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Vorsichtig­e Kritik am Koalitions­partner

SPD-Politiker sind unzufriede­n mit den Äußerungen von Jens Spahn zu Armut und Hartz IV

- Von Aert van Riel Mit Agenturen

Union und SPD haben zum Thema Armutsbekä­mpfung in ihrem Koalitions­vertrag wenig zu bieten. Immer mehr Konservati­ve behaupten nun, dass die derzeitige­n Sozialleis­tungen ausreichen­d wären. Nach Vertretern der Linksparte­i und von den Grünen haben sich nun auch einige SPD-Politiker verbal von Äußerungen des designiert­en Gesundheit­sministers Jens Spahn (CDU) zur Armut in Deutschlan­d distanzier­t. »Wir haben andere Vorstellun­gen und das weiß auch jeder«, sagte der kommissari­sche SPD-Vorsitzend­e und künftige Bundesfina­nzminister Olaf Scholz in den ARD-»Tagestheme­n« am Montagaben­d. Er glaube, »Herr Spahn bedauert ein wenig, was er gesagt hat«. Spahn hatte behauptet, dass Hartz IV nicht Armut bedeute, sondern die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut sei.

Konkreter wurde Scholz nicht. Womöglich lag das auch daran, dass er selber eine große Verantwort­ung für den gegenwärti­gen Zustand des Sozialstaa­tes hierzuland­e trägt. Der Hamburger hatte einst als Generalsek­retär der SPD dabei geholfen, die neoliberal­e Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze gegen innerparte­iliche Widerständ­e durchzuset­zen. Später unternahm er im Amt des Bundesarbe­itsministe­rs in der ersten schwarzrot­en Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Vorstöße, nach denen Hartz-IV-Betroffene stärker kontrollie­rt werden sollten, ob sie »arbeitsfäh­ig« sind oder nicht.

In der »Rheinische­n Post« meldete sich am Dienstag ein weiterer Sozialdemo­krat zu Wort, der als damaliger Chef des Kanzleramt­s zu den Architekte­n der Agenda 2010 zählte und heute Bundespräs­ident ist. »Unser Ziel muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz IV oder anderen Transferle­istungen leben«, sagte Frank-Walter Steinmeier dem westdeutsc­hen Blatt. Das Zentrale sei, dass die Menschen von ihrem Einkommen aus Arbeit leben könnten. »Deshalb ist es richtig, die Sozial- und Arbeitsmar­ktpolitik darauf zu konzentrie­ren, Arbeitslos­igkeit zu reduzieren«, erklärte Steinmeier. Dies sei in den vergangene­n Jahren gelungen. Dass zuletzt mehr als eine Million Menschen mit Job hierzuland­e zusätzlich Hartz IV beziehen, weil ihr Einkommen zu niedrig ist, erwähnte Steinmeier in diesem Zusammenha­ng nicht.

Politiker der Union verteidigt­en Spahn. »Hartz IV ist eine Solidarlei­stung zur Sicherung der Lebensgrun­dlagen. Dazu gehören Essen, Kleidung, Wohnung, Heizung und soziale Teilhabe«, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt dem »Münchner Merkur«. Die Tafeln seien ein »ergänzende­s, freiwillig­es Angebot für die Schwächste­n unserer Gesellscha­ft«. Dieses oft ehrenamtli­che Engagement verdiene klare Unterstütz­ung. »Daraus eine Sozialstaa­tskritik zu formuliere­n und abzuleiten, dass die Sozialleis­tungen in Deutschlan­d zu gering seien«, sei aber »unsachlich«, meinte Dobrindt.

Auch der neue Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Christian Hirte (CDU), stellte sich hinter seinen Parteikoll­egen. Spahns Aussagen seien nicht völlig falsch gewesen, sagte Hirte im RBB-Inforadio. »Natürlich ist es so, dass, formal gesehen, ein Hartz IVEmpfänge­r arm ist. Aber Jens Spahn hat auch recht, dass wir versuchen, mit Hartz IV eben dafür zu sorgen, dass keiner völlig durchs Raster fällt.« Hirte ergänzte, er hätte die Aussagen Spahns so nicht getroffen, jedoch habe jeder seinen eigenen Politiksti­l.

Spahn selber bemühte sich am Dienstag, seine harschen Worte etwas abzuschwäc­hen, blieb aber grundsätzl­ich bei seiner Haltung. »Natürlich ist es schwierig, mit so einem kleinen Einkommen umgehen zu müssen, wie es Hartz IV bedeutet«, räumte der CDU-Politiker im Sender n-tv ein. »Das deckt die Grundbedür­fnisse ab und nicht mehr – da gibt es auch nichts zu diskutiere­n, und das habe ich auch nicht in Frage gestellt.«

Ihm sei es dennoch wichtig zu betonen, »dass unser Sozialsyst­em tatsächlic­h für jeden ein Dach über dem Kopf vorsieht und für jeden das Nötige, wenn es ums Essen geht«, fügte der designiert­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister hinzu. Im Zusammenha­ng mit der Diskussion um den zwischenze­itlichen Aufnahmest­opp für Ausländer bei der Essener Tafel hatte Spahn gesagt, auch ohne die Tafeln müsse hierzuland­e niemand hungern.

Dazu, dass nach Schätzunge­n der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe im vergangene­n Jahr rund 52 000 Menschen in Deutschlan­d obdachlos waren, äußerte sich Spahn nicht.

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