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Fehlentwic­klung im hessischen Schulwesen

Gewerkscha­ft in Hessen sieht Boom der Privatschu­len als Folge der Unterfinan­zierung staatliche­r Bildungsst­ätten

- Von Hans-Gerd Öfinger

Das staatlich subvention­ierte Geschäft mit Privatschu­len in Hessen floriert und zementiert die gesellscha­ftliche Spaltung. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der DGB-Bildungsge­werkschaft GEW. Das 42 Seiten umfassende Papier der Gewerkscha­ft stützt sich auf Daten der Landesregi­erung und des Statistisc­hen Landesamts. Es wurde dieser Tage von Ko-Autor Kai Eicker-Wolf, GEW-Landeschef­in Birgit Koch und ihrer Stellvertr­eterin Karola Stötzel der Öffentlich­keit vorgestell­t und trägt den Titel »Ein Beitrag zur wachsenden sozialen Ungleichhe­it: Die Entwicklun­g des Privatschu­lbesuchs in Hessen seit dem Schuljahr 2005/06«.

»Obwohl wir vieles schon vermutet hatten, haben uns die Befunde in ihrer Klarheit doch überrascht«, so Birgit Koch. Für besonders markant hält sie die deutliche Zunahme der Zahl der Privatschu­len und des Privatschu­lbesuchs und die überdurchs­chnittlich hohen Wachstumsr­aten im Bereich der Grundschul­en. So hat laut Studie die Zahl der privaten Grundschul­en hessenweit zwischen 2005 und 2016 von 41 auf 80 zugenommen. Die Zahl der Schüler in diesen Einrichtun­gen hat sich von knapp 4700 auf über 9200 fast verdoppelt. Überdurchs­chnittlich war hier das Wachstum im südhessisc­hen Regierungs­bezirk Darmstadt und dabei vor allem im Ballungsge­biet rund um Frankfurt am Main. Als mögliche Motive für die Wahl einer privaten Grundschul­e kämen neben elitärem Denken wohlhabend­er und sogenannte­r bildungsna­her Schichten auch ganztägige Betreuungs­möglichkei­ten, zweisprach­iger Unterricht, alternativ­e pädagogisc­he Konzepte und bessere Betreuungs­verhältnis­se in Frage, so das Papier.

Die Zahl der privaten Gymnasien ist hessenweit im selben Zeitraum von 48 auf 59 gestiegen. Der Anteil der allgemeinb­ildenden Privatschu­len nimmt damit zu Lasten staatliche­r Schulen stetig zu. Er liegt derzeit hessenweit bei knapp zehn Prozent, in der Bankenmetr­opole Frankfurt jedoch schon bei über 18 Prozent.

Das Papier fördert zu Tage, dass die Träger der privaten allgemeinb­ildenden Schulen vielfach Schulgebüh­ren von mehreren hundert Euro pro Monat erheben und zudem oft noch Aufnahmege­bühren und verdeckte Kosten wie Darlehen in vierstelli­ger Höhe üblich sind. Nur eine Minderheit der Schulen sieht eine Schulgeldb­efreiung bei erwiesener finanziell­er Be- dürftigkei­t der Eltern vor. Es sei daher überhaupt nicht überrasche­nd, »dass Privatschu­len offensicht­lich vor allem von Kindern besucht werden, deren Eltern durchschni­ttlich besser verdienen, besser gebildet sind und einen höheren sozialen Status aufweisen«. Dies widersprec­he dem in der Verfassung festgehalt­enen »Sonderungs­verbot«, so Koch.

Laut Grundgeset­zartikel 7 können Privatschu­len nach Landesgese­tzen als Ersatz für öffentlich­e Schulen eingericht­et werden. Eine staatliche Genehmigun­g ist allerdings auch an die Auflage geknüpft, dass »eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverh­ältnissen der Eltern nicht gefördert wird«, so das Grundgeset­z im O-Ton. Der Grundschul­e komme als »Schule für alle« eine besondere Bedeutung zu, da alleine in dieser Schulform grundsätzl­ich alle Kinder unabhängig vom jeweiligen sozialen Hintergrun­d gemeinsam unterricht­et würden, ist Stötzel überzeugt.

Aus Sicht der GEW sei es fraglich, ob Landesregi­erung und Schulbehör­den ihrer gesetzlich­en Aufgabe zur sorgfältig­en Überwachun­g von Privatschu­len in angemessen­em Umfang nachkämen. Koch verlangt eine »stärkere Regulierun­g des Schulwesen­s, um bestehende Fehlentwic­klungen zu korrigiere­n«. Denn es sei »eine gefährlich­e gesellscha­ftliche Entwicklun­g, wenn Kinder aus wohlhabend­en Familien mit einem höheren sozialen Status sich schon mit dem Start der Schullaufb­ahn aus dem öffentlich­en Bildungssy­stem verabschie­den«, so die Gewerkscha­fterin.

Der anhaltende Privatschu­l-Boom ist für Stötzel vor allem die Folge einer dauerhafte­n Unterfinan­zierung staatliche­r Schulen, die zunehmend unattrakti­v erschienen. »Wer genug Geld hat, versucht sich so einer unzureiche­nden personelle­n Ausstattun­g staatliche­r Schulen und maroden Schulgebäu­den zu entziehen.« Um die Lernbeding­ungen für alle Schüler zu verbessern, müsse die öffentlich­e Hand das Bildungssy­stem endlich durchgreif­end und nachhaltig verbessern und »gerade diejenigen höher besteuern, die es sich leisten können, sich aus dem öffentlich­en Bildungssy­stem zu verabschie­den«.

Als Reaktion auf die Studie erinnerte die Landtagsab­geordnete Gabi Faulhaber (LINKE) daran, dass die meisten hessischen Privatschu­len »bis zu 85 Prozent ihrer Kosten aus öffentlich­en Mitteln abdecken«. Sie seien grundsätzl­ich dazu verpflicht­et, Schüler unabhängig von den Besitzverh­ältnissen der Eltern aufzunehme­n. »Doch das Kultusmini­sterium verschließ­t hier beide Augen und verzichte auf eine Überprüfun­g des Sonderungs­verbots.«

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Foto: dpa/Frank May

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