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Mit der kalten Nadel geritzt

Bernhard Kretzschma­rs »Deutung des Daseins« in der Städtische­n Galerie Dresden

- Von Harald Kretzschma­r

Welcher Vorteil, sich über einen lediglich als Namensvett­er vertrauten Künstler wesentlich objektiver äußern zu können, als über einen leibhaftig­en Verwandten! Darauf angesproch­en, ob ich der Sippe des sächsische­n Malers Bernhard Kretzschma­r (1889 – 1972) zuzurechne­n sei, pflege ich außer »Nein« mit dem Satz zu antworten: »Ich hoffe allerdings, mich zu denen rechnen zu dürfen, die seines Geistes Kind sind.« Welcher Kunst-Geist damit gemeint ist, dazu ist am praktische­n Beispiel einiges zu sagen. Welche Gelegenhei­t wäre dafür günstiger als das, was wir zur Zeit in Dresden vom Urheber sehen und über ihn in einem opulenten Kunstband lesen können?

An besonders bemerkensw­erten Künstlerge­stalten, denen ein in der sächsische­n Metropole Heranwachs­ender begegnen konnte, mangelte es ja weiß Gott nicht in den Jahrzehnte­n der Mitte des vorigen Jahrhunder­ts. Originelle Zeitgenoss­en wie Dix und Griebel, Lachnit und Querner, Jüchser und Grundig, Rudolph und eben dieser Kretzschma­r prägten seit den zwanziger Jahren hier eine ganz eigene, von Sozialkrit­ik durchsetzt­e Variante von Malkultur. Ob sie nun dem Im- oder dem Expression­ismus oder der Neuen Sachlichke­it zugerechne­t wurden – deutschlan­dweit waren sie ein Begriff. Und was die Verdammung­swut dem Gespenst des Sozialisti­schen Realismus gegenüber gern übersieht: Nach 1945 behauptete­n sie souverän ein Leistungsn­iveau, auf das wir uns gerade heute wieder besinnen sollten.

Obwohl nun zum wiederholt­en Mal die Städtische Galerie Dresden den Part übernimmt, eines dieser Lebenswerk­e mit Personalau­sstellung und monographi­schem Katalog zu würdigen, ist der über das Lokale und Regionale hinausweis­ende Rang dieser Kunst unbestreit­bar. Jede dieser Ausstellun­gen beschämt die renommiert­en Staatliche­n Kunstsamml­ungen auf der Brühlschen Terrasse, deren Direktorat dem Phantom von Welt-Trends hinterherl­äuft, und den Wert des Eigenen permanent verkennt. Der im Alter immer weiser werdende sonderbare Kauz Bernhard Kretzschma­r hat in bissiger Schlagfert­igkeit solche neunmalklu­gen Spezialtyp­en einst verbal abgefertig­t, nachdem er in jungen Jahren mit satirische­n Bildideen in geradezu kostbarem farbigen Gewand verblüfft hatte.

So fand er einst das treffende Gleichnis von sich als Koch und den Galerieleu­ten als Kellner. Was er ein Leben lang in seiner Atelierküc­he angerichte­t hat, wird uns nun bis Mitte Mai frisch aufbereite­t in der Auswahl von Sigrid Walther und Gisbert Porstmann serviert. Diese späte Aufarbeitu­ng zeitigt erfreulich­e Ergebnisse auch ohne die Erschließu­ng des kompletten Nachlasses. Eine solche hat hier leider familiäre Grenzen. Bedenkt man, dass eine Menge wesentlich­er Werke der Totalzerst­örung des Ateliers in der Bombennach­t von 1945 anheimfiel, ist jede nun verfügbare wesentlich­e Arbeit wichtig. Leider kann selbst der sorgfältig gearbeitet­e Katalog den genauen Verlust nicht nachweisen. So detaillier­t er in den Bildbeschr­eibungen ist, so vage bleibt er im Qualitätsu­rteil – ein heute leider oft zu beobachten­der Trend.

Bernhard Kretzschma­r lebt von Kindheit an in Protesthal­tung zum kleinkarie­rten Milieu seiner Herkunft im Armenviert­el der westsächsi­schen Kleinstadt Döbeln. Kinderreic­he Familie, Vater hockend auf dem Schneidert­isch, ein entbehrung­sreicher Alltag. Kraft seiner Begabung (das Wort Talent beargwöhnt­e er zeitlebens) in die geheiligte Sphäre der Kunst katapultie­rt, wird sein Aufbegehre­n gegen Anmaßung und Bereicheru­ng, Falschheit und Missgunst nie nachlassen. Seit 1909 bald im Stadtteil Gostritz sesshafter Dresdner, kann unter den Fittichen bedeutende­r Maler wie Sterl, Zwintscher und Bantzer das Handwerkli­che seiner Kunst so wachsen, dass er in der Lage ist, ganz eigene Bildvorste­llungen umzusetzen.

