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Die Thüringer SPD hat einen neuen Vorsitzend­en

- Von Sebastian Haak, Weimar

Die Thüringer SPD hat sich auf einem Parteitag Mut zugesproch­en, mit Unterstütz­ung aus Berlin ein bisschen von der umstritten­en Agenda 2010 verabschie­det – und einen neuen Vorsitzend­en gewählt. Ehe der Neue der Neue ist, steht er in der Mitte des Saals, an einem Stehtisch, der mit einem roten Tuch umhüllt ist. Und nicht am Rednerpult, wie man das sonst gewohnt ist von SPD-Parteitage­n in Thüringen. Das Mikrofon hat Wolfgang Tiefensee in der Hand, damit man auch im letzten Winkel des Saals hört, wie er sagt: »Wir werden uns mit der Agenda 2010 auseinande­rsetzen.« Man müsse sie weiter verändern, dort, wo es notwendig sei. Oder: »Wir sind das Original.« Die Partei stehe seit ihrer Gründung im 19. Jahrhunder­t für Solidaritä­t, Gerechtigk­eit und Freiheit. Oder: »Der Kapitalism­us ist veränderun­gsbedürfti­g und er ist veränderba­r.« Die SPD wolle weniger Ellenbogen und mehr Herz.

Und er bekommt Applaus. Jedenfalls manchmal für diesen Auftritt im Christian-Lindner-Stil-light, mit dem Tiefensee – grauer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte – am Sonntag in Weimar die Parteiseel­e streichelt. Bezeichnen­derweise rührt sich keine Hand, als er in sein Mikrofon ruft: »Zeit, umzudenken, Zeit, umzukehren, Zeit für einen Neustart!« Da ist von der mehr als einstündig­en Rede des bald Neuen nicht mal das erste Viertel geschafft.

Bezeichnen­d ist das, weil es hier im Congress-Zentrum der Klassikers­tadt die ganze Zeit über nicht so sehr um die Frage geht, ob Tiefensee an diesem Tag zum Thüringer SPD-Vorsitzend­en gewählt wird. Das ist lange klar, bevor die Delegierte­n und all ihre Gäste im Saal Platz genommen haben. Tiefensee ist der einzige Bewerber für den Posten. »Momentan«, wie die zuletzt kommissari­sche Thüringer SPD-Chefin Heike Taubert nicht zuletzt Tiefensee erinnert, ehe der an den rot umhüllten Tisch tritt. Aber nachdem der bisherige SPDChef im Freistaat, Andreas Bausewein, Ende 2017 sein Amt für alle überrasche­nd zur Verfügung gestellt hatte, wollte sich eben niemand anders als Kandidat aufstellen lassen.

Hier geht es deshalb vor allem um die Frage, ob die SPD-Mitglieder glauben, mit Tiefensee an der Spitze den Neuanfang schaffen zu können, den sie sich in den vergangene­n Monaten in der Debatte um den schwarz- roten Koalitions­vertrag im Bund versproche­n haben. Mit Tiefensee an der Spitze in Thüringen und mit Genossinne­n wie der designiert­en Bundesjust­izminister­in Katarina Barley im Spitzentea­m der SPD in Berlin. Denn diese Frage ist nicht nur eine Thüringer Frage, sondern eine, die Sozi- aldemokrat­en überall in Deutschlan­d umtreibt. Man könnte sie auch so formuliere­n: Kann mit diesem Personal nun die Erneuerung gelingen, die auch ein Schwenk nach links sein soll?

Barley immerhin signalisie­rt als Gast des Parteitage­s, dass inzwischen auch in der Bundes-SPD die Überzeugun­g ganz oben angekommen ist, dass sich die SPD maßgeblich mit der Agenda 2010 wird auseinande­rsetzen, von ihr abwenden müssen, wenn sie sich neu erfinden will, wenn sie wieder wirklich nach links will. Alle wüssten doch, sagt Barley beispielsw­eise, dass die in Deutschlan­d noch verblieben­en Langzeitar­beitslosen auf dem ersten Arbeitsmar­kt keinen Job mehr finden würden. Deshalb sei es so richtig, dass im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD im Bund nun vier Milliarden Euro für öffentlich geförderte­n, sozialen Arbeitsmar­kt zur Verfügung gestellt werden sollten. »Das hat so viel mit Respekt zu tun, mit Würde von Arbeit.«

Also: Trauen die Sozialdemo­kraten ihrem neuen Spitzenper­sonal nun die linke Erneuerung zu? Tiefensee jedenfalls bekommt nach seiner, von vielen eng bedruckten Zetteln abgelesene­n Rede an dem roten Tisch, 78,5 Prozent der Stimmen. Was viele auf dem Parteitag in den Gesprächen nach dem Wahlgang zwar als »ehrliches Ergebnis« werten. Was aber eben auch zeigt, wie groß in den eigenen Reihen noch immer die Zweifel daran sind, dass Tiefensee ebenso wie Barley und all die anderen selbst ernannten Erneuerer die richtigen Menschen auf den richtigen Positionen sind.

Am Ende ist die SPD in Thüringen wie im Bund eben nicht nur auf der Suche nach Personal. Sondern nach sich selbst.

Am Ende ist die SPD in Thüringen wie im Bund eben nicht nur auf der Suche nach Personal. Sondern nach sich selbst.

 ?? Foto: dpa/Candy Welz ?? Der Sonderpart­eitag der SPD in Thüringen stimmte für Wolfgang Tiefensee – Gegenkandi­daten gab es nicht.
Foto: dpa/Candy Welz Der Sonderpart­eitag der SPD in Thüringen stimmte für Wolfgang Tiefensee – Gegenkandi­daten gab es nicht.

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