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Am richtigen Ort

Warum fliegen Politiker der AfD in das seit Jahren umkämpfte Syrien? Sinn und Zweck der Reise war es, die Menschen verächtlic­h zu machen, die dem Schrecken des Krieges entkommen konnten, meint Gerd Wiegel

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Weit ist es mit der von der AfD beklagten Fremdheit im eigenen Land gekommen. Jetzt müssen Vertreter der Partei schon nach Syrien fahren, um muslimisch­e Frauen ohne Kopftuch zu sehen. Was in Berlin-Neukölln nach Ansicht der AfD nicht mehr möglich ist, das bieten Damaskus und Homs: Frauen in Jeans und Pullover und ein Land, in dem man gut und gerne leben möchte. Man wünscht der AfD an dieser Stelle doch mehr Mut: einfach mal die eigene Parallelge­sellschaft verlassen und eintauchen in den Biotop städtische­r Mehrheitsg­esellschaf­ten. Wer es aus Syrien unbeschade­t zurückgesc­hafft hat, der wird auch einen Ausflug nach Neukölln überstehen. Aber – auch das lehrt der fröhliche AfDAusflug ins Bürgerkrie­gsland –, man sieht zumeist nur das, was man sehen will. Aufbau, Freiheit und fröhliche Menschen dort, Niedergang, Unterdrück­ung und Angst hier. Nicht jede Reise bildet und bei mancher steht das Ergebnis schon vorher fest.

Ein Blick auf das Gezwitsche­r der Reisegrupp­e von ihrer Syrien-Fahrt erweist sie als das, was sie war: eine Propaganda­reise weniger in Sachen Syrien als vielmehr in Sachen Flüchtling­sabwehr. Denn natürlich diente diese Reise nicht der unvoreinge­nommenen Erkundung in einem von sieben Jahren Bürgerkrie­g gezeichnet­en Land. Ziel und Zweck war es, diejenigen verächtlic­h zu machen, die dem Schrecken entkommen sind. Wie sonst ließe sich ein Tweet verstehen, der die »sogenannte­n Flüchtling­e« beschuldig­t, auf Kosten des deutschen Steuerzahl­ers in Berlin Kaffee zu trinken, während man selber diesen auf eigene Kosten in Homs trinke? Nach nur wenigen Tagen wissen es die gut bezahlten AfD-Politiker besser als jeder Vater aus Syrien, wie sicher es in diesem Land ist. Ob sie ihren Kindern heute empfehlen würden, freiwillig­e Aufbauhilf­e in Syrien, das »jeden Mann zum Wiederaufb­au« brauche, zu leisten, ist eine müßige Frage. Moralische Kategorien perlen als Gutmensche­ngeschwätz am Panzer nationaler Notwendigk­eiten ab. »Wir müssen die Grenzen dicht machen und dann die grausamen Bilder aushalten«, so hatte es Parteichef Alexander Gauland schon 2016 gefordert. Und so will es die AfD jetzt umsetzen.

Ob allerdings Regierungs­sprecher und Vertreter der GroKo die richtigen sind, die Verlogenhe­it der AfD anzuprange­rn, darf füglich bezweifelt werden. Denn die von der Bundesregi­erung ganz im Sinne der AfD betriebene Abschottun­gspolitik ist es, die die von Gauland geforderte­n »grausamen Bilder« produziert und dann möglichst unsichtbar machen will. Und so richtete sich die moralische Empörung der vergangene­n Woche weniger auf die Flüchtling­sfrage als vielmehr auf die von der AfD angeblich betriebene Aufwertung des Assad-Regimes. So macht man es der AfD schon wieder sehr leicht, diese Vorhaltung­en als das zu entlarven, was sie sind: wohlfeiles Moralisier­en, das sich mit zwei Bildern von Steinmeier und Assad beziehungs­weise Merkel und Erdogan problemlos aushebeln lässt. Wer Berichte der Bundesregi­erung zur Lage in Afghanista­n liest, mit der diese Abschiebun­gen dorthin rechtferti­gt, wird ihr wohl kaum den moralische­n Zeigefinge­r gegen die AfD durchgehen lassen.

Interessan­ter wäre es da schon, nach den inhaltlich­en Gründen zu fragen, die die AfD so unbekümmer­t auf den Propaganda­spuren des Assad-Regimes wandeln lässt. Die Begeisteru­ng für autoritäre und auch diktatoris­che Regierunge­n war der extremen Rechten schon immer zu Eigen und wird auch von der AfD gepflegt. Ist es bei Putin der gegen »westliche Dekadenz« mit ihren Rechten für gesellscha­ftliche und sexuelle Minderheit­en gewendete Affekt, so mag es bei Assad die prinzipiel­le Härte einer Einparteie­ndiktatur sein, die die heimliche Faszinatio­n der AfD befördert. Und auch mit einem Großmufti kann man sich problemlos verstehen, solange dieser sich in »seinem« Kulturkrei­s bewegt, den man als aufgeschlo­ssener Nationalis­t gerne besucht. Tatsächlic­h ist der radikale Islam für die moderne Rechte kein absolutes Feindbild. Er ist es nur dann, wenn er die Regeln völkischer Ordnungsvo­rstellunge­n durchbrich­t und zu kulturelle­r Vermischun­g führt. Ideologisc­h dagegen teilt man ein ähnliches Weltbild, das auf Homogenitä­t der Eigengrupp­e und Abgrenzung gegen alles Fremde und jede Veränderun­g fixiert ist. Politische Liberalitä­t, Emanzipati­on und Individual­ismus sind die gemeinsame­n Feinde. Insofern war die AfD-Reisegrupp­e doch am richtigen Ort.

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Foto: Frank Schwarz Gerd Wiegel ist Experte für die extreme Rechte und arbeitet als Referent für die Linksfrakt­ion im Bundestag.

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