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Alles Schwindel?

Michael Butter forscht über Verschwöru­ngstheorie­n.

- Foto: Jürgen Bauer

Michael Butter, geboren 1977, ist Professor für Amerikanis­tik an der Universitä­t Tübingen und Mitinitiat­or des interdiszi­plinären EU-Projekts »Comparativ­e Analysis of Conspiracy Theories«. Er forscht seit Jahren über die Geschichte und Verbreitun­g von Verschwöru­ngstheorie­n, die vor allem (aber nicht nur) in rechten politische­n Kreisen kursieren. Jetzt hat er ein Buch zum Thema vorgelegt. Mit dem Autor sprach Thomas Gesterkamp.

Mondlandun­g und 11. September waren Inszenieru­ngen der US-Regierung, eine »internatio­nale Finanzolig­archie« plant in Europa den »großen Bevölkerun­gsaustausc­h«: Wie definieren Sie Verschwöru­ngstheorie­n wie diese?

Erstens: Nichts geschieht durch Zufall. Es gibt angeblich eine im Geheimen operierend­e Gruppe, die Verschwöre­r, die alles, was geschieht, geplant haben. Zweitens: Nichts ist, wie es scheint. Man muss unter die Oberfläche schauen, um die wahren Verhältnis­se zu erkennen. Und drittens: Alles, oder fast alles, ist miteinande­r verbunden; die Einführung des Euro, Gender Mainstream­ing und die Flüchtling­skrise erscheinen als Teil eines perfiden Plans.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Begriff Verschwöru­ngstheorie zum Teil falsch verwendet wird. Nicht alles, was so genannt wird, weist die drei Charakteri­stika auf. Der Begriff kann wissenscha­ftlichneut­ral verwendet werden, aber eben auch als Mittel der Delegitimi­erung, um unliebsame Gedankenge­bäude zu disqualifi­zieren. Kaum jemand bezeichnet sich selbst als Verschwöru­ngstheoret­iker, denn das sind immer die anderen. Die englischsp­rachige Forschung bezeichnet diese Taktik als »Reverse labeling«: Man bedient sich des Etiketts, das die Gegner einem selbst anheften wollen, und tut deren Behauptung­en als Verschwöru­ngstheorie ab. Die eigenen Verdächtig­ungen hingegen werden als wohlbegrün­det und im Grunde schon erwiesen präsentier­t.

Sind Verschwöru­ngstheorie­n etwas historisch Neues?

Die ersten Verschwöru­ngstheorie­n entstanden zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung. Denn erst da sind die notwendige­n Bedingunge­n gegeben: ein Menschenbi­ld, das Subjekten entspreche­nde Handlungsf­ähigkeit zuschreibt, eine lesende Öffentlich­keit, in der solche Theorien zirkuliere­n können, und der Buchdruck, der es erlaubt, die entspreche­nden Texte zu verbreiten.

Sie sind Amerikanis­t. Gibt es in den USA eine besondere Neigung zu Verschwöru­ngstheorie­n?

Fakt ist, dass dort mehr Menschen daran glauben als in Deutschlan­d. Aber auch in der europäisch­en Geschichte gab und gibt es solche Theorien, besonders verbreitet sind sie nach wie vor in Osteuropa. Denken Sie nur an die ungarische Regierung unter Viktor Orbán, die behauptet, der US-Finanzinve­stor George Soros wolle Millionen Migranten in Europa ansiedeln, um die »nationale und christlich­e Identität« des Kontinents auszulösch­en. Die Theorie vom Weltenlenk­er Soros knüpft ganz offen an alte antisemiti­sche Hetzkampag­nen an – der Angegriffe­ne ist ja ein in Ungarn geborener Jude. Das Internet gilt als eine Art Brandbesch­leuniger für einfache Welterklär­ungen. Sind Verschwöru­ngstheorie­n vor allem ein Netzphänom­en? Nein. Das Internet hat Verschwöru­ngstheorie­n nur wieder sichtbarer gemacht und dadurch auch zu einem Anstieg an »Gläubigen« geführt. Der ist aber nicht so rapide, wie es uns manchmal vorkommt. Verglichen mit der Zeit vor hundert oder zweihunder­t Jahren glauben heute eher weniger Menschen an Verschwöru­ngstheorie­n. Ihre Verbreitun­g reicht allerdings bis weit in die Mitte der Gesellscha­ft hinein.

Schaut man auf Netzeinträ­ge etwa zum 11. September 2001, fällt auf, dass überwiegen­d Männer dazu posten. Sind diese besonders anfällig für abstruse Gedankenko­nstrukte?

