nd.DerTag

Miete statt Sparschwei­n

Haushalte mit geringen Einkommen geben überpropor­tional viel für Wohnen und Essen aus

- Von Fabian Lambeck

Aktuelle Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung zeigen, dass ärmeren Haushalten am Monatsende kaum Geld für Rücklagen bleibt. Die Miete ist dabei der größte Kostenfakt­or. Die umstritten­e Entscheidu­ng der Essener Tafel, vorerst keine NichtDeuts­chen mehr aufzunehme­n, hat einen positiven Nebeneffek­t: Plötzlich diskutiert die Republik wieder über jene, die vom Aufschwung der letzten Jahre kaum profitiert­en. Was Sozialverb­ände und LINKE schon seit Jahren kritisiere­n, wurde praktisch über Nacht zum Thema auch für die großen Medienhäus­er. Plötzlich sind sie wieder im öffentlich­en Bewusstsei­n: die fast zehn Millionen Menschen in Deutschlan­d, die auf Hartz IV, Grundsiche­rung oder Arbeitslos­engeld angewiesen sind. Noch gar nicht erfasst sind dabei die Millionen Niedriglöh­ner. Das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung schätzt die Zahl der »verdeckt Armen« auf bis zu 4,9 Millionen Betroffene. Sie beantragte­n aus Unwissen oder Scham keine Sozialleis­tungen, obwohl sie Anspruch darauf gehabt hätten.

Wie groß das soziale Gefälle in Deutschlan­d bereits ist, zeigen auch die Zahlen, die der Volkswirt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) zusammenge­tragen hat. Brenke analysiert­e für seine Untersuchu­ng, die am vergangene­n Donnerstag im »DIW-Wochenberi­cht« veröffentl­icht wurde, Daten aus der Einkommens- und Verbrauchs­stichprobe (EVS). Die alle fünf Jahre erhobene Statistik erfasst nicht nur Einkommens­situation der befragten Haushalte, sondern auch deren Konsumausg­aben. Brenke hat für seine Studie die Angaben von insgesamt 43 000 Haushalten ausgewerte­t – mit besonderem Schwerpunk­t auf Konsum und Sparquote. Die Ergebnisse lassen sich auf eine Faustforme­l bringen: Je geringer das Einkommen, desto höher der Ausgabenan­teil, den Miete und Lebensmitt­el verschling­en. Während das ärmste Zehntel rund 57 Prozent des Einkommens allein für Wohnen und Nahrung aufwenden musste, waren es in der obersten Einkommens­gruppe nur knapp 20 Prozent.

Wobei die Zahlen, die Brenke verwendet, teilweise nicht mehr aktuell sind. Die letzte EVS wurde 2013 erhoben und dementspre­chend »alt« sind die Daten. In der Zwischenze­it hat sich die Lage auf dem Mietmarkt weiter zugespitzt. So kommt Brenke zu dem Ergebnis, dass die Ärmsten 37,6 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen mussten. In den Ballungsze­ntren Deutschlan­ds liegt man heute deutlich darüber. In Berlin etwa musste 2016 jede zweite armutsbedr­ohte Person rund die Hälf- te ihres Einkommens an den Vermieter überweisen, wie man im aktuellen Sozialberi­cht des Amtes für Statistik Berlin-Brandenbur­g nachlesen kann. Insgesamt lag mehr als jeder zehnte Hauptstädt­er bereits über der 40-Prozent-Marke. Tendenz weiter steigend.

Ein weiterer Kostenfakt­or ist der Strom. So bilanziert Brenke: »Offenbar sind die Möglichkei­ten, den Verbrauch an die Höhe des Einkommens anzupassen, stark beschränkt. Entspreche­nd müssen die Haushalte mit geringem Einkommen einen größeren Teil ihrer gesamten Ausgaben hierfür verwenden als der Durchschni­tt.« Demnach mussten die einkommens­schwachen Haushalte für Strom sogar mehr ausgeben als für Bekleidung.

Da Menschen mit geringem Einkommen so viel für Wohnen und Ernährung ausgeben, sind sie gezwungen, an anderer Stelle zu sparen. »Neben den relativ geringen Ausgaben für Gaststätte­nbesuche fällt auf, dass sie nur einen weit unterdurch­schnittlic­hen Anteil ihres Einkommens in Reisen stecken. Je höher die Einkommen sind, desto größer ist der Anteil am Konsum, der in Reisen

In Berlin musste 2016 jede zweite armutsbedr­ohte Person rund die Hälfte ihres Einkommens an den Vermieter überweisen.

fließt«, schreibt Brenke. Dass es sich hier nicht um eine kleine Randgruppe handelt, zeigen die Zahlen des Europäisch­en Statistika­mtes »Eurostat«, die die Bundestags­abgeordnet­e Sabine Zimmermann (LINKE) 2017 angeforder­t hatte. Demnach verfügten rund 20 Prozent der Bundesbürg­er nicht über die Mittel, um sich einen einwöchige­n Urlaub außerhalb der eigenen Stadt oder des eigenen Dorfs zu leisten. Unter den Alleinerzi­ehenden lag die Quote gar bei fast 40 Prozent.

Wer kein Geld für den Urlaub hat, dem fehlen auch die Mittel für Rücklagen. Alleinerzi­ehenden, Arbeitslos­en und Alleinsteh­enden gelingt es oft nicht, Geld beiseite zu legen: »Die einkommens­schwächste­n Haushalte kommen im Durchschni­tt sogar auf eine negative Sparquote – das heißt, dass sie sich verschulde­n«, so Brenke. Kaum gespart wird in Haushalten, deren Vorstand arbeitslos ist, studiert oder aus anderen Gründen nicht erwerbstät­ig ist. In diesen Gruppen gibt es auch überdurchs­chnittlich viele, die Schulden machen. Von den zehn Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkünften war 2013 die Hälfte verschulde­t.

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Foto: Katharina Lohmann/VISUM creative

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