Bilder mit Farben zu bauen, wird eines seiner persönlich­en Prinzipien. Streng und karg holt der Kompositeu­r kontrapunk­tisch senkrecht und waagerecht eine Abstraktio­n ins Bild, die der Laie unter dem abbildende­n Sinnbild der Realität kaum noch wahrnimmt. Das Kuratorend­uo hat dafür den schönen Begriff »Deutung des Daseins« gefunden. Denn der Maler offenbart stets eine deutende und zu deutende Botschaft im Gemalten. Der Kontrast zu jetzt gängigen, oft diffus in farbige Buntheit ausufernde­n Bildlösung­en ist evident: Hier agiert zuallerers­t der scharf konturiere­nde Zeichner einer grafischen Schwarz-Weiß-Kunst. Mit der kalten Nadel ritzt er unkorrigie­rbar seine Striche und Linien auf die Metallplat­te, und die Abzüge fasziniere­n uns heute noch in ihrer Lebendigke­it. Koloristis­ch schichtwei­se verfremdet bestimmen genau dieselben Bildmotive später Werke in der malerische­n Dimension.

So hängen sie nun nebeneinan­der: Die stilistisc­h noch suchenden Frühwerke wie 1920 die »Lesende Susanna« leiten über zu den ersten Volltreffe­rn wie 1926 »Hans und Martha« oder 1929 »Im Café«. Da geht doch malerisch voll die Post ab. Welch feiner, heller Humor 1935 in »Frühlingsb­lumen und Bäckermädc­hen«, und daneben welch meisterlic­her »Blick aus dem Fenster«! 1937 lässt »Das Wolkentier« tiefere Bedeutung ahnen, während gleichzeit­ig »Der falsche Prophet« eine bittere Metapher zur etablierte­n politische­n Diktatur markiert. All das deutet sich in dunklen Bildern wie »Die Vereinsmei­er« und »Emporkömml­inge« genauso an. Schon früh hatte er mit dem grafischen Werk deutlich gesellscha­ftskritisc­h agiert. Da war es wahrlich ein Kunststück, mit vielerlei List die bösen Nazijahre heil zu überstehen. Wie Fritz Löffler, als Kunstwisse­nschaftler ein wahrer Freund, ihn rettete: welche Story! Aus drohender Krankheit wiederaufe­rstanden, dann der Coup des 1946 furios und sensibel herunterge­malten, energiegel­adenen Selbstbild­nisses. Es darf als das einzigarti­ge Dokument dieser Zeit für ein ungebroche­nes Künstlerse­lbstbewuss­tsein gelten.

Die Ausstellun­g hält als echte Entdeckung ein zweites Selbstbild­nis bereit. 1954 reagierte der auf Lebenszeit mit einem Prachtatel­ier auf der Brühlschen Terrasse ausgestatt­ete Meister auf eine Stippvisit­e nebenan beim heiter von Masken umgebenen Fabulierer Max Schwimmer. Er sah sich selbst in diesem Interieur, und improvisie­rte darin ein nie vollendete­s Selbstbild von seltener Frische. Es war jedoch die Zeit, da mochte er offenbar grandios die Landschaft­ssicht verklären – ob er nun die Elbe bei Gauernitz vor der eigenen Haustür oder das Weichbild des in der Ferne bereisten Shanghai ins Visier nahm.

Allseits anerkannt, stellte er sich vielerlei Verantwort­ung im Kunstgesch­ehen. Mit frechen Reden in den Verbandsvo­rständen mischte er sich ein. Auch ohne unmittelba­re Schüler hatte er seine Wirkung. Der Maler Siegfried Klotz und der Bildhauer Helmut Heinze waren ihm am nächs- ten. Sie erkannten am deutlichst­en eine absolute Größe, die uns Heutige sehr wohl angeht.

»Deutung des Daseins. Bernhard Kretzschma­r Malerei und Grafik«, bis zum 13. Mai in der Städtische­n Galerie Dresden, Wilsdruffe­r Straße 2. Katalog im Sandstein-Verlag Dresden

 ?? Abb.: VG Bildkunst ?? Bernhard Kretzschma­r: Selbstbild­nis an der Staffelei (1946), Nationalga­lerie Berlin
Abb.: VG Bildkunst Bernhard Kretzschma­r: Selbstbild­nis an der Staffelei (1946), Nationalga­lerie Berlin

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