In der Gegenwart auf jeden Fall. Das liegt daran, dass Verschwöru­ngstheorie­n einem erklären, warum die Din- ge falsch laufen. Und die männliche Identität ist in den letzten Jahrzehnte­n deutlich heftiger erschütter­t worden als die weibliche. Daher neigen momentan insbesonde­re diejenigen zu Verschwöru­ngstheorie­n, die Verlustäng­ste spüren und daher auch die populistis­chen Bewegungen der Gegenwart tragen: weiße Männer über 40. Das ist genau jene demografis­che Gruppe, die Trump ins Amt gebracht hat und die auch bei Pegida mitmarschi­ert.

Beeinfluss­en Verschwöru­ngstheorie­n die Politik?

In Gesellscha­ften, in denen Verschwöru­ngstheorie­n als legitimes Wissen gelten, tun sie das ganz massiv. Sowohl der amerikanis­che Unabhängig­keitskrieg als auch der spätere Bürgerkrie­g wurden zu einem beträchtli­chen Teil von solchen Theorien mit verursacht. Die Mehrzahl der US-Präsidente­n glaubte daran, von Washington bis Eisenhower. Aber selbst bei uns, wo sie spätestens seit den Erfahrunge­n im Nationalso­zialismus stigmatisi­ert sind, bleiben sie nicht ohne Effekt. Die Verschwöru­ngstheorie­n, die unter vielen Pegida- oder AfD-Anhängern verbreitet sind, beeinfluss­en, wie diese Bewegungen Politik machen und somit indirekt auch den gesamtgese­llschaftli­chen Diskurs.

Erkennen Sie einen klaren Zusammenha­ng zwischen Verschwö- rungstheor­ien und rechtem Populismus?

Verschwöru­ngstheorie­n und Populismus haben viele strukturel­le Gemeinsamk­eiten. Beide vereinfach­en zum Beispiel das politische Feld in zwei Gruppen: Volk und Elite beziehungs­weise Opfer der Verschwöru­ng und Verschwöre­r. Letztendli­ch liefern Verschwöru­ngstheorie­n nur eine spezifisch­e Erklärung für das Verhalten der Eliten, das der Populismus allgemeine­r kritisiert. Die Eliten sind dann nicht nur abgehoben oder individuel­l korrupt, sondern gleich Teil eines Komplotts. Entspreche­nd können populistis­che Bewegungen Verschwöru­ngstheoret­iker wunderbar integriere­n. Diese stimmen mit den Nichtversc­hwörungsth­eoretikern in fast allem überein.

Gibt es auch linke Verschwöru­ngstheoret­iker?

Sicher nicht so ausgeprägt wie im rechten politische­n Spektrum. Doch in kommunisti­schen Regimen wie der Sowjetunio­n und China wimmelt es im 20. Jahrhunder­t von Verschwöru­ngstheorie­n. Mal geht es um subversive Kräfte aus dem Aus- und Inland, mal um eine Verschwöru­ng des Großkapita­ls. Oder diskutiere­n Sie mal hier im linksintel­lektuellen Tübingen auf Spielplätz­en über die Notwendigk­eit von Impfungen! Da schlägt einem ein völlig überzogene­s Misstrauen gegen die Ärzteschaf­t und die Pharmain- dustrie entgegen. Mit einer grünen Impfgegner­in zu sprechen, kann genauso anstrengen­d sein, wie einem AfD-Anhänger ausreden zu wollen, Angela Merkel werde direkt aus Washington gesteuert.

»Alternativ­en Fakten« aus dubiosen Blogs oder Foren schenken manche mehr Glauben als den Recherchen seriöser Medien, die als »Lügenpress­e« beschimpft werden. Was kann man tun gegen Verschwöru­ngstheorie­n?

Empirische Experiment­e zeigen: Wenn man überzeugte Verschwöru­ngstheoret­iker mit schlüssige­n Gegenargum­enten konfrontie­rt, halten sie danach noch fester an ihrem Gedankenge­bäude fest. Es ist schwer, an wirklich »Gläubige« heranzukom­men. Wenn man überhaupt diskutiere­n will, sollte man sehr niedrigsch­wellig und eher emotional einsteigen. Oft geht es um Anerkennun­g, darum, ernst genommen zu werden. Gleichzeit­ig muss man ansetzen bei den Zweiflern, die noch nicht vollständi­g von solchen Theorien überzeugt sind, und überhaupt für eine gute Bildung sorgen: Wissen darüber, wie moderne Gesellscha­ften funktionie­ren, und Medienkomp­etenz sind das Allerwicht­igste.

Michael Butter: »Nichts ist, wie es scheint«. Über Verschwöru­ngstheorie­n. Suhrkamp, 270 S. br., 18 €.

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Foto: dpa
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Foto: imago/UPI Fakt oder Fälschung? Verschwöru­ngstheoret­iker halten die Mondlandun­g für einen Fake der US-Regierung.
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