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Palästinen­ser testen Interpol

Autonomieb­ehörde erließ internatio­nale Haftbefehl­e gegen Widersache­r

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Die palästinen­sische Regierung lässt über Interpol nach einigen ihrer schärfsten Opponenten fahnden, nachdem man erst vor wenigen Wochen an die Systeme des Polizeiver­bunds angeschlos­sen wurde.

Es war Zufall, dass er überhaupt davon erfuhr: »Ein Kontakt bei der jordanisch­en Polizei hat mich am Freitag gewarnt, dass nach mir gefahndet wird«, sagt ein palästinen­sischer Journalist, der kritisch über die palästinen­sische Regierung, über Hamas und Fatah, über Korruption und Misswirtsc­haft berichtet. Weil Journalist­en in Palästina sehr oft Ziel von Festnahmen und Polizeigew­alt sind, lebt er seit Jahren im arabischen Ausland, hat normalerwe­ise kein Problem damit, seinen Namen zu nennen. Doch nun ist er verunsiche­rt: Ihm selbst wird Korruption vorgeworfe­n; er soll palästinen­sische Regierungs­mitglieder für Informatio­nen bezahlt haben.

Seit September ist Palästina Mitglied bei Interpol; bereits vor einigen Wochen war die Polizei auch an die Systeme des Verbunds von Polizeien aus 192 Mitgliedss­taaten angebunden worden. Und eine der ersten Amtshandlu­ngen war, einen ganzen Schwung an Festnahmee­rsuchen, sogenannte­n Red Notices, in das System einzuspeis­en: Damit schreibt ein Mitgliedss­taat Personen internatio­nal zur Fahndung aus.

»Wir halten uns dabei strikt an die Richtlinie­n von Interpol«, sagt Generalmaj­or Hazem Attalah, Polizeiche­f für das Westjordan­land: »Alle gesuchten Personen haben schwere Verbrechen begangen, die auch in anderen Mitgliedss­taaten strafbar sind.« Namen will er nicht nennen, doch sicher ist: Gefahndet wird nicht nur nach missliebig­en Journalist­en, sondern auch nach Mohammad Dahlan, dem schärfsten und bekanntest­en Kritiker von Präsident Mahmud Abbas, und anderen in Ungnade gefallenen Ex-Funktionär­en der Fatah.

Dahlan war bis zur Machtübern­ahme durch die Hamas 2007 Sicherheit­schef im Gazastreif­en; sein repressive­s Regime war berüchtigt: »Ich bin nicht beim Roten Kreuz«, sagte er selbst mehrmals dazu. Nachdem er sich 2010 mit Abbas verkracht hatte, floh er zunächst nach Ägypten, dann in die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Dahlan werden gute Kontakte zu den israelisch­en und amerikanis­chen Geheimdien­sten nachgesagt; vor allem in den Flüchtling­slagern im Gazastreif­en erfreut er sich wachsender Beliebthei­t, weil er immer wieder als Ver- mittler zwischen der Hamas und der ägyptische­n Regierung auftritt.

Die palästinen­sische Regierung indes wirft ihm seit Jahren Korruption vor. Dass keiner der InterpolSt­aaten bisher auf die »Red Notices« reagiert hat, sorgt bei Attalah für großen Unmut. Doch die Mitteilung­en sind nicht bindend.

Am Fall Dahlan zeigt sich zudem sehr deutlich die chaotische Gesetzesla­ge in Palästina: Dahlan hat einen palästinen­sischen Diplomaten­pass und damit Immunität. Entzogen werden kann sie nur durch das Parlament, dessen Legislatur­periode aber schon vor Jahren abgelaufen ist. Präsident Abbas regiert stattdesse­n durch Dekrete, die aber, rein juristisch gesehen, ungültig sind, weil auch die Amtszeit von Abbas vor Jahren abgelaufen ist.

Überall in der arabischen Welt sagt man deshalb offen, dass man vor allem die Debatte um die Nachfolge von Abbas als Grund für die Fahndungen vermutet: Die Fatah wolle ihre Kritiker mundtot machen. Und da will man sich raushalten, denn viele der arabischen Staaten haben einen hohen palästinen­sischen Bevölkerun­gsanteil, mit dem man nicht in Konflikt geraten will.

Was die nun gesuchten Journalist­en betrifft, hat Israels Regierung ohnehin bereits deutlich gemacht, dass die Auslieferu­ng spätestens am von Israel kontrollie­rten Teil der Grenze zu Ende wäre. Medienberi­chte über Menschen, die an israelisch­en Grenzschüt­zern vorbei in palästinen­sische Gefängniss­e gebracht werden, will man schlicht nicht haben. Die von westlichen Regierunge­n geäußerte Befürchtun­g, die Palästinen­ser könnten auch nach Israelis fahnden lassen, ist indes bisher nicht eingetrete­n.

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Foto: imago/Xinhua Mohammad Dahlan

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