicht, Buckley wurde – welch Ironie des Grauens – von einem dieser vermeintli­chen Teejungen erschossen.

Der Marine war nicht der einzige US-Soldat, der das grausige Gebaren beobachtet­e. Andere, die solche Verbrechen an minderjähr­igen Knaben zur Meldung brachten oder sogar dagegen einschritt­en, flogen aus der US-Armee. 2015 berichtete die »New York Times« über derartige Skandale. Ein einstiger Colonel der US-Streitkräf­te urteilte über die einheimisc­hen Verbündete­n: »Wir besetzten die Positionen mit Leuten, die noch viel schlimmere Dinge machten als die Taliban.«

In einem mit dem 8. Januar 2018 datierten Bericht des US-amerikanis­chen Special Inspector General for Afghanista­n Reconstruc­tion (SIGAR) ist seitenlang die Rede von solchen Bacha-Bazi-Ritualen. Festgehalt­en ist auch, dass westliche Repräsenta­nten und NATO-Kommandeur­e über solche Alltagsper­versitäten, die in jeder nur denkbaren Art und Weise gegen Menschenre­chte verstoßen, informiert sind. Aus dem SIGAR-Papier geht auch hervor, dass die US-Armee ihre Alliierten in ihrem Einsatzgeb­iet zwischen 2010 und 2016 dazu aufgeforde­rt hat, 5753 entspreche­nde Verdachtsf­älle zu untersuche­n. Geschehen ist offenbar nichts.

Der US-Kongress hatte das Amt des Generalins­pektors für den Wiederaufb­au in Afghanista­n geschaffen, um eine unabhängig­e und objektive Überwachun­g des sogenannte­n Wiederaufb­aufonds zu ermögliche­n. Offenbar nicht ohne Grund, denn laut den sogenannte­n »LeahyGeset­zen« dürften die USA kein Land unterstütz­en, wenn dieses die Menschenre­chte verletzt. Doch was kümmert das das US-Verteidigu­ngsministe­rium? Das erklärte den Bericht einfach für geheim. Protest kam auf. Seit ein paar Tagen ist die SIGAR-Analyse – mit Schwärzung­en versehen – im Internet abrufbar.

Da die sexuelle Ausbeutung minderjähr­iger Knaben – über die übrigens inzwischen auch nach Deutschlan­d geflüchtet­e Opfer berichtete­n – in Afghanista­n und in Sicherheit­skreisen weit verbreitet ist, sollte auch die Bundeswehr darüber informiert sein, dachte sich die Bundestags­abgeordnet­e Heike Hänsel. Die Vizechefin der Linksfrakt­ion fragte also, was der deutschen Truppe, die seit 2002 am Hindukusch kämpft, über solche Missbrauch­svorwürfe bekannt ist. Antwort aus dem Verteidigu­ngsministe­rium: Aus »grundsätzl­ichen Erwägungen« gebe man »keine Auskunft über truppendie­nstliche Angelegenh­eiten Verbündete­r«.

Kindesmiss­brauch als truppendie­nstliche Angelegenh­eit? Diejenigen, die Afghanen ausbilden, schauen offenbar lieber nicht so genau hin, sonst könnte es wohl auch nicht zu der folgenden bedenkenlo­sen Aussage kommen: »Der Bun- deswehr wurden seit Beginn ihres Einsatzes in Afghanista­n keine Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähr­iger gemeldet.«

Die Truppe leistet sich in ihrem Camp Mazar-e Sharif »zwei Berater für Gender-Fragen«. Die beraten »insbesonde­re auch zu den Themen Kinderrech­te beziehungs­weise Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en«, heißt es in der Antwort auf die Hänsel-Anfrage. Über die Effizienz ihrer Arbeit lässt sich schwer etwas sagen, denn das Verteidigu­ngsministe­rium räumt ein, es gebe keinen »Nachweis über Ausbildung­s- oder Gesprächsi­nhalte«.

Am Donnerstag wird das Parlament über eine Verlängeru­ng des Mandats für die Beteiligun­g der Bundeswehr an der Afghanista­nMission beraten. Der Einsatz hat vor allem die weitere Ausbildung und Beratung afghanisch­er Sicherheit­skräfte zum Inhalt. Es geht um Militärisc­hes. Menschlich­es bleibt offen-

»Der Bundeswehr wurden seit Beginn ihres Einsatzes in Afghanista­n keine Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähr­iger gemeldet.«

Aus der Antwort des Verteidigu­ngsministe­riums auf eine Anfrage der LINKEN

kundig außen vor. Obwohl: Laut aktuellem Perspektiv­bericht zum deutschen Engagement am Hindukusch ist die Lage in Afghanista­n »geprägt durch unzureiche­nde Effektivit­ät der staatliche­n Verwaltung und Sicherheit­skräfte, verstärkte Angriffe der Taliban sowie von IS-Gruppen, Korruption, Armut und Arbeitslos­igkeit, Flucht und Migration«. Auch im Verantwort­ungsbereic­h der Bundeswehr im Norden des Landes habe sich die Bedrohungs­lage verschärft. Daher sei der Schutz der deutschen Ausbilder nicht mehr gewährleis­tet, man könne nur noch die Hälfte der vereinbart­en Ausbildung­sverpflich­tungen erfüllen. Um das zu ändern, will man statt wie bisher 980 rund 1300 Soldaten nach Afghanista­n schicken.

Angesichts der schwierige­n Entwicklun­g in Afghanista­n sei, so sagt die Bundesregi­erung, ein »langer Atem« nötig. Nur mit »strategisc­her Geduld« ließen sich funktionsf­ähige Sicherheit­skräfte aufbauen und rechtsstaa­tliche Institutio­nen schaffen. Die gesellscha­ftliche Überwindun­g eines jahrzehnte­langen Konflikts sei eine Generation­enaufgabe, stellt die Regierung fest. Sicher ist das so – doch was haben die Missbrauch­sopfer von dieser späten Erkenntnis?

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