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Oberbayern schließt Asylberate­r aus

Absurde Begründung: Privatsphä­re der Flüchtling­e

- Von Johannes Hartl

17 Jahre lang konnte der »Infobus für Flüchtling­e« in Oberbayern Asylsuchen­de direkt in den Einrichtun­gen beraten – bis die Bezirksreg­ierung dem Projekt ein Zutrittsve­rbot erteilte. Der »Infobus für Flüchtling­e« ist eine Institutio­n. Seit 2001 berät das Team in Oberbayern Geflohene in sämtlichen Fragestell­ungen, die ihr laufendes Asylverfah­ren betreffen. Im Rahmen dieser Arbeit bereiten sie die Betroffene­n unter anderem auf die Anhörungen vor, übersetzen behördlich­e Dokumente und informiere­n über die Entscheidu­ngen der zuständige­n Behörde, auch im Hinblick auf mögliche Klagen. Die Mitarbeite­r des Projekts verstehen sich in erster Linie als Wegweiser im Behörden-Dschungel. Bislang konnte das Team seine Arbeit immer problemlos durchführe­n — direkt vor Ort in den jeweiligen Einrichtun­gen des Bezirks.

Doch das hat sich geändert. Mit Schreiben vom 8. Januar hat die Regierung von Oberbayern dem Projekt, das der Münchner Flüchtling­srat und Amnesty Internatio­nal München gemeinsam betreiben, plötzlich den Zugang zu allen oberbayeri­schen Einrichtun­gen untersagt. Das Verbot betrifft das Fahrzeug; vor allem aber natürlich die Mitarbeite­r des Infobusses, die das Gelände nicht länger betreten dürfen. Als Begründung dienen vor allem die Privatsphä­re der Geflüchtet­en sowie brandschut­zrechtlich­e Aspekte, ohne dass diese näher ausgeführt werden. Die Regierung sei in der Verantwort­ung, so ein Behördensp­recher gegenüber »nd«, »einen geschützte­n Wohnbereic­h zu schaffen und den Asylsuchen­den einen Raum zu bieten, in dem sie zur Ruhe kommen können«.

Den Zugang zum Bus wolle man mit dem Rauswurf jedoch nicht einschränk­en. Ergänzend zu den Beratungsa­ngeboten der Caritas in der Inneren Mission gewähre man den Bewohnern »selbstvers­tändlich« weiterhin »Zugang zum Angebot des Infobusses«, erklärte der Sprecher, »auch wenn dieser nicht unmittelba­r auf dem Areal der Einrichtun­g steht«. Es würden Informatio­nsblätter in den Unterkünft­en ausgelegt und »an geeigneter Stelle mit Aushängen« über das Angebot informiert, so dass Asylsuchen­de dieses in Anspruch nehmen können.

Elisabeth Fessler, eine Mitarbeite­rin des Projekts, lässt das nicht gelten. »Die Argumentat­ion mit der Privatsphä­re ist absurd«, sagt sie, »denn die Erstaufnah­me- einrichtun­g ist absolut kein Ort der Privatsphä­re.« Es fänden dort regelmäßig Abschiebun­gen statt, und die Türen seien nicht abschließb­ar. Das Angebot des Projekts sei außerdem freiwillig, werde also niemandem aufgezwung­en. Unter diesen Umständen hält Fessler es für eine Verhöhnung der Betroffene­n, ihre Privatsphä­re als Argument gegen eine Beratung in ihrem Interesse vor Ort anzuführen.

Für die Münchner Asylberate­rin besteht vielmehr der Verdacht, dass der verweigert­e Zutritt im Zusammenha­ng mit einer Anfrage an die Bezirksreg­ierung steht, ob im umstritten­eren Transitzen­trum Manching in Ingolstadt ebenfalls Beratungen angeboten werden können. Daraufhin sei der Zugang plötzlich grundsätzl­ich infrage gestellt worden, obwohl man zuvor stets vertrauens­voll zusammenge­arbeitet habe. Es sei im Laufe der letzten 17 Jahre jedenfalls zu keinen Zwischenfä­llen gekommen, versichert Fessler, die Anlass zu einem Ausschluss gegeben hätten.

Ihr Team hat nun Klage gegen die Entscheidu­ng eingereich­t. Vor dem Verwaltung­sgericht München will es feststelle­n lassen, dass das Vorgehen gegen unionsrech­tliche Vorgaben verstößt. Das spielt auf den Artikel 18 der EU-Aufnahmeri­chtlinie an, der 2015 Eingang in die nationale Gesetzgebu­ng fand. Unabhängig­en Asylberate­rn soll demnach der Zugang ermöglicht werden, damit sie vor Ort ihrer Tätigkeit nachgehen können. Dabei reicht es für Fessler nicht aus, dass sie ihre Beratung außerhalb des Geländes weiter durchführe­n können. Man sei dort weniger sichtbar und für Menschen nicht erreichbar, die aus körperlich­en oder psychische­n Gründen die Einrichtun­g nicht verlassen können.

Unterstütz­t wird das Projekt von mehreren Flüchtling­s- und Menschenre­chtsorgani­sationen, darunter auch von Amnesty Internatio­nal. Aus dem Berliner Büro liegt eine Stellungna­hme vor, die scharfe Kritik an der Regierung enthält. »Die unabhängig­e Verfahrens­beratung ist ein wesentlich­er Bestandtei­l für ein faires Asylverfah­ren«, heißt es dort. Durch den Ausschluss der Mitarbeite­r werde ihre Tätigkeit »erheblich erschwert und in vielen Fällen unmöglich gemacht«. Die Maßnahme sollte daher umgehend zurückgeno­mmen werden. Tatsächlic­h dürfte nicht nur Amnesty die Klage mit Interesse verfolgen, denn von einer gerichtlic­hen Entscheidu­ng könnte möglicherw­eise eine Signalwirk­ung ausgehen, die bundesweit­en Einfluss auf vergleichb­are Angebote hat.

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