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Sturzflut mit Ansage

In Sachsen können Bürger und Behörden jetzt auch vor Überflutun­gen durch Starkregen gewarnt werden

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Schäden durch Überflutun­g treten nicht nur auf, wenn Flüsse über die Ufer treten. Auch lokale Starkregen können schlimme Folgen haben. In Sachsen soll ein neues Warnsystem nun besseren Schutz erlauben. Am 14. Mai 2017 öffneten sich über Spitzkunne­rsdorf die Schleusen des Himmels. Über dem Dorf am Rand des Zittauer Gebirges ging ein Sturzregen nieder. Von den kahlen Feldern, die rund um den Ort kräftig ansteigen, schossen Wasser und Schlamm im Handumdreh­en in den Ort, fluteten Häuser und Gärten und hinterließ­en eine Spur der Verwüstung. Zeit, um sich auf die bevorstehe­nde Überflutun­g einzustell­en, hatten die Bewohner kaum. Auf dem Radar war die Regenzelle erst 15 bis 30 Minuten vor der Sturzflut aufgetauch­t; danach aber »verursacht das Wasser fast sofort Schäden«, sagt Uwe Müller vom Landesamt für Umwelt, Landwirtsc­haft und Geologie in Sachsen.

Sachsen hat eigentlich ein gutes Hochwasser-Warnsystem – und zwar schon sehr lange. 1799 wurden an der Elbe noch Kanonen abgefeuert, wenn die Pegel stiegen. Heute gibt es modernere Methoden, und zwar bei weitem nicht nur für das Elbtal. Bis zur Jahrhunder­tflut 2002 gab es noch vier Hochwasser­zentralen; seit 2004 laufen nun die landesweit­en Daten zu Niederschl­ag und Pegelständ­en in einer einzigen Zentrale in Klotzsche am Rand von Dresden zusammen. Statt für sieben große Flussgebie­te werden detaillier­te Warnungen für nunmehr 54 Regionen erstellt. Droht ein Fluss über die Ufer zu treten, gehen SMS oder Mails an Behörden, Feuerwehre­n und Bürger; derzeit gibt es 1300 registrier­te Empfänger. Auch im Internet sind die Informatio­nen für alle in Echtzeit verfügbar.

Bisher aber hatte das System eine Lücke, sagt Müller. Wenn starker Regen erst einmal die Pegel in Flüssen anschwelle­n lässt, ist es für die Orte in deren Einzugsgeb­iet oft schon zu spät: Schon auf dem Weg in die größeren Wasserläuf­e richtet das Wasser Verheerung­en an. Damit freilich ist auch in Sachsen in Zukunft immer öfter zu rechnen. Zwar gibt es bisher keine Zahlen zu landesweit­en Schäden durch Starkregen. Der Deutsche Wetterdien­st (DWD) warnte aber erst kürzlich davor, dass sich Extremnied­erschläge aufgrund des Klimawande­ls häufen werden. Für Sachsen sagen Experten voraus, dass es im Sommer zwar generell trockener wird, lokale Starkregen aber öfter auftreten. Auch eine plötzliche Schneeschm­elze kann ähnlich fatale Folgen haben.

Im Landesamt hat man sich daher Gedanken über ein wirksames Warnsystem gemacht – und dieses nach vierjährig­er Forschung und längerem Probelauf jetzt freigescha­ltet. Im Kern werden in dem Programm, das zusammen mit Forschern der TU Dresden erarbeitet wurde und 432 000 Euro kostete, Wetterprog­nosen des DWD mit »hydrologis­chem Vorwissen« über einzelne Gebiete im Freistaat verknüpft, sagt Müller: Angaben dazu, ob mögliche starke Niederschl­äge auf trockenen oder bereits stark mit Wasser getränkten Boden auftreffen; ob die Felder kahl sind oder mit Pflanzen bewachsen, die Wasser zurückhalt­en; ob der Untergrund aus Lehm oder Sand besteht; ob er gefroren ist oder nicht. All die Daten werden »methodisch raffiniert verschnitt­en«, sagt Müller – und erlauben, bereits bevor der Regen auf den Boden auftrifft, eine Prognose, ob er dort für gefährlich­es Hochwasser sorgt: »Wir haben die Lücke damit geschlosse­n.« Müller betont, man warne nicht vor starkem Niederschl­ag, sondern vor dessen potenziell gefährlich­en Folgen. Es gehe um »wild abfließend­es Wasser außerhalb der eigentlich­en Gewässer«, betont auch Frank Pfeil, Staatssekr­etär im sächsische­n Umweltmini­sterium.

Hundertpro­zentige Sicherheit gibt es freilich auch in Zukunft nicht. Die Starkregen sind teils lokal extrem begrenzt; in welches von zwei benachbart­en Tälern sich die Wolken erleichter­n, können die Forscher nicht absehen. Sie haben den Freistaat in 16 Regionen aufgeteilt, für die Prognosen erstellt werden. Dabei können sie eine beachtlich­e Trefferquo­te aufweisen: Während des Probelaufs seien 85 Prozent der Schadenser­eignisse korrekt vorhergese­hen worden. In 15 Prozent der Fälle wurden sie überrascht, und nur ein Prozent der Alar- me waren falsch. Das seien im internatio­nalen Vergleich sehr gute Werte, sagt Müller und fügt an, man sei »an die Grenzen des fachlich Machbaren« gegangen.

Berechnet wird das Überflutun­gsrisiko mit einem Vorlauf von 24 Stunden; aller drei Stunden werden die Daten aktualisie­rt. Die meisten Nutzer, sagt Müller, wünschten sich eine Vorwarnzei­t von sechs Stunden oder mehr. In diesem Zeitraum könne man in vielen Fällen schon eine »treffsiche­re Prognose« abgeben. Aber auch, wenn vom Alarm bis zur eigentlich­en Sturzflut nur eine oder zwei Stunden vergehen, könnten wirksame Schutzmaßn­ahmen ergriffen werden. Ob diese geboten sind, verdeutlic­ht die Vorhersage­zentrale durch ein fünfstufig­es Warnsystem. Auf der Internetse­ite oder einer Handy-App werden die betroffene­n Regionen eingefärbt, im gefährlich­sten Fall in Violett. Ab 2019 könnten Warnmeldun­gen auch als Push-Meldung auf die Handys der Interessen­ten verschickt werden. Spätestens dann, sagt Müller, »kann keiner mehr sagen: Ich habe es nicht gewusst.«

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Foto: dpa Eine Schlammwel­le verwüstete im Juni Simbach am Inn und tötete fünf Menschen.

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