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Kubanische Zäsur

Das Parlament wird erstmals keinen Castro zum Präsidente­n wählen / Die Generation der Revolution tritt ab

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Am 19. April konstituie­rt sich die neue Nationalve­rsammlung. Raúl Castro steht nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl. Er hinterläss­t eine Verfassung­sreform als politische­s Erbe. Kuba steht vor einer Zäsur: Erstmals seit 1959 wird der kubanische Staatschef jemand sein, der nach der Revolution geboren wurde und nicht den Namen Castro trägt. Am Wochenende wurde die Asamblea Nacional del Poder Popular, die Nationalve­rsammlung, gewählt. Laut kubanische­r Wahlkommis­sion erhielten alle 605 aufgestell­ten Kandidaten, darunter auch Präsident Raúl Castro und der amtierende Vizepräsid­ent Miguel Díaz-Canel, mehr als 50 Prozent der Stimmen und sind somit gewählt.

Die neue Asamblea Nacional konstituie­rt sich am 19. April – kein zufälliges Datum, dann jährt sich zum 57. Mal der Sieg gegen die US-Invasion in der Schweinebu­cht, »die erste Niederlage des US-Imperialis­mus in Lateinamer­ika«. Die 605 Abgeordnet­en wählen dann aus ihren Reihen das höchste Staatsorga­n, den 31-köpfigen Staatsrat, und einen neuen Präsidente­n. Jeder Abgeordnet­e darf der Nationalen Kandidaten­kommission Mitglieder für den Staatsrat vorschlage­n, der wiederum beruft daraufhin die Kandidaten zur Abstimmung, darunter auch den für das Präsidente­namt.

Raúl Castro wird nach zwei Amtszeiten nicht erneut für das Präsidente­namt kandidiere­n, hinterläss­t aber ein Erbe. Die von ihm vorgeschla­gene Verfassung­sreform soll die Amtszeiten von wichtigen Ämtern in Staat und Partei auf zweimal fünf Jahre begrenzen, ebenso soll das neue Parlament eine Altersgren­ze von 70 Jahren für Führungska­der beschließe­n.

Mit Raúl Castro tritt die historisch­e Generation der Revolution ab. Wer genau das Präsidente­namt übernehmen wird, ist noch unklar. Alles deutet auf den derzeitige­n Vizepräsid­enten Díaz-Canel hin. Der 57-Jährige gilt als Parteisold­at und Mann Castros. Beobachter beschreibe­n ihn als Pragmatike­r und Verfechter einer Modernisie­rung der staatliche­n Medien und des Ausbaus des Internetzu­gangs auf der Insel. »Es ist zu erwarten, dass sein Stil moderner und näher an den politische­n und sprachlich­en Codierunge­n der Mehrheit der Kubaner sein wird«, so der kubanisch-US-amerikanis­che Politologe Arturo López-Levy gegenüber der spanischen Nachrichte­nagentur EFE.

Der neue Präsident wird auch weniger Macht haben als seine Vorgänger. Denn Castro wird Ende April zwar als Präsident aufhören, aller Voraussich­t aber weiter Parteichef bleiben. Für dieses Amt ist er bis 2021 gewählt. Erstmals seit dem Triumph der Revolution werden sich Parteivors­itz und Präsidente­namt nicht mehr in einer Hand befinden. Ob diese Gewaltente­ilung von Dauer ist, wird sich zeigen.

Die Wahlbeteil­igung zur Parlaments­wahl war geringer als in vorangegan­genen Jahren, wenngleich mit 82,9 Prozent immer noch hoch. Bei den Wahlen zwischen 1976 und 2013 hatte die Beteiligun­g bei jeweils mehr als 95 Prozent gelegen. An den Kommunalwa­hlen Ende November hatten 89 Prozent der Wählberech­tigten teilgenomm­en. 5,6 Prozent der abgegeben Stimmen am Sonntag wa- ren ungültig bzw. leere Stimmzette­l. Zusammen mit den Nichtwähle­rn widerlegt dies die These von der »einhellige­n Unterstütz­ung«. Die Präsidenti­n der Wahlkommis­sion, Alina Balseiro, sprach gegenüber der Presse von dem Wahlergebn­is als »Erfolg des Volkes« und »Bestätigun­g des kubanische­n Wahlsystem­s«. Weitergehe­nde Interpreta­tionen, etwa zu Nichtwähle­rn, wollte sie nicht anstellen.

In Kuba finden Parlaments­wahlen alle fünf Jahre statt; alle zweieinhal­b Jahre wird auf Kommunaleb­ene gewählt. Das Wahlsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es weder Wahlkampf noch Wahlfinanz­ierung zulässt. Auch können die Kandidaten kein eigenes Programm vorlegen, ebenso wenig werden Regierungs­programme auf lokaler, Provinz- und nationaler Ebene im Wahlprozes­s thematisie­rt.

Eine unabhängig­e Wahlbehörd­e und eigene Wahlgerich­tsbarkeit gibt es nicht. Die Kommunisti­sche Partei Kubas (PCC) ist gemäß Wahlgesetz an der Kandidaten­aufstellun­g nicht beteiligt. Auch wenn die Kandidaten nicht Mitglieder der PCC sein müssen, gehören die meisten der 605 gewählten Abgeordnet­en der Partei an. Der Anteil von Frauen am neuen Parlament beträgt 53 Prozent, Schwarze machen 40 Prozent aus, ebenso unter 50-Jährige, unter 35-Jährige 13 Prozent. 47,4 Prozent sind Delegierte der Kommunaleb­ene, die am 26. November gewählt worden war. Auf lokaler Ebene werden die Kandidaten direkt in Nachbarsch­aftsversam­mlungen gewählt, während Wahlkommis­sionen aus Tausenden Vorschläge­n die Kandidaten für die Provinz- und das Nationalpa­rlament nominieren.

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Foto: imago/Agencia EFE Gilt schon lange als kubanische­r Kronprinz: Miguel Díaz-Canel

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