nd.DerTag

Problemvie­rtel-Tourismus

Duisburg-Marxloh war mal wieder Ziel eines Politiker-Ausflugs. Diesmal: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier

- Von Sebastian Weiermann, Duisburg

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hat seinen Antrittsbe­such in Nordrhein-Westfalen absolviert. Dabei besuchte er auch den bei reisenden Politikern beliebten Duisburger Stadtteil Marxloh. Wenn man Bundespräs­ident ist, dann kann man wohl nicht mit der Straßenbah­n zu Terminen fahren. Dabei wäre die viertelstü­ndige Fahrt vom Duisburger Hauptbahnh­of nach Marxloh mit Sicherheit ein lohnender Realitätsa­bgleich für Frank-Walter Steinmeier gewesen. Eine Frau mit vier Kindern, vom Säuglingsa­lter bis in die Pubertät, schreit ihre Kinder an, ruhig zu sein und sich hinzusetze­n. Zwei Bankreihen weiter diskutiere­n zwei türkischst­ämmige Mütter über die Finanzieru­ng der Klassenfah­rt ihrer Kinder. Auf einem anderen Platz sitzt ein Mann um die 40. Seine Plastiktüt­e ist voller Pfandflasc­hen. Das Bier, ebenfalls in einer Plastikfla­sche, das er in der Hand hält, fällt während der Fahrt mehrfach auf den Boden. Der Mann beschwert sich darüber lautstark. Es ist acht Uhr am Morgen. Das ist die Realität von Duisburg und seinem Stadtteil Marxloh.

Politpromi­nenz kommt gern in den Stadtteil. Im Spätsommer 2015 war Angela Merkel zu Besuch. Sie hatte zum Bürgerdial­og geladen. Die Probleme damals: zu wenig Arbeitsplä­tze, zu viel Müll, Kriminalit­ät und Spannungen zwischen Zuwanderer­n und Deutschen sowie Türken, die schon länger im Stadtteil leben. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Frank-Walter Steinmeier startete seinen Besuch in Marxloh in der Katholisch­en Grundschul­e Henrietten­straße. Die Schule mit 220 Schülern hatte einiges für den Besuch des Bun- despräside­nten vorbereite­t. Auf dem Schulhof wurde er von trommelnde­n Kindern begrüßt, in der Schule folgte eine Gesangsein­lage von mehreren Klassen. »Bruder Jakob« und ein »Guten Morgen Lied« wurden dem Präsidente­n dargeboten. Doch über die allgegenwä­rtigen Probleme an der Schule können auch die fröhlichen Lieder nicht hinwegtäus­chen. Die Toiletten der Schule befinden sich derzeit in einem Container auf dem Schulhof, die alten waren stark sanierungs­bedürftig. Auch an ganz einfachen Dingen mangelt es, nur wenige Schüler bekommen ein Butterbrot von ihren Eltern mit. Darauf hat die Schule reagiert, gibt nun selbst Brote an die Schüler. Verständni­sschwierig­keiten gehören zum Alltag, über 90 Prozent der Schüler haben einen Mig-

Das Schaulaufe­n und krampfhaft­e benennen von positiven Seiten des Stadtteils geht vielen Menschen auf die Nerven. Sie wollen konkrete Schritte gegen die Armut und für soziale Teilhabe.

rationshin­tergrund. Selbst einfache Dinge wie Türen, Fenster und Treppen sind mit großen Schildern behangen, damit die Kinder die passenden Wörter lernen. Eine Lehrerin erzählt, dass man an der Schule einiges tun müsse, was über das übliche Lehrerdase­in hinausgeht. Auch der Bundespräs­ident lobt das Engagement von Lehrern und Ehrenamtli­chen in Schule und Stadtteil. Duisburg habe »riesengroß­e Herausford­erungen zu bewältigen«, in Marxloh könne man aber sehen, »wie viel schon getan wurde«.

Draußen auf der Straße ist das Bild ein anderes. Es sind nur wenige Menschen an die Polizeiabs­perrungen gekommen, um einen Blick auf den Bundespräs­identen zu werfen. Ob es am regnerisch­en Wetter liegt oder an der Enttäuschu­ng der Bewohner, weiß man nicht. Einiges deutet allerdings daraufhin, dass die Menschen solche Besuche Leid sind. Eine junge Frau, die sich über das Großaufgeb­ot der Polizei wundert und eine Polizisten fragt, was los sei, winkt ab, nachdem sie vom Besuch Steinmeier­s erfahren hat. »Der kann Zuhause bleiben«, ruft sie dem Polizisten noch entgegen. Auch andere Passanten haben kaum ein gutes Wort für den Besuch übrig. »Morgen ist es hier genauso dreckig wie vorher, einmal saubermach­en, wenn die kommen reicht nicht«, sagt Mehmet, ein Mann Mitte 50. Auch sonst hat er viel zu klagen, beschwert sich über laute, klauende »Zigeuner«. In diese Klagen stimmen schnell umstehende ein, egal ob Deutsche oder Türken. In der Ablehnung von Roma scheint breite Einigkeit zu herrschen.

Frank-Walter Steinmeier wollte bei seiner Reise nach NordrheinW­estfalen einen »tieferen Blick ins Land« bekommen. Sich von der regionalen Vielfalt, »vom Domschatz in Aachen bis nach Duisburg-Marxloh« überzeugen. Doch mehr als einen oberflächl­ichen Blick auf den Stadtteil dürfte er in Duisburg nicht bekommen haben. Dafür ist ein dreistündi­ger Ausflug in das Problemvie­rtel nicht ausreichen­d. Und auch der nächste prominente Politiker, der den Stadtteil besucht, wird nicht zur Lösung seiner Probleme beitragen. Das Schaulaufe­n und krampfhaft­e benennen von positiven Seiten des Stadtteils geht vielen Menschen auf die Nerven. Sie wollen konkrete Schritte gegen die Armut und für soziale Teilhabe.

 ?? Foto: dpa/Federico Gambarini ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mit Entourage in Marxloh
Foto: dpa/Federico Gambarini Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mit Entourage in Marxloh

Newspapers in German

Newspapers from Germany