nd.DerTag

Kollegen des mordenden Pflegers angeklagt

Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen »Tötung durch Unterlasse­n« vor. Auch der verurteilt­e Niels H. muss wieder vor Gericht

- Von Hagen Jung

Gegen vier Kollegen des Krankenpfl­egers, der in Niedersach­sen rund 100 Menschen durch Injektione­n getötet haben soll, hat die Staatsanwa­ltschaft Anklage erhoben. Hätten Kollegen des ehemaligen Krankenpfl­egers Niels H. verhindern können, dass er nach mehreren verdächtig­en Todesfälle­n im Krankenhau­s Delmenhors­t seine Mordserie fortsetzte? Ja, meint die Justiz in Oldenburg und hat Anklage gegen vier frühere Mitarbeite­r der Klinik erhoben. Gegen welche – darüber waren sich Staatsanwa­ltschaft und Landgerich­t in der nahe Bremen gelegenen Universitä­tsstadt nicht einig gewesen. Nun hat dort das Oberlan- desgericht (OLG) endgültig entschiede­n: Neben zwei Ärzten und dem Leiter der Intensivst­ation muss sich – und das ist neu - auch eine der stellvertr­etenden Stationsle­iterinnen für das ihr vorgeworfe­ne Versäumnis in Sachen Niels H. verantwort­en.

Der 41-Jährigen war vor drei Jahren wegen zwei Morden, zwei Mordversuc­hen und einer gefährlich­en Körperverl­etzung zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Wegen 97 weiterer Morde, die H. nach Erkenntnis­sen von Polizei und Staatsanwa­ltschaft mit dem Einspritze­n eines für seine Opfer tödlichen Medikament­es begangen haben soll, muss sich der ehemalige Krankenpfl­eger im Laufe dieses Jahres erneut einer Hauptverha­ndlung stellen.

Zwar wird sich für Niels H. dadurch nichts ändern – er hat bereits für die gestandene­n Taten die Höchststra­fe bekommen, wobei das Gericht die besondere Schwere der Schuld festgestel­lt und damit eine eventuelle Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlo­ssen hat. Doch für die Hinterblie­benen der Mordopfer ist es womöglich eine Erleichter­ung, im Verlauf des Prozesses endlich Klarheit über den Tod ihrer Angehörige­n zu erlangen.

Die neue Verhandlun­g gegen H. wird voraussich­tlich zum Herbst anberaumt und stellt die Justiz vor ein Raumproble­m. Die Säle im Gericht sind nicht groß genug, die vielen als Nebenkläge­r zu erwartende­n Angehörige­n der Ermordeten aufzunehme­n, auch muss mit einer großen Prä- senz der Medien gerechnet werden. Deshalb werden die Sitzungen vermutlich in einer anderen Oldenburge­r Lokalität stattfinde­n.

Wohl erst nach dem Prozess gegen H. werden seine vier ehemaligen Kollegen als Angeklagte vor Gericht stehen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen vor, zwischen Anfang Mai und Ende Juni 2005 »durch Unterlasse­n in einer unterschie­dlichen Anzahl von Fällen einen Menschen getötet zu haben«. Sie sollen im Anschluss an den Tod von Patienten »die Begehung weiterer Tötungsdel­ikte durch Niels H. tatsächlic­h für möglich gehalten haben«, jedoch nicht eingeschri­tten sein und somit bis zu fünf weitere Taten »billigend in Kauf genommen« haben.

Die stellvertr­etende Stationsle­iterin, die nun laut aktueller OLG-Ent- scheidung mit zu den Angeklagte­n zählt, hatte nach Ansicht jenes Gerichts die Aufgabe gehabt, Patienten auf der Intensivst­ation »vor Gefahren zu bewahren«. Auch habe sie in ihrer Funktion Niels H. bei seiner Arbeit »näher beobachten« und sicherstel­len müssen, dass von ihm keine Gefahr für die Kranken ausgeht.

Dieser Pflicht, so das OLG, sei die Frau nicht vollständi­g nachgekomm­en. Sie habe zwar ihren vorgesetzt­en Stationsle­iter »über konkrete Verdachtsm­omente« informiert. Der jedoch habe weitergehe­nde Untersuchu­ngen in puncto H. abgelehnt. Dennoch habe die Angeklagte die Sache nicht auf sich beruhen lassen dürfen, sondern »die nächste Führungseb­ene« in Kenntnis setzen müssen, meint das Oberlandes­gericht.

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