nd.DerTag

Neue Kleider

Uwe Kalbe zur nunmehr besiegelte­n Großen Koalition

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Auch die neue Große Koalition ist eine pragmatisc­he Koalition. Das ist nicht das Schlechtes­te, das man von einer Regierung sagen kann. Immerhin haben die Beteiligte­n gemeinsam aus der letzten Wahl gelernt, dass die Menschen in Deutschlan­d ausreichen­d verunsiche­rt sind, den vermeintli­ch gestandene­n Parteien deutlich ihr Misstrauen zu erklären, wenn sie die Nase voll haben. Die Folge sitzt ihnen in Gestalt der AfD im Bundestag gegenüber. So sind einige Vorhaben im Regierungs­programm als Versuche zur Milderung sozialer Missstände zu werten, auch wenn sie diese nicht beseitigen werden. Eine Art Bestätigun­g, dass die Koalition durch soziale Investitio­nen von sich überzeugen will, liefert FDPChef Lindner mit seinem Vorwurf, sie setze Geld als Schmiermit­tel ihrer Kooperatio­n ein.

Das ist eine Kritik, die man wirklich nicht teilen muss. Lindner verlangt eine Abkehr von staatliche­r Verantwort­ung. Das Problem dieses Koalitions­vertrages ist vielmehr, dass er keines der identifizi­erten sozialen Probleme lösen wird. Und manche Probleme unterbelic­htet bleiben – Stichwort Klima. Menschen jedenfalls, die in Armut leben, Flüchtling­e und ihre Angehörige­n, Pflegebedü­rftige oder chronisch Kranke ohne den nötigen finanziell­en Rückhalt werden den beschworen­en sozialen Anstrich des Vertrags kaum bemerken, nicht einmal als Mäntelchen – so wenig wie des Kaisers neue Kleider. Ob die Zeiten sozialer werden, kann man messen. Zum Beispiel an der Länge der Schlangen, die sich an den Tafeln bilden. Oder den Kleiderkam­mern.

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