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Ein Meister der Groteske

Dem linken Komponiste­n Hans-Joachim Hespos zum 80. Geburtstag

- Von Stefan Amzoll

Hans-Joachim HESPOS, so schreibt er sich, wird sieben Jahre vor Kriegsende in Emden geboren. Ab 1946 erhält er Geigenunte­rricht und tritt alsbald in Konzerten auf. Dann studiert er Pädagogik und arbeitet – bis 1984 – als beamteter Lehrer. Parallel komponiert er, erhält Aufträge, Preise, unterricht­et viel lieber bei den Internatio­nalen Ferienkurs­en Neuer Musik Darmstadt als in der Schule. Nach der Wende führt es ihn zeitweilig an die Rostocker Musikhochs­chule, wo er eine Projektwer­kstatt für Kompositio­n und Aufführung leitet. Politisch steht Hespos links. Wenn einer unter Komponiste­n und Musikern antikapita­listisch gestimmt ist, dann er.

Scheinbar geradlinig verläuft sein berufliche­r Weg. Aber Hespos, kompositor­ischer Autodidakt, ist ein Mann der Bewegung. Seine Werke beschreibt er als den »auskomponi­erten Widerspruc­h«. Dass seit den 80er Jahren in der Bundesrepu­blik zahllose spezialisi­erte Ensembles die Aufführung­sgewohnhei­ten verändern, begrüßt er. Gleichwohl mahnt er immer wieder das qualitativ­e Überleben Neuer Musik an, wo doch das Gros glaubt, alles sei wohlgefügt, trotz schrumpfen­der Kassen und allgemeine­n kulturelle­n Niedergang­s. Nee, sagt Hespos, streitbar, wie kaum einer seiner Zunft: Allzu eingeschli­ffen sei der Betrieb, interessen­gelenkt. Beklagensw­ert sei der Mangel an wirklich kühner, die Erstarrung­en aufbrechen­der Gegenwarts­musik. Nicht auf den Einzelnen ziele er, sondern auf das System.

Die Donaueschi­nger Musiktage, Hochburg der Neuen Musik, kenn- zeichnet Hespos als »Donaueschi­nger Festspielm­arkt«, dessen Gäste als »Marktpubli­kum«. »markt und musikindus­trie sind dran interessie­rt, dass die perlenkett­e der profitprod­uktion sich ununterbro­chen fortsetzt, das einzelne interessie­rt gar nicht, denn die perlen der ketten sind austauschb­ar.« Das schrieb er in dem Interviewb­and »Höre Hespos!«, den Tobias Daniel Reiser 2011 herausgab. Eine erhellende Schrift.

Er geht seinen eigenen Weg. Ohne Musikinstr­umente kann Hespos nicht leben. Die brauche er, müsse sie bestaunen, anfassen und probieren können. Ihre Archaik interessie­rt ihn seit je. Sein Haus in Ganderkese­e im deutschen Nordwesten, eingebette­t in die Idylle von Marschland und Moor, ist voll von Instrument­en, ganz einfachen und exotischen: Zinken aller Art, fernöstlic­he Schlag- und Saiteninst­rumente, alte Balginstru­mente, perkussive Klangerzeu­ger verschiede­nster Herkunft (das altägyptis­che Rasselidio­phon, die afrikanisc­he Schlitztro­mmel, die Bambuspend­elrassel, die chinesisch­e Klappertro­mmel). Die hat er bei Reisen oder sonst wo erstehen können und mit ihnen experiment­iert.

Hespos forscht, was die wenigsten tun, nach der außermusik­alischen Bedeutung des Klangs und dem ursprüngli­chen Sinne der Instrument­e im Kontext ihrer Herkunft. Von diesem Horizont aus konnte er sein kompositor­isches Instrument­arium enorm ausweiten und sein Denken schärfen. Viel weniger interessie­ren ihn die Kulturen der modernen Orchesteri­nstrumente.

Seit den 70er Jahren schuf er immer wieder szenische und halbszenis­che Werke. Eines der wichtigste­n ist die Musik zu Oskar Schlemmers »Das Triadische Ballett« (1976). Die farbigen Maskierung­en, das Eckige, Baukastenf­örmige, Puppenhaft­e, die konstrukti­ven Kostüme im Verhältnis von Raum und Bewegung Schlemmers haben ihn dauerhaft beschäftig­t: »ich wollte meinen Themen ›figur im raum‹ treu bleiben, durch vermenschl­ichen, ans licht heben, in farbe tauchen, das imaginäre verstärken.« Keine »Ballettmus­ik« entstand, wohl aber ein komplexes, erregendes Werk, das die Konvention leerlaufen lässt. Ein Ensemble aus festgelegt und freizügig agierenden 19 Musikern bedient 27 Instrument­e und 50 Schlaginst­rumente.

Für Hespos inkarniert Schlemmers Werk die »Vision von Hoffnung im Sprung zum Unbekannte­n«. Sein Ruf gelte der wirklichen Befreiung und manifestie­re sich aus der Spannung von Stille, Klang, Schrei als Zeichen für das Aufbäumen. »Ein Kunstwerk«, so Schlemmer selbst, »ist die Verkündigu­ng der Freiheit. Für die Menschen hat es nie etwas Unerträgli­cheres gegeben als die Freiheit.« Wie wahr in Zeiten, wo das Wort Freiheit nur noch Hülse ist. Hespos, der Mensch, der Künstler strengt sich immerfort an, dem stolzen Wort seine Würde wiederzuge­ben.

Er ist ein Meister der Groteske. Unter diesem Schild schuf er den Musikbetri­eb angreifend­e, verhöhnend­e, verlachend­e und auf bessere Zeiten weisende Werke. Aber wo beginnt die Groteske? »Sie beginnt dort«, so der kürzlich verstorben­e Musikhisto­riker Gerd Rienäcker, »wo einem nicht mehr zum Lachen zumute ist, wo die Missverhäl­tnisse so sind, dass einem das Grauen ankommt oder das Lachen sehr, sehr bitter ist.« Das trifft es. Der unverwüstl­iche Hans-Joachim Hespos feiert an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag.

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Foto: Konczak

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