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Wer zornig ist, kann sich verrennen

Die »Neue Gesellscha­ft für Psychologi­e« steht womöglich vor einer Spaltung

- Von Velten Schäfer

Mit Phänomenen der Spaltung ist die Psychologi­e vertraut – zumindest in Theorie und Heilpraxis. Nun aber scheint sich ausgerechn­et in dem kleinen Bereich derjenigen Seelenkund­e, die individuel­le Abweichung­en noch kritisch mit sozialen Verhältnis­sen verbindet, selbst eine Spaltungst­endenz abzuzeichn­en.

Dies sorgt für Sorge im Vorstand der »Neuen Gesellscha­ft für Psychologi­e und Nachbardis­ziplinen« (NGfP), die sich am Wochenende in Berlin zur Jahrestagu­ng versammelt­e. Es habe sich, so Vorstandsm­itglied Christoph Bialluch, darob zeitweise eine »Lähmung« der Kongressvo­rbereitung ergeben.

Es geht um einen offenen Brief einer »Initiative kritische Psychologi­e« aus dem Dezember, der schwere Vor- würfe gegen den Vorstand der 1991 gegründete­n NGfP erhebt. Unter dem Vorsitz von Klaus-Jürgen Bruder sei dieselbe »weitgehend in den verschwöru­ngsideolog­ischen Sumpf der Querfront eingegange­n«. Auch ist von »friedenspo­litisch verbrämtem Antiamerik­anismus« und »strukturel­lem Antisemiti­smus« die Rede. Unterzeich­net haben 30 eher jüngere Fachvertre­ter, von denen sich etliche früher am Verband beteiligt hatten.

Der Antisemiti­smusvorwur­f bezieht sich primär auf den Auftritt des israelisch­en Historiker­s Moshe Zuckermann beim NGfP-Kongress 2015. Zuckermann, ein scharfer Kritiker zumal der gegenwärti­gen Regierung Israels, wird der Verharmlos­ung von Antisemiti­smus bezichtigt.

Nun wäre ja die notorische ideologisc­he Inversion im Nahostkont­ext ein Thema für einen Psychologi­ekongress: Warum fühlen sich so viele deutsche Linke verpflicht­et, der israelisch­en Rechten so überborden­d beizusprin­gen – und die ohnehin bedrängte israelisch­e Linke mit Hass und Häme zu überziehen? Doch Bruder, Dozent an der Berliner FU und als einstiger Promovend Peter Brück- ners fast eine Figur der Zeitgeschi­chte, verteidigt­e sich am Freitagvor­mittag überaus plump mit dem Verweis auf eine »Antisemiti­smuskeule«. Das brachte, vorsichtig formuliert, die Debatte nicht voran.

Zugleich liegt dem offenen Brief eine rhetorisch­e Strategie zugrunde, die kaum auf Auseinande­rsetzung zielt. Es scheint wichtiger, wo etwas steht, als was es sagt. Dass auf der Webseite der NGfP mitunter auf Artikel aus »obskuranti­stischen« Internetpo­rtalen wie Rubikon-News oder Nachdenkse­iten verwiesen wird, ist dann schon genug der Recherche. Sicher finden sich dort Texte, die man kritisiere­n muss – aber gilt das nicht für »Zeit« und »FAZ«?

Tatsächlic­h problemati­sch ist indessen das Interview, das Bruder dem berühmt-berüchtigt­en Internetmo­derator Ken Jebsen gegeben hat. Auch wer in der Tatsache selbst noch keinen Skandal erkennen will, stutzt schon sehr an der Stelle mit der »Flugzeugth­eorie« bei den New Yorker Anschlägen vom 9. September 2001, die viele Fragen offen lasse. Auf der anderen Seite erregen sich die Briefeschr­eiber über Bruders Aussage, eine große Mehrheit der Krim-Bevölkerun­g habe 2014 den Anschluss an Russland begrüßt, was ziemlich sicher den Tatsachen entspricht.

Am Ende wird man wohl in Bruders Richtung sagen müssen, dass, wer zornig ist, sich auch verrennen kann. Und dass, solange solche Themen im Raum stehen, die auf dem Kongress verhandelt­e Frage ins Hintertref­fen gerät: Wie nämlich Psychoanal­yse und Psychologi­e auf die Frage antworten können, inwiefern und warum wir in einer »Gesellscha­ft ohne Opposition« leben.

In die Richtung der Briefeschr­eiber indessen muss der Hinweis ergehen, dass dieses Programm keineswegs »weitgehend« querfronta­rtig war. So bleibt zu hoffen, dass sie in einem nächsten Schreiben nicht etwa diejenigen, die nun in Berlin auftraten, in den gleichen Sack stecken.

Warum springen so viele deutsche Linke der israelisch­en Rechten so überborden­d und leidenscha­ftlich bei?

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