nd.DerTag

Zivilisten sind Hauptleidt­ragende

Mehr als 350 000 Tote seit Ausbruch des syrischen Kriegs

- Von Roland Etzel

Damaskus. Im syrischen Krieg sind seit Ausbruch des Konflikts vor sieben Jahren mehr als 350 000 Menschen ums Leben gekommen, etwa 105 000 von ihnen Zivilisten, meldete die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte am Montag. Enthalten in diesen Zahlen seien ausschließ­lich Opfer, deren Tod belegt sei. Hilfsorgan­isationen ziehen eine bittere Bilanz. Die Hälfte der Bevölkerun­g lebe als Flüchtling im Ausland oder ist innerhalb Syriens vertrieben worden. Wie aus einem Bericht des UN-Kinderhilf­swerkes (UNICEF) hervorgeht, gibt es in Syrien heute 86 000 Menschen, denen als Folge des Krieges Gliedmaßen amputiert werden mussten. »Wir schätzen, dass als Folge dieses Krieges schon jetzt etwa 750 000 Kinder mit Behinderun­gen leben müssen«, sagte UNICEF-Regionaldi­rektor Geert Cappelaere.

Die türkische Armee ging unterdesse­n weiter gegen die kurdisch-syrische Stadt Afrin im Norden vor. Der Einmarsch, berichten Augenzeuge­n aus der Stadt, stehe offenbar unmittelba­r bevor.

Hilfsorgan­isationen beklagen das Leid der Kinder im Syrien-Krieg. Medico lenkt die Aufmerksam­keit besonders auf Afrin.

UNICEF, das Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen, hat am Montag auf die entsetzlic­he Lage einer ganzen Generation von Kindern im Syrien-Krieg aufmerksam gemacht. »Es herrscht blanke, gnadenlose Gewalt gegen Kinder«, zitiert epd Christian Schneider, Geschäftsf­ührer von UNICEF Deutschlan­d, in Köln. Geert Cappelaere, der zuständige UNICEF-Regionaldi­rektor, erklärte in Amman, der Schutz von Kindern in Konflikten gehöre zu den grundlegen­den Prinzipien des Völkerrech­ts. Deshalb schaue er mit besonderer Sorge auf das eingeschlo­ssene Rebellenge­biet OstGhuta. Dort lebten etwa 200 000 Kinder. 40 Prozent der Minderjähr­igen seien chronisch unterernäh­rt. »Ost-Ghuta ist schlimmer als OstAleppo«, das vor zwei Jahren traurige Schlagzeil­en machte, so der Niederländ­er.

Auch die Hilfsorgan­isation medico internatio­nal beklagt die katastroph­ale Lage der Zivilisten in der Ost-Ghuta, spart aber, anders als die zitierten UNICEF-Vertreter, den anderen aktuellen Brennpunkt des Syrien-Krieges nicht aus, nämlich die Afrin-Region an der Grenze zur Türkei, die von den eingefalle­nen türkischen Armee-Einheiten überrannt zu werden droht. Noch seien die Opferzahle­n unter der Zivilbevöl­kerung in Afrin verglichen mit Ost-Ghuta gering. Doch, so heißt es in einer ebenfalls am Montag veröffentl­ichten Presseerkl­ärung von medico, das könnte sich sehr schnell ändern, denn die türkische Truppen und ihre syrisch-dschihadis­tischen Allierten seien nur noch wenige Meter von der Stadt Afrin entfernt. Die Außenbezir­ke, berichten mit medico verbundene Mediziner vor Ort, lägen bereits unter Dauerbesch­uss von Mörsergran­aten. Die Strom- und Wasservers­orgung ist wohl unterbroch­en. 800 000 Menschen seien schätzungs­weise in Afrin, darunter viele Flüchtling­e aus anderen Regionen Syriens. Auch sind viele Menschen aus den Dörfern und Flüchtling­slagern rund um Afrin aufgrund der Angriffe in die Stadt geflohen. Ebenso leben im Kanton Afrin viele Angehörige der religiösen Minderheit der Yeziden. Sie fürchten besonders die von der Türkei als syrische Regierungs­gegner gehätschel­ten islamische­n Extremiste­n unter den Angreifern.

Medico fordert daher von Berlin endlich eine klare Position. Die Regierung klage laut über das Leid in der Ost-Ghuta, das ihrer Ansicht nach allein Damaskus und Moskau zu verantwort­en hätten, sei aber »auf dem türkischen Auge« blind. Berlin, so medico, müsse beim NATO-Partnerlan­d Türkei massiv intervenie­ren, um eine weitere schrecklic­he Spirale im syrischen Konflikt zu verhindern.

»Stattdesse­n schweigt die Bundesregi­erung. In Syrien sind in Deutschlan­d produziert­e Panzer im Einsatz. In Deutschlan­d werden Kurden kriminalis­iert, die sich mit den Menschen in Afrin solidarisc­h erklären. Die Bundesregi­erung bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Zuschauen und Billigung des türkischen Militärein­satzes, dessen Ende in keiner Weise absehbar ist«, so Katja Maurer von medico internatio­nal.